Umstrittene Sekte "Zwölf Stämme" erstatten Anzeige gegen Jugendamt

"Zwölf Stämme" in Klosterzimmern: Sekte erstattet Anzeige wegen Freiheitsberaubung
Foto: Daniel Karmann/ dpa
"Zwölf Stämme" in Klosterzimmern: Sekte erstattet Anzeige wegen Freiheitsberaubung
Foto: Daniel Karmann/ dpaMitglieder der "Zwölf Stämme" haben Anzeige gegen Mitarbeiter des Jugendamts im Landkreis Donau-Ries erstattet, das hat ein Sprecher der Staatsanwaltschaft Augsburg am Montag bestätigt. Auf ihrer Webseite veröffentlichte die Sekte dazu eine Pressemitteilung: Demnach wirft sie den Mitarbeitern unter anderem Freiheitsberaubung, Nötigung und Verletzung des Briefgeheimnisses vor.
Hintergrund der Anzeige ist der Großeinsatz im vergangenen September: Damals holte die Polizei 40 Jungen und Mädchen aus den Gemeinschaften im bayerischen Wörnitz und Klosterzimmern. Zuvor hatte das Amtsgericht Nördlingen einen vorläufigen Sorgerechtsentzug angeordnet. Seit Jahren schon kannten Behörden die Misshandlungsvorwürfe, nun habe es "neuerliche Hinweise auf erhebliche und dauerhafte Kindesmisshandlung durch die Mitglieder" gegeben, teilte das Landratsamt Donau-Ries damals mit.
Auf ihrer Webseite schreiben die "Zwölf Stämme" jetzt, es seien damals mehrere Kinder in Obhut genommen worden, für die kein richterlicher Beschluss vorgelegen habe. Die Kinder seien gegen ihren Willen in das Landratsamt gebracht worden, das erfülle den Tatbestand der Freiheitsberaubung. Die anschließende Untersuchung des Amtsarztes bezeichnen die "Zwölf Stämme" als Nötigung. Zudem hätte das Jugendamt, so die Sekte in ihrer Pressemitteilung, alle Briefe der Eltern an die Kinder geöffnet und gelesen. Damit sieht die Gemeinschaft das Briefgeheimnis verletzt. Die Anzeige werde nun auf "strafrechtlich relevante Sachverhalte" geprüft, teilte der Sprecher der Staatsanwaltschaft mit.
Neben dieser Anzeige hat die Gemeinschaft zudem eine Dienstaufsichtsbeschwerde beim Landratsamt Donau-Ries eingereicht. Dort zeigt man sich wenig überrascht: Es sei klar, dass die "Zwölf Stämme" alle Mittel ausschöpfen werden, sagte eine Sprecherin. Ansonsten verweist sie auf das laufende Verfahren: kein Kommentar.
Die "Zwölf Stämme" berufen sich auf das Alte Testament: Wen der Herr liebt, den züchtigt er. Dem Internet stehen sie zwar eigentlich eher ablehnend gegenüber, trotzdem hat die Sekte ihre Öffentlichkeitsarbeit in den vergangenen Monaten stark ausgebaut. Immer wieder veröffentlichen sie auf ihrer Webseite Stellungnahmen, sie laden Videos hoch, in denen Kinder sagen, dass sie zurück zu ihren Eltern wollen, sie zeigen Briefe, in denen Kinder schreiben: "Hiermit will ich bestätigen, dass ich meinen eigenen Willen habe, den meine Eltern respektieren und NICHT BRECHEN." Aussteiger bezweifeln, dass wirklich die Kinder hinter den Briefen stecken.
In den vergangenen Monaten sind immer wieder Kinder der Gemeinschaft aus Heimen und Pflegefamilien verschwunden und später bei Eltern oder Großeltern wieder aufgetaucht. Einige Jungen und Mädchen durften auch vorerst zurück zu ihren Eltern, weil sie nach Auffassung des Gerichts entweder noch zu jung sind für körperliche Züchtigung oder zu alt - legt man die Maßstäbe der "Zwölf Stämme" an. Die Hauptsacheverfahren vor den Familiengerichten in Ansbach und Nördlingen sind allerdings noch nicht abgeschlossen. Dort entscheiden die Richter, ob den Eltern dauerhaft das Sorgerecht entzogen wird.
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Auf der Suche nach sich selbst: 16 Jahre lang lebte Amitsa mit den "Zwölf Stämmen", dann verließ sie mit ihren Eltern und drei Geschwistern die Sekte. Seitdem fragt sie sich: Wie gehen Menschen normalerweise miteinander um? Und was will ich, wenn niemand mir sagt, was ich wollen soll? mehr...
Amitsa als Kind: In der Sekte durfte sie ihre Haare nicht kurz schneiden und musste lange, wallende Kleider und Röcke tragen. Badeanzüge nähten die Frauen in der Gemeinschaft selbst, mit langen Ärmeln und Beinen.
Ständiger Begleiter: Ihre beiden Blöcke trägt Amitsa stets bei sich, genauso wie Tabletten gegen die Bauchschmerzen.
Leben auf dem Minenfeld: In den Blöcken notiert Amitsa, wie sie das Leben in der Sekte erlebt hat. Sie vergleicht es mit einem Gang über ein Minenfeld, jede Minute eine Explosion.
Ständig wachsam: "Ich habe wirklich versucht, ein gutes Kind zu sein", schreibt Amitsa. Sie spricht besser Englisch als Deutsch, mit der Sprache ist sie aufgewachsen
Kunsttherapie: Amitsa fällt es manchmal leichter, ihre Gedanken an die Sekte aufzumalen, als sie auszusprechen.
Fuß fassen: Nach der Sekte machte Amitsa eine Ausbildung zur staatlich geprüften Hauswirtschaftershelferin. Am Gymnasium hat sie es nicht geschafft: Im Dezember musste sie die Schule verlassen.
Nachholfbedarf: Amitsas Schreibtisch ist eine einzige Provokation. Hier sammelt sie das, was sie vorher nie haben durfte.
120 Lidschattenfarben: Schminken war in der Sekte natürlich verboten.
Stilwandel: Amitsa muss jetzt erst mal ausprobieren, was ihr eigentlich gefällt. Erst trug sie oft Kleider und Röcke, gern kurz und eng. Inzwischen mag sie es weit und bequem.
Amerika-Fan: Amitsa möchte gern irgendwann in die USA auswandern, sie hat dort Verwandte und Freunde, ebenfalls Aussteiger. Aber noch will sie in Deutschland bleiben, so lange wie sie hier gebraucht wird.