SPD-Schulpolitik
"Ventil für das sozialistische Gären"
Gabriele Behler, ehemalige SPD-Kultusministerin in Nordrhein-Westfalen, rechnet mit der Bildungspolitik ihrer Partei ab: Sie sei von Mythen geprägt, zum Beispiel was die Leistungen der Gesamtschule angeht. Ihren Parteigenossen dürfte die Abreibung kurz vor den Landtagswahlen nicht schmecken.
Eineinhalb Wochen vor der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen streiten die politischen Kontrahenten im Bundesland über die richtige Schulpolitik. Die oppositionelle CDU kündigte an, sie werde bei einem Machtwechsel das kürzlich beschlossene Schulgesetz einkassieren. Dann würden in der 3. Klasse die Halbjahreszeugnisse wieder eingeführt, das Betragen der Schüler würde auf den Zeugnissen dokumentiert.
Ministerpräsident Peer Steinbrück (SPD) verteidigte sich mit einer Erfolgsmeldung über den fortschreitenden Ausbau von Ganztagsschulen: "Wir werden vom Sommer an rund 1400 offene Ganztagsschulen haben, die mehr als 71.000 Plätze anbieten können", so Steinbrück.
Zu einem brisanten Zeitpunkt kommt da eine Intervention der früheren Schulministerin des Bundeslandes, Gabriele Behler (SPD): Sie setzt sich einem aktuellen Beitrag für die Wochenzeitung "Die Zeit" überaus kritisch mit der sozialdemokratischen Bildungsidealen auseinander. Mythen und Romantizismen prägten vielerorts die Bildungspolitik der SPD.
Mandat aus Protest niedergelegt
Die prominente Sozialdemokratin kritisiert ungewöhnlich offen und systematisch die SPD-Bildungspolitik der vergangenen Jahrzehnte. Behler war von 1995 bis 2002 Kultusministerin in Düsseldorf. Im Januar 2005 legte sie ihr Landtagsmandat aus Protest gegen das neue Schulgesetz nieder, das nach ihrer Auffassung die Qualität an Schulen minderte.
Als Beispiel für die sozialdemokratische Realitätsverweigerung führt Behler das Festhalten an der Gesamtschule an: Die Probleme der Schulform würden geleugnet, sie könnten trotz guter Ausstattung weder mit guten Schülerleistungen noch mit Erfolgen in Sachen Chancengleichheit aufwarten.
Die Parteiführung betrachte die Bildungspolitik als "Ventil für das sozialistische Gären in der SPD". Es gebe keine SPD-Konferenz und keinen regionalen Parteitag, "auf dem derzeit nicht wieder die vermeintlichen Heilsgewissheiten verkündet" würden. Damit "lud die SPD ein gerüttelt Maß an Mitschuld an dem Kulturkampf auf sich, der die deutsche Bildungspolitik nahezu zwei Jahrzehnte lang lähmte".
Die Bildungspolitikerin nennt in ihrer Schelte auch konkrete Namen von Parteifreunden: "Von Franz Müntefering über Edelgard Bulmahn und Heide Simonis bis zum Unterbezirksdelegierten aus Köln oder Frankfurt. Da feiern manche Mythen eine fröhliche Auferstehung, was prompt Kulturkämpfe nach dem Muster früherer Jahrzehnte nach sich zieht und nichts anderes als Blockaden bewirkt."
Den Anschluss verpasst
Die siebziger und achtziger Jahre bezeichnete Behler als "bleierne Zeit", in der Bildungspolitiker und Erziehungswissenschaftler den Anschluss an die internationale Modernisierung verschliefen. Die SPD habe sich von einem konsequenten Erziehungsverständnis verabschiedet und in den Schulen zu wenig auf Leistung geachtet habe. Gymnasiale Bildung wurde von Sozialdemokraten als reaktionär abgewertet. "Statt 'Fordern und Fördern' hieß die Parole 'Fördern statt Auslesen'", schreibt Behler.
Das konservative Lager schleppe dagegen eine "Vielzahl von vormodernen Ideologismen mit sich" herum. Zu nennen sind hier laut Behler "der jahrzehntelange Kampf gegen die Ganztagsschule unter der Parole der Verteidigung der christlichen Familie und die Verteufelung von Schulautonomie als Schritt zur Beliebigkeit oder von Gruppenarbeit als Ausdruck einer sozialistischen Kollektiverziehung".
Die Modernisierung des deutschen Bildungswesens sei nur im Konsens der Volksparteien möglich, so Behler. Der sei nur dann zu erreichen, "wenn beide großen politischen Lager auch ihre eigenen Verirrungen und Versäumnisse der Vergangenheit aufarbeiten und nicht liebevoll gepflegte Mythen einfach weitertradieren".