
Homosexualität in der Schule: Cool, mein Lehrer ist schwul
Schwule Lehrer "Was machen Sie, wenn ich jetzt ein Messer raushole?"
In Hamburg beginnt der Stammtisch schwuler Lehrer mit einem Politikum: der T-Shirt-Frage. Welchen Spruch wollen sie sich zum Christopher Street Day auf ihr Shirt drucken lassen? "Schwule Lehrer Ahoi" oder "Cool, mein Lehrer ist schwul"?
"Schwule Lehrer Ahoi" klinge so schön hanseatisch, sagt Florian Binder, 41.
"Sind wir eine Brause, oder was?", fragt sein Kollege.
"Wir können unseren Schülern nicht in den Mund legen, dass es cool ist, uns als Lehrer zu haben", sagt ein Dritter.
Binder hat ein Shirt mitgebracht, das er sich mit "Schwule Lehrer Ahoi" bedrucken ließ. Er hat sich in seinem Stuhl zurückgelehnt und das T-Shirt auf den Oberkörper gelegt. "Seid ihr denn mit dem Blau einverstanden? Oder lieber Hellblau?", fragt er seine Kollegen. "Dem Herbsttyp würde das vielleicht nicht so gut stehen", sagt er.
Aber würde das T-Shirt überhaupt jeder tragen? Ja, nein, vielleicht, antworten sie, je nach dem, ob und wie sie sich geoutet haben. Wissen es nur die Kollegen oder auch Schüler und Eltern?
Lehrer berichten von Gewalt, Drohbriefen und Psychoterror
"Scheinbar leben wir in einer toleranten Gesellschaft", sagt Arne Müller, der gerade eine Studie zum Thema durchgeführt hat. "Aber gerade bei Schülern erleben viele Lehrer einen Rückwärtstrend."
Mehrere Studien belegen die negative Einstellung vieler Schüler gegenüber Homosexualität. Eine repräsentative Studie des Meinungsforschungsinstituts Iconkids & Youth aus dem Jahr 2002 ergab, dass 61 Prozent der deutschen Jugendlichen Homosexualität ablehnen. Vier Jahre zuvor sagten nur 34 Prozent der befragten 12- bis 17-Jährigen, sie fänden Schwule und Lesben "weniger gut" oder "überhaupt nicht gut". Der Studienautor vermutet, dass sich an der Einstellung der Jugendlichen nicht unbedingt etwas geändert hat, aber dass sich mehr zu ihrer Abneigung bekennen.
Für viele junge Männer ist "schwul" längst ein Synonym für "uncool" geworden. In der Pubertät hadern viele Jugendliche mit ihrer eigenen Sexualität. Nur weil sie in der Zeit Homosexualität ablehnen, werden sie nicht unbedingt homophobe Erwachsene. Trotzdem kein angenehmes Arbeitsumfeld für schwule Lehrer.
Arne Müller, 29, arbeitet seit ein paar Monaten als Referendar. Er hat sich vor dem Studium geoutet und wusste, er muss sich auch als Lehrer damit auseinandersetzen. Will er seinen Schülern sagen, dass er schwul ist? Wie gehen andere Lehrer damit um? Er suchte in Büchern nach Antworten und fand: nichts.
Deswegen befragte er für seine Masterarbeit an der Uni Oldenburg 1116 homosexuelle Lehrer, die er unter anderem durch Anzeigen in Schwulenmagazinen und verschiedene Mailinglisten erreicht hat. Er wollte herausfinden, welchem Stress schwule Lehrer ausgesetzt sind.
Die Ergebnisse sind erschreckend: Ein Drittel derjenigen, die sich in der Schule geoutet haben, erhielten "gemischte Reaktionen" - sogar von Kollegen. Zwar berichtet nur eine Minderheit von ausdrücklich negativen Rückmeldungen. "Diese Fälle sind aber ziemlich bestürzend", sagt Müller. Lehrer wurden beleidigt (acht Prozent), belästigt (vier Prozent) oder von Kollegen ausgeschlossen (15 Prozent). Einige berichten auch von Psychoterror, indem ihnen beispielsweise von Kollegen Affären mit Schülern angedichtet wurden, von Drohbriefen und Gewalt. Dabei geht die verbale, psychische und körperliche Gewalt meist von Schülern aus.
"Du weißt doch, dass ich mit einem Mann verheiratet bin"
Beim Hamburger Stammtisch haben die meisten recht gute Erfahrungen gemacht - oder sich lieber gar nicht erst geoutet. Anders ein Kollege aus Berlin: "Ich wusste früher nicht, was ist", sagt Herr K., 56. Er unterrichtet an einer Berliner Sekundarschule, also Haupt- und Realschüler, etwa 90 Prozent der Schüler kommen aus Einwandererfamilien. 25 Jahre lang versuchte er, seine vor Schülern zu verbergen, hatte damit aber ein schlechtes Gefühl. "Ich will Schülern beibringen, Ehrlichkeit als Wert zu akzeptieren, bin aber selbst nicht ehrlich", sagt er.
