Umfrage in Deutschland Mehrheit unterstützt Schülerstreiks für Klimaschutz

Jeden Freitag demonstrieren weltweit Schüler für einen besseren Klimaschutz. Die Schwänzer werden teils scharf kritisiert. Was denkt die Mehrheit der Deutschen?
Schülerdemo in Mainz (15.02.2019)

Schülerdemo in Mainz (15.02.2019)

Foto: Peter Zschunke/ dpa

Die deutsche Jugend galt lange als politisch desinteressiert und unideologisch. Forscher attestierten den jungen Menschen, dass für sie vor allem der Spaß und der persönliche Erfolg zähle. Doch schon die letzte Shell-Jugendstudie aus dem Jahr 2015 zeigte, dass Jugendliche mittlerweile anders ticken, als noch vor zehn oder fünfzehn Jahren. Das Interesse an Politik steigt - und auch am Thema Umweltschutz.

Ein Indiz für geänderte Prioritäten sind die Schulstreiks "Fridays for Future". Die 16-jährige Schwedin Greta Thunberg hatte die Idee dazu - inzwischen streiken Schüler weltweit jeden Freitag für einen besseren Klimaschutz. In Deutschland sorgen die Demonstrationen während der Unterrichtszeit allerdings für heftigen Streit. Dürfen Kinder und Jugendliche die Schule schwänzen, um demonstrieren zu gehen? Müssen die Schulbehörden mit aller Härte dagegen vorgehen?

Im SPIEGEL-Auftrag hat das Umfrageinstitut Civey 7500 Internetnutzer gefragt, ob sie Schülerstreiks für den Klimaschutz unterstützen. Das Votum war gespalten - doch die Mehrheit (51 Prozent) erklärte, dass sie die Protestaktion unterstützen. 42 Prozent sprachen sich dagegen aus.

Schaut man sich die Antworten genauer an, wird deutlich, dass die Haltung zu den Schulstreiks auch vom Alter abhängt. Je jünger die Befragten sind, umso größer ist die Unterstützung. In der Altersgruppe unter 30 liegt die Zustimmung bei 64 Prozent - die Ablehnung bei nur 31 Prozent. Ab einem Alter von 65 Jahren sind die Gruppen von Befürwortern und Gegnern des Schulstreiks praktisch gleich groß.

Bedeutende Unterschiede gibt es auch zwischen Ost und West. In den Altbundesländern liegen die Befürworter mit 54 Prozent klar vor den Gegnern (40 Prozent). In den neuen Bundesländern ist es genau umgekehrt: Hier dominiert die Ablehnung der Schülerproteste mit 51 zu 41 Prozent.

Die Haltung zum Schulstreik hängt auch stark mit den politischen Lagern zusammen. Anhänger von SPD, Grünen und den Linken sind zu 70 bis 85 Prozent dafür. Unterstützer von Union, FDP und AfD sind zu 60 bis 85 Prozent dagegen.

Ein nahezu identisches Stimmungsbild ergab eine zweite Frage zu Greta Thunberg an 7800 Internetnutzer: Das Engagement der 16-jährigen Klimaaktivistin unterstützen demnach 54 Prozent - 36 Prozent der Befragten stimmten mit Nein. Auch im Fall Thunberg gab es die größte Zustimmung bei den unter 30-Jährigen und die geringste unter den Befragten ab 65 Jahren.

Mathias Albert von der Universität Bielefeld, seit 2010 Leiter der Shell-Studie, hält "Fridays for Future" für ein bemerkenswertes Phänomen. "Wir beobachten zum ersten Mal seit geraumer Zeit so etwas wie Jugendproteste - und das sogar transnational. Und wir sehen erstmals einen Protest, in dem es um einen Generationenkonflikt geht."

Das politische Interesse junger Menschen nehme zu. Und überproportional stark sei diese Zunahme bei den ganz Jungen. "Was wir sehen, steht im Einklang mit den letzten Jugendstudien", sagt Albert. "Wir haben schon länger ein großes Potential für politisches Engagement gesehen, aber das hat sich nie manifestiert", sagt der Politikwissenschaftler.

