Staatliche Bekenntnisschulen Andersgläubige müssen draußen bleiben

In Nordrhein-Westfalen tobt ein grotesker Glaubensstreit. Bei der Schulwahl zählt der Taufschein an einem Drittel der staatlichen Bildungseinrichtungen mehr als die Nähe zum Wohnort. Die Folge: Katholische Kinder bleiben unter sich, vor allem Muslime werden ausgegrenzt.
Von Hermann Horstkotte
Sandra Bock mit ihrer Tochter Fee: Koffer gepackt, ab nach Lübeck

Sandra Bock mit ihrer Tochter Fee: Koffer gepackt, ab nach Lübeck

Foto: Lars Bock

Fee Bock, 6, verstand die Welt nicht mehr, ihre Eltern fühlten sich wie im falschen Film aus vergangenen Zeiten. Ihr Haus grenzt mit dem Garten direkt an die katholische Donatus-Schule in Bonn. Dorthin wollte und sollte Fee ab dem neuen Schuljahr 2009/10, zusammen mit ihren Freundinnen aus der Nachbarschaft. Aber daraus wurde nichts. Denn das Mädchen ist noch ungetauft. "Das Bekenntnis hat Vorrang vor dem Wohnort", sagt dazu ein Sprecher der CDU/FDP-Landesregierung.

Diese Regelung ist praktisch ohne Belang, sofern es genug Plätze für Neuanmeldungen gibt. Das aber ist zum neuen Schuljahr oft nicht mehr der Fall, weil die "Schulbezirksgrenzen" innerhalb aller Städte und Gemeinden in Nordrhein-Westfalen beseitigt wurden. Das bedeutet: Eltern können ihre (rechtgläubigen) kleinen Genies jetzt an die Lieblingsschule kutschieren - aus Vororten mit hohem Migrantenanteil zum Beispiel an die Donatus-Schule in einem sozial privilegierten Umfeld, mit viel höherem und gehobenem Dienst aus Ministerien, Mitarbeitern der nahen Weltzentralen von DHL und Telekom.

Die Befürworter, vor allem aus der FDP, sehen in der Neuerung einen Wettbewerbsanreiz unter den Schulen, ein Druckmittel zur Qualitätssicherung und Profilierung. Mutter Sandra Bock sieht das ganz anders. "Ich konnte unserer Fee nicht erklären, warum sie an der Donatus-Schule nicht genommen wurde." Immer wieder habe sich das Mädchen eingeredet: "Ich bin nicht gut genug. Ich hab' irgendwas Schlimmes, dass ich wegbleiben muss."

Auch Dutzende anderer Eltern gerieten in Erklärungsnot, so Astrid Engels, deren Tochter ebenfalls ungetauft ist. Der Vater ist Muslim. Engels wurde an der katholischen Beethoven-Schule im Bonner "Villenviertel" abgewiesen. Sie hat vor Gericht geklagt - aber nicht schnell genug, alle Plätze waren schon vergeben. "Wir haben dann sogar mit dem Gedanken gespielt, irgendwo aufs Land zu ziehen, wo es nur einen Schultyp für alle und keine Benachteiligung aus religiösen Gründen gibt", sagt Engels.

Kein Herz für Heiden in der Diaspora

Familie Bock hat deswegen tatsächlich die Koffer gepackt und lebt jetzt in Lübeck. Die Mutter stammt aus Schleswig-Holstein. Nur deshalb fühlt sie sich nicht direkt wie eine religiös Verfolgte auf der Flucht. "In Bonn hätte ich aber meinen Halbtagsjob aufgeben müssen, um Fee irgendwo zur Schule zu bringen und wieder abzuholen."

"Solche Geschichten gibt es überall im Land", sagt Renate Hendricks, schulpolitische Sprecherin der SPD-Opposition im Landtag. Kein Wunder: Von den 3500 Grundschulen in Nordrhein-Westfalen sind 1100 katholisch und 100 evangelisch. SPD und Grüne fordern, dass ausnahmslos alle in erster Linie Kinder aus der Nähe, also mit kurzem Schulweg, aufnehmen. Bonn wird jetzt zum krassem Beispiel für "Kurze Beine, lange Wege", weil hier fast die Hälfte der städtischen Grundschulen konfessionell ist, nämlich 22 von 50.