Vor ein paar Jahren fragten ihn Zehntklässler, ob er einen Freund habe. Sie hatten ihn zuvor mit seinem Lebensgefährten gesehen. Er hatte ein gutes Verhältnis zu den Schülern, also sagte er: "Ja, ich bin schwul." Das sprach sich herum, die älteren erzählten auch den neuen siebten Klassen vom schwulen Lehrer.
Danach ging der Psychoterror los, der Herrn K. mehr und mehr verunsicherte. Schüler sperrten ihn im Klassenraum ein, indem sie sich vor die Tür stellten, erzählt Herr K. Zwei Jungs spielten Analverkehr nach, als er an ihnen vorbeiging. Einmal saß ein junger Mann, der nicht auf die Schule gehörte, in seiner Klasse. Als Herr K. ihn fragte, was er hier mache und wo er hingehöre, antwortete er: "In ihren Arsch." Andere Schüler schrieben "Schwulenschwuchtel" und "Arschficker" an die Tafel. Eine Schülerin fragte ihn in der Pause, ob er verheiratet sei. "Ja", sagte er. Wie denn seine Frau heiße. "Du weißt doch, dass ich mit einem Mann verheiratet bin", sagte er. Drei Stunden später im Unterricht meldete sie sich und fragte: "Was würden Sie machen, wenn ich jetzt ein Messer raushole?" Für Herrn K. ist der Zusammenhang eindeutig.
Mittlerweile outet Herr K. sich vor jeder Klasse und auch bei Elternabenden. "Ich habe das Gefühl, ich gehe auf Eis und kann jederzeit einbrechen", sagt er. Vielleicht wird er sich versetzen lassen.
Homosexualität neben Sadismus und Pädophilie im Schulbuch
Sollte nicht die Schule der passende Ort sein, in dem Lehrer Vorurteilen begegnen? Schließlich besteht bei homosexuellen Jugendlichen - laut mehrerer Studien - ein deutlich höheres Selbstmordrisiko. Schließlich prägen Lehrer die Persönlichkeit ihrer Schüler und können beeinflussen, wie tolerant sie in Zukunft anderen Menschen gegenübertreten.
Beim Hamburger Stammtisch sagt ein Lehrer: "Wir stehen mit diesem Thema oft allein da." Nicht sonderlich überraschend, schließlich ergab Arne Müllers Studie, dass nur etwa ein Fünftel der Befragten mit dem Thema Homosexualität an der Uni konfrontiert wurde. "Kein Wunder, dass Lehrer sich oft überfordert fühlen, Homosexualität im Unterricht anzusprechen", sagt er.
Schlimmer noch. Als ein Lehrer vom Stammtisch durch das Schulbuch "Biologie heute aktuell 2" blätterte, war er entsetzt: Das Buch für Real- und Gesamtschüler zeigt eine Übersicht über "Erscheinungsformen menschlicher Sexualität". Homosexualität steht gleichrangig neben Exhibitionismus - und Pädophilie. Der Pädagoge schrieb im Namen der Hamburger Lehrer an den Schulbuchverlag Schroedel: In dem Buch "werden Informationen bereitgestellt, die (...) das Thema Homosexualität mehr oder weniger subtil in einen Zusammenhang rücken, in den es nicht gehört."
Der Verlag erklärt schriftlich gegenüber SPIEGEL ONLINE: "Wir haben (…) mit dem Schaubild eine wertneutrale, bewusst sehr kurz gehaltene Darstellung anderer Form menschlicher Sexualität gewählt. Wir möchten betonen, dass weder die gewählten Themen, noch die Zusammenstellung irgendeine Form der Wertung darstellt."
Der verantwortliche Autor fügte in einem Schreiben an die Lehrer hinzu: "Zu den wichtigen Kompetenzen, die Schülerinnen und Schüler (...) erwerben sollen, gehört die gezielte Informationsbeschaffung." Schließlich hätten alle Schüler weitgehend Zugang zum Internet. Sie würden dort nach dem suchen, was sie interessiert - und nicht nur im Biologiebuch.
Der Verlag rechtfertigt sich etwas wirr, doch immerhin: Die entsprechende Seite wird in Zukunft nicht mehr im Biologiebuch auftauchen. Damit sind Florian Binder und seine Kollegen erstmal zufrieden - zumindest was dieses Schulbuch anbelangt.
Über die T-Shirt-Frage haben sich die Lehrer erst beim nächsten Treffen geeinigt. Sie zeigen sich tolerant und erlauben für den Christopher Street Day beide Varianten: "Schwule Lehrer Ahoi" und "Cool, mein Lehrer ist schwul".