Schulstreik fürs Klima "Wir sind laut, weil ihr uns die Zukunft klaut"


Die Fünftklässler der Joan-Miró-Grundschule sind schon von Weitem zu hören: "Kohle weg, das ist Dreck", skandieren die Jungen und Mädchen, die meisten von ihnen gerade mal zehn Jahre alt. Sie gehen gemeinsam mit ihrer Klassenlehrerin vom Berliner Hauptbahnhof zum Schulstreik für den Klimaschutz.
"Wir demonstrieren, weil es unsere Zukunft ist", sagt einer der Schüler selbstbewusst. Auf seinem Plakat steht "Rote Karte für die Kohle". Die Demonstration findet während der Tagung der Kohlekommission statt.
Der Junge und seine Mitschüler haben die Plakate in ihrer Freizeit gebastelt, für die Demonstration bekamen sie unterrichtsfrei. "Ich habe unsere Schulleitung gefragt, und die war einverstanden", erklärt die Klassenlehrerin. "Die Schüler hätten jetzt eigentlich eine Stunde Englisch und dann soziales Lernen. Das hier ist ja soziales Lernen. Und nächste Woche machen wir dann zwei Stunden Englischunterricht."
Viele der älteren Schüler auf der Demonstration schwänzen hingegen, wie Maria Pankok und Kaya Kettering von einem Berliner Gymnasium. Mehr als die Hälfte ihres Jahrgangs sei hier. "Ein paar Schüler haben versucht, frei zu bekommen, aber es wurde ihnen verboten. Wir haben es dann gar nicht probiert", sagt die Zwölftklässlerin Kaya.
12.30 Uhr: Die Auftaktkundgebung vor dem Wirtschaftsministerium läuft seit einer halben Stunde, doch um Kaya und Maria herum strömen noch immer junge Menschen auf den Platz und jubeln den Rednern auf der Bühne zu.
Hunderte Schüler und Studenten aus ganz Deutschland sind zu der Demonstration gekommen. Auch wenn viele der jüngeren Schüler hier ihren Namen gar nicht kennen: Ihr Vorbild ist Greta Thunberg. Die Neuntklässlerin aus Schweden geht seit etwa einem halben Jahr jeden Freitag nicht zum Unterricht, sondern demonstriert stattdessen für Klimaschutz.
Auch die Demonstranten in Berlin verpassen die Schule, nehmen für die politische Aktion aber stundenlange Fahrten auf sich. Wie der 20 Jahre alte Filas, der mit 55 Schülern etwa sechs Stunden aus der Nähe von Nürnberg angereist ist. Er macht Überstunden fürs Klima und hält ein Schild hoch, auf dem er in drei Sprachen zum Klimaschutz aufruft.
13.00 Uhr: Die Stimmung ist gut - kippt jetzt aber für einen kurzen Moment.
Wirtschaftsminister Peter Altmaier zeigt sich am Rande der Demonstration und gibt Presseinterviews. "Wir wollen nicht, dass er redet, sondern dass er handelt, und das geht am besten im Ministerium", schallt es von der Bühne.
Die Schüler pfeifen den Minister aus. Und der Redner auf der Bühne legt noch mal nach: "Wo geht das am besten?", ruft er. Und aus Hunderten Schülerkehlen schallt es zurück "Im Ministerium."
Altmaier erklärt der Presse ungerührt, dass er die Proteste der Schüler ernst nehme. Nur wollten die jungen Menschen den Kohleausstieg lieber heute als morgen. Zu ihm kämen aber auch Menschen, die Angst um ihre Jobs hätten.
Während der Minister noch redet, setzt sich die Demonstration in Bewegung. An ihrer Spitze geht Luisa Neubauer, eingerahmt von jungen Mitstreitern, die aus voller Kehle schreien: "Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr uns die Zukunft klaut."
Die 22-jährige Studentin aus Göttingen hat die Demonstration mitorganisiert und spricht für das Bündnis "Fridaysforfuture": "Es ist unglaublich, wir sind über 10.000 junge Menschen hier." Nach Angaben der Berliner Polizei sind es allerdings weniger Teilnehmer. Sie spricht von einem "mittleren vierstelligen Bereich".
