Spickmich.de BGH erlaubt Noten für Lehrer im Internet
Schüler dürfen ihre Lehrer weiterhin im Internet benoten. Das Persönlichkeitsrecht eines Lehrers werde dadurch nicht verletzt, entschied am Dienstag der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe. Das höchste deutsche Zivilgericht hat damit erstmals über die Zulässigkeit der von Schülern im Internet abgegebenen Lehrerzensuren entschieden. Die Senatsvorsitzende Gerda Müller betonte aber, dass damit nicht alle Bewertungsportale für zulässig erklärt würden. Vielmehr müsse jeder Einzelfall geprüft werden.

Noten für Lehrer: Die Spickmich.de-Macher (von l.) Manuel Weisbrod, Tino Keller und Philipp Weidenhiller vor der Urteilsverkündung
Foto: DPAGeklagt hatte eine Gymnasiallehrerin aus Nordrhein-Westfalen, die Deutsch und Religion unterrichtet. Sie wurde auf Spickmich.de in Kategorien wie "guter Unterricht", "cool und witzig", "menschlich" und "faire Noten" bewertet - und kam auf eine Gesamtnote von 4,3. Heute, zwei Jahre nach dem ersten Prozess am Landgericht Köln, sind einige Bewertungen hinzugekommen, die Note ist auf 3,2 verbessert worden.
Doch es ging ihr nicht um eine bessere Note - es ging ihr um die Möglichkeit, überhaupt bewertet zu werden. Mit ihrer Klage wollte sie erreichen, dass Daten wie ihr Name, ihre Unterrichtsfächer und vor allem ihre Bewertungen gelöscht werden. Zunächst war sie im Jahr 2007 mit einer einstweiligen Verfügung vor Gericht erfolgreich, unterlag aber anschließend, zuletzt vor dem Oberlandesgericht Köln. Wegen der grundsätzlichen Bedeutung des Falls ließ das Gericht die Revision zum BGH zu.
"Ein guter Tag für Deutschlands Schüler"
Das BGH-Urteil war mit großer Spannung erwartet worden - nicht nur von Schülern und Lehrern: Es ist die erste höchstrichterliche Entscheidung zu der Frage, wie zwischen dem Persönlichkeitsschutz von Betroffenen gegenüber der Meinungsfreiheit der Web-Community abzuwägen ist.
"Es ist ein guter Tag für Deutschlands Schüler - und ein guter Tag für die Meinungsfreiheit", sagte Spickmich.de-Macher Manuel Weisbrod kurz nach der Urteilsverkündung zu SPIEGEL ONLINE.
Auf Spickmich.de können Schüler ihren Lehrern in verschiedenen Kategorien Noten geben. Ab zehn Bewertungen wird für jeden Lehrer eine Gesamtnote errechnet. Zudem können Schüler Zitate ihrer Lehrer eintragen. Die Schüler selbst bleiben anonym, die Lehrer werden mit ihrem Nachnamen genannt, zudem sind ihre Fächer und ihre Schule angegeben.
Schüler können nur die Lehrer ihrer Schule bewerten und auch nur dort Bewertungen einsehen. Lehrer oder Eltern können ebenfalls die Bewertungen ihrer Schule abfragen, aber nicht selbst bewerten. Der Zugang ist wenig exklusiv: Ob die bei der Registrierung angegebene Schule tatsächlich stimmt, wird nicht überprüft.
"Es fehlt eine Waffengleichheit"
Die Anwältin der Lehrerin hatte argumentiert, dass das Bundesdatenschutzgesetz angewendet werden müsse: Wer die Daten zu den Lehrern einsehen wolle, müsse "glaubhaft darlegen", dass er ein "berechtigtes Interesse" daran habe. Es fehle eine "Waffengleichheit", da die Schüler anonym Behauptungen verbreiten könnten, gegen die sich die Lehrer nicht wehren könnten. Doch die Anbieter sind nach dem Urteil des Oberlandesgerichts nicht verpflichtet, die Nutzer eindeutig zu identifizieren. Der Aufwand wäre unverhältnismäßig, so die Richter.
Der Spickmich.de-Anwalt sagte, dass erst durch die Anonymität Waffengleichheit hergestellt würde: Angesichts von angedrohten Schulausschlüssen in verschiedenen Städten für den Fall, dass sich Schüler an dem Portal beteiligen, sei die Anonymität "sachgerecht". Die BGH-Richter urteilten: Auch anonyme Bewertungen seien von der Meinungsfreiheit gedeckt.