Vom baldigen Kampf zwischen den Generationen war ja schon länger die Rede - vor allem in Bezug auf die sozialen Sicherungssysteme. Jetzt sei dieser Konflikt ausgebrochen, so Albert, aber an anderer Stelle. "Die Schüler sagen den Älteren: Ihr habt eine Verantwortung für unsere Zukunft und nehmt sie nicht wahr."

Existenzangst und politisches Engagement

Dass die Jugend noch vor zehn, fünfzehn Jahren viel weniger Interesse an Politik zeigte, erklärt Klaus Hurrelmann von der Hertie School of Governance mit der damaligen wirtschaftlichen Situation. "Die vor dem Jahr 2000 geborene Generation musste sich vor allem um sich selbst kümmern. Ihre eigene berufliche Zukunft war ungewiss, sie hatten keine Sicherheit."

Menschen mit Existenzängsten werden laut Hurrelmann eher nicht politisch aktiv. Die nach dem Jahr 2000 Geborenen hätten diese Sorgen kaum noch. "Sie haben den Rücken frei für andere Themen."

Auch Hurrelman hält die Schülerproteste für bemerkenswert, etwa weil sie schon seit mehreren Wochen laufen. "Für junge Menschen im Alter von 14 Jahren ist das eine lange Zeit." Die "Fridays for Future"-Proteste seien nicht mit früheren punktuellen Protestaktionen junger Menschen vergleichbar, die nur wenige Tage dauerten. "Das hier ist anders, das hat einen eigenen Charakter." Das habe sicher auch mit der Protagonistin Greta Thunberg zu tun.

"Die können sich das leisten"

Der Berliner Sozialwissenschaftler staunt zudem über den ganz bewussten Regelverstoß, während des Unterrichts zu demonstrieren. Die Schüler nähmen dabei in Kauf, dass ihre Noten darunter leiden könnten. "Die können sich das offenbar leisten, weil sie nicht mehr so sehr auf die Zensuren achten müssen", meint Hurrelman. Bei der vorhergehenden Generation sei das noch anders gewesen. "Die brauchten gute Noten, um überhaupt eine Chance auf den Studienplatz oder den Job zu haben."

Haben die Schulstreiks womöglich auch damit zu tun, dass junge Menschen sich stärker vom Klimawandel bedroht fühlen als die ältere Generation? Dagegen spricht zumindest die letzte große Studie zum Umweltbewusstsein der Deutschen , durchgeführt 2016 vom Forsa-Institut. Demnach empfinden rund 90 Prozent der 2000 Befragten den Klimawandel als bedrohlich oder sehr bedrohlich - und zwar nahezu einheitlich über alle Altersgruppen von 14 Jahren bis 70 plus hinweg.

Unterschiede zwischen den Altersgruppen gab es allerdings bei der Frage, ob man sich vorstellen kann, künftig an Demonstrationen und Aktionen für mehr Klima- und Umweltschutz teilzunehmen. 25 Prozent der 14- bis 19-Jährigen hielten das für "wahrscheinlich", bei den über 30-Jährigen lag die Quote bei nur etwa 15 Prozent. Kein Wunder, dass die laufenden Proteste von der jüngsten Generation angeführt werden.

SPIEGEL ONLINE

Wer steckt hinter Civey-Umfragen?

An dieser Stelle haben Leser in der App und auf der mobilen/ stationären Website die Möglichkeit, an einer repräsentativen Civey-Umfrage teilzunehmen. Civey ist ein Online-Meinungsforschungsinstitut mit Sitz in Berlin. Zur Erhebung seiner repräsentativen Umfragen schaltet die Software des 2015 gegründeten Unternehmens Websites zu einem deutschlandweiten Umfragenetzwerk zusammen. Neben SPIEGEL ONLINE gehören unter anderem auch der "Tagesspiegel", "Welt", "Wirtschaftswoche" und "Rheinische Post" dazu. Civey wurde durch das Förderprogramm ProFit der Investitionsbank Berlin und durch den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung finanziert.

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