Luisa Neubauer sagt: "Wir machen das nicht, weil wir keine Lust haben, zur Schule oder zur Uni zu gehen. Sondern wir machen das hier, weil die Dringlichkeit, jetzt einen schnellen Kohleausstieg einzuleiten, so enorm ist."
Sie selbst saß mit zwei Mitstreitern am Vormittag noch bei Altmaier im Ministerium. "Das war nett von ihm", sagt sie diplomatisch über die Einladung. "Aber wir haben das Gefühl, dass er noch nicht verstanden hat, worum es uns geht."
Die Leute verstünden nicht, dass Klimapolitik Zukunftspolitik ist, sagt sie. "Es geht hier nicht darum, Klimazerstörung zu verhindern, sondern dass wir, so hart es klingt, Zukunftszerstörung verhindern wollen."
15.30 Uhr: Die Demo endet dort, wo sie begonnen hat. Während Noam aus der Schweiz noch ein Grußwort spricht, leert sich der Platz bereits. Luisa Neubauer harrt bis zum Schluss aus. Um sich für Klimaschutz stark zu machen, ist sie bereit, selbst Nachteile in Kauf zu nehmen: Sie hat am Freitag eine Prüfung ihres Geografiestudiums verpasst.
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Schulstreik für das Klima: In Berlin sind am Freitag nach Angaben der Mitorganisatorin Luisa Neubauer (Mitte) von "Fridays for Future" 10.000 Schülerinnen und Studenten auf die Straße gegangen.
Symbolisches Grillen der Jugend: Die Demonstranten in Berlin protestieren gegen den Klimawandel. Ein paar Grad mehr will hier niemand - auch wenn die Temperaturen in Berlin eisig sind.
Schüler der Joan-Miró-Grundschule: Die Zehnjährigen sind gemeinsam mit ihrer Klassenlehrerin hier und verpassen deshalb zwei Unterrichtsstunden. "Die Schüler hätten jetzt eigentlich eine Stunde Englisch und dann soziales Lernen. Das hier ist ja soziales Lernen. Und nächste Woche machen wir dann zwei Stunden Englischunterricht", erklärt die Lehrerin.
Kaya Kettering und Maria Pankok: Die 12.-Klässlerinnen schwänzen hingegen. Mit ihnen sei der halbe Jahrgang hier, erzählen sie: "Ein paar Schüler haben versucht, frei zu bekommen, aber es wurde ihnen verboten. Wir haben es dann gar nicht probiert."
Demonstrieren mit Sicht auf den Bundestag: Die Schüler und Studentinnen zogen vom Wirtschaftsministerium zum Kanzlerinnenamt - und wieder zurück.
Peter Altmaier: Der Bundeswirtschaftsminister zeigte sich auch auf der Auftaktkundgebung - und wurde ausgebuht. "Wir wollen nicht, dass er redet, sondern dass er handelt, und das geht am besten im Ministerium", schallte es von der Bühne. Zuvor hatte der Minister drei der Organisatoren in seinem Büro empfangen.
Aufruf zum Klimaschutz auf Englisch, Arabisch und Deutsch: Filas,der Schildträger rechts im Bild, ist mit 55 Schülern aus der Nähe von Nürnberg angereist.
Frieren bei der Auftaktkundgebung: Die Berliner Studenten David, My Duyen, Johannes, Marijan, Lena und Ebru sind hier, weil sie zu der Generation zählen, die der Klimawandel mit am meisten betrifft.
Schüler aus Brandenburg: Die Clique geht auf drei verschiedene Schulen - und fast jeder hatte Probleme, sich vom Unterricht befreien zu lassen. Manch einer schwänzt deshalb oder wurde von den Eltern entschuldigt.
Zitat aus einem Lied der Punkband Ärzte: "Es ist nicht deine Schuld, wenn die Welt ist, wie sie ist, es ist nur deine Schuld, wenn sie so bleibt."