Spickmich.de-Gründer Weisbrod versicherte, man habe inzwischen ein technisches Verfahren eingeführt, "mit dem wir versuchen, Spaßbewertungen auszusortieren". Wie genau dieses Verfahren funktioniert, wollte er nicht sagen. Zudem könnten Schüler melden, wenn jemand bewertet, obwohl er nicht zur Schule gehört.
Die Klägerin hatte zudem argumentiert, dass ihre Privatsphäre verletzt werde, wenn sie nach den Kategorien "cool und witzig", "menschlich" oder "beliebt" bewertet wird. Zudem werde durch die Rubrik "Zitate" ihr Recht am gesprochenen Wort tangiert. Sie müsse selbst bestimmen können, ob sie zu einem Gesprächspartner, einem bestimmten Personenkreis oder zur Öffentlichkeit spricht.
Schon die Gerichte der unteren Instanzen hatten jedoch eine Verletzung der Privatsphäre verneint - es sei lediglich die Sozialsphäre der Lehrer betroffen, also ihr berufliches Wirken, das nicht dem rigiden Schutz der Privatsphäre unterliegt. Ein Eingriff in ihr Persönlichkeitsrecht liege nicht vor, das Bewertungsforum falle in den Schutzbereich der Meinungsfreiheit da die Bewertung des Verhaltens und Auftretens der Klägerin weder als Diffamierung oder Beleidigung noch als Schmähkritik aufgefasst werden könne. Und ohne die namentliche Nennung des jeweiligen Lehrers sei diese Meinungskundgabe nicht möglich. Der BGH folgte in seinem Urteil dieser Einschätzung.
"Das ist nicht der Untergang des Abendlandes"
Vor der Urteilsverkündung hatte Weisbrod im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE grundsätzlich Verständnis für die kritischen Lehrer geäußert: "Ich sehe da einen Generationenkonflikt: Lehrer sind im Durchschnitt rund 50 Jahre alt, die sind nicht wie die junge Generation täglich im Netz." Da sei eine diffuse Angst mit dabei, "eine ablehnende Haltung, ohne wirklich zu wissen, worum es geht". Von daher habe er Verständnis für Lehrer, die dagegen sind: "Sie sind eben eine andere Generation." Viele hätten allerdings inzwischen erkannt, "dass es nicht der Untergang des Abendlandes ist, bei uns bewertet zu werden".
Den Verband Bildung und Erziehung kann er nicht gemeint haben: Der verlieh der Internet-Plattform Anfang des Jahres seinen Pranger-Preis "Nasser Schwamm". Mit dem Negativpreis wollte der Verband das "Mobbing" und die "mediale Hinrichtung" von Lehrern kritisieren.
Der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, Josef Kraus, sagte nach der Urteilsverkündung am Dienstag, es sei zu hoffen, dass der Rechtsstreit "noch beim Bundesverfassungsgericht landet und das höchste Gericht sich auf die Seite der Persönlichkeitsrechte und des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung stellt".
Seit Februar 2007 gingen 27 Millionen Bewertungen ein
Die von Lehrern und Lehrerverbänden vorgetragene Kritik, statt übereinander zu urteilen, sollten Schüler, Lehrer und auch Eltern besser miteinander reden, widersprach Weisbrod nicht komplett. "Wir verneinen nicht, dass es bessere Feedbackkanäle als Spickmich.de gibt". Die direkte Auseinandersetzung sei sicher besser. "Das mag an manchen Schulen auch funktionieren, aber insgesamt sieht die Realität an Schulen trist aus", sagte Weisbrod SPIEGEL ONLINE. Der Vorsitzende des Philologenverbandes Nordrhein-Westfalen, Peter Silbernagel, hatte etwa in einem Streitgespräch bei SPIEGEL ONLINE die anonyme Bewertung "eine Form von Feigheit" genannt.
In England, den USA oder Kanada gehören sogenannte "Rate-my-teacher"-Seiten zum Schüler-Lehrer-Verhältnis, wie Pupskissen und Nachsitzen. In Frankreich wurde dagegen der Seite Note2be verboten, die Bewertung von Lehrern anzubieten, da sie eine "Störung des Bildungsbetriebes" bedeute. Spickmich.de ging im Februar 2007 online. Seither sind insgesamt rund 27 Millionen Bewertungen eingegangen. 448.000 Lehrer sind eingetragen, 1,1 Millionen Benutzer haben sich registriert.