Demonstrationszug durch Berlin-Mitte: Vorbild für die Proteste ist der Schulstreik der schwedischen Klimaaktivistin Greta Thunberg.
Zwei der jüngsten Teilnehmerinnen: Lotsi und Philipp sind mit ihren vier Jahre alten Zwillingen aus Hamburg angereist. "Schade, dass die Schüler diesen Protest initiieren mussten", sagt Lotsi. Sie wolle die Schüler unterstützen und auch für die Zukunft ihrer Kinder demonstrieren.
Einer der ältesten Teilnehmer: Joachim Schiwy ist stellvertretend für seine erwachsenen Töchter da: "Die wollen auch mal Kinder bekommen." Das es aber offiziell ein Protest der Schüler und Studenten ist, steht er etwas abseits.
Demonstranten vor dem Kanzlerinnenamt: "Wir machen das nicht, weil wir kleine Lust haben, zur Schule oder zur Uni zu gehen. Sondern wir machen das hier, weil die Dringlichkeit, jetzt einen schnellen Kohleausstieg einzuleiten, so enorm ist", sagt Mitorganisatorin Luisa Neubauer.
Studenten aus Bochum: Moritz Dünzer und Lea Lantzerath finden die Stimmung in Berlin großartig. Sie haben selbst mit dafür gesorgt, dass so viele Menschen da sind und einen Bus aus Bochum organisiert.
Greta Thunberg auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos: Die Neuntklässlerin aus Schweden ist zu einer Ikone im Kampf gegen den Klimawandel geworden. Drei Wochen lang hatte sie im Sommer die Schule geschwänzt, um vor dem Parlament in Stockholm zu demonstrieren.
"Skolstrejk för klimatet" - "Schulstreik für das Klima": Die heute 16-Jährige stand mit diesem Schild einst allein vor dem Parlament. Mittlerweile hat sie weltweit Mitstreiterinnen und Mitstreiter gefunden.
Greta Thunberg bei der Klimakonferenz im Dezember in Polen: Ihre Rede in Katowice ging viral, erreichte Tausende Menschen und motivierte Schülerinnen und Schüler weltweit, selbst für das Klima zu streiken.
#FridaysforFuture: Zuletzt streikte Greta nur noch freitags - und Tausende Schüler taten es ihr gleich. Diese jungen Menschen demonstrierten am vergangenen Freitag in München.
Schulstreik in Hamburg am 18. Januar: Diesen Freitag wollen Schüler aus der ganzen Republik nach Berlin kommen, um vor der Tagung der Kohlekommission für das Klima zu demonstrieren.
Mit dem Zug nach Davos: Greta Thunberg spricht selbst beim Weltwirtschaftsforum in Davos. Hin und zurück nimmt die Klimaaktivistin über 60 Stunden Fahrt in Kauf. Weil Flugreisen viel CO2 ausstoßen und damit klimaschädlich sind, entschied sie sich für die Anreise per Zug. Man könne die Zeit in der Bahn gut nutzen, um zum Beispiel eine Rede zu schreiben, sagte sie in einem Interview.
Greta Thunberg im November vor dem Parlament in Stockholm: "Die Erwachsenen haben versagt", sagt die junge Schwedin im Gespräch mit dem SPIEGEL. "Sie sagen, der Klimawandel ist eine Bedrohung für uns alle, aber dann leben sie einfach so weiter wie bisher. Wir müssen selbst aktiv werden."
Thunberg bei einer Sportgala im Januar in Stockholm: Mit ihrer Botschaft erreicht die 16-Jährige längst Tausende Menschen. Jetzt hat sie der Wirtschaftselite ins Gewissen geredet.
Handshake mit der IWF-Chefin Christine Lagarde: "Manche Leute sagen, dass wir nicht genug tun, um den Klimawandel zu bekämpfen. Aber das ist nicht wahr. Um 'nicht genug zu tun', müsste man überhaupt etwas tun. Und die Wahrheit ist, dass wir praktisch gar nichts tun", sagte sie in einem Video, das auf dem Weltwirtschaftsforum ausgestrahlt wurde, und appellierte an die Verantwortung der Unternehmen.
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