Solche Bekenntnisschulen sind eine Spezialität in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen. Anders als konfessionelle Privatschulen befinden sie sich in hundertprozentiger staatlicher oder kommunaler Trägerschaft - das gilt auch für die Finanzierung. Erklären lässt sich das nur historisch. Aus Tradition wurden diese Bekenntnisschulen ausdrücklich in die NRW-Landesverfassung von 1950 aufgenommen. Sonst gibt es das nur noch in Niedersachsen, zuletzt aufgrund des Konkordats mit dem "Heiligen Stuhl" in Rom von 1965.

Mit neuem Schwung hinein in die migrantenfreie Zone

In beiden Bundesländern ist die Umwandlung in eine bekenntnisneutrale Schule nur mit einer Zweidrittelmehrheit der Eltern möglich. Einen solchen Versuch gab es etwa Ende 2008 an drei Schulen im zutiefst katholischen Vechta, aber lediglich ein Antrag kam durch. Dabei ist die Ablehnungsfront nicht mit christlicher Prinzipienfestigkeit gleichzusetzen: Wer sein Kind gezielt auf der Bekenntnisschule anmeldet, tut das oft mit einem rein weltlichen Hintergedanken - nämlich in der Hoffnung auf eine muslim- und migrantenfreie Zone. Offen so sagen würden die meisten Eltern das natürlich niemals.

Religion wird damit zum Vorwand für soziale Spaltung spätestens vom ersten Schultag an, ein gravierendes bildungs- wie integrationspolitisches Problem. Hier sind die "Deutschen", die "Türken" sind woanders - Kinder der Besserverdienenden gehen etwa zur katholischen Beethoven-Schule im Bonner Villenviertel, für arme Schlucker bleiben "soziale Brennpunkte" wie Bonn-Tannenbusch. "Dagegen müsste Integrationsminister Laschet vorgehen", fordert Oppositionspolitikerin Hendricks. Sie unterstützt eine entsprechende Petition von Eltern an den Landtag.

Tatsächlich hat das Düsseldorfer Verwaltungsgericht bereits 2008 abgewiesenen Eltern aus Oberhausen Recht gegeben und die Benachteiligung "Bekenntnisfremder" für hinfällig erklärt (Aktenzeichen 18 K 131/08). Allerdings nur aufgrund des widersprüchlichen Wortlauts vor- und nachrangiger Verwaltungsvorschriften und nicht in der Sache selbst. Das Urteil wurde auch nicht rechtskräftig, weil der Schüler - wie durch ein Wunder - doch noch einen passenden Platz erhielt und der Kläger damit "klaglos gestellt" wurde. Daher brauchte sich die nächste Gerichtsinstanz mit dem Fall nicht mehr zu befassen.

Kruzifix, die Katholiken bleiben unter sich

Bei ihrer Entscheidung hatten die Düsseldorfer Richter das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) ausdrücklich außer Betracht gelassen. Es verbietet zwar generell eine Diskriminierung aus religiösen Gründen. Aber: Selbst bei zwei bundesweit bekannten AGG-Experten keimt kein Widerspruch gegen die konfessionelle Vorfahrtsregel an staatlichen Bekenntnisschulen.

Sofort und unabhängig voneinander verweisen der Rechtsanwalt Frank Jansen sowie Klaus Alenfelder, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Antidiskriminierungsrecht, auf eine gesetzliche Einschränkung: Eine Ungleichbehandlung könne etwa "im Hinblick auf die Ausübung der Religionsfreiheit oder auf das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften unter Beachtung des jeweiligen Selbstverständnisses gerechtfertigt" sein (§ 20 Absatz 1 Nr. 4). Wolle man der Religionsfreiheit eines Einzelnen gegenüber der Gruppe immer den Vorrang geben, wäre der Betrieb religiöser Einrichtungen praktisch unmöglich, so die Fachleute. Damit wäre die kollektive Religionsfreiheit in Deutschland abgeschafft. Zugleich würde dann womöglich auch die Religionsfreiheit bekenntnisangehöriger Schüler beeinträchtigt, die zugunsten anderer Schüler nicht aufgenommen werden. In den Worten des lebenskundigen Laien: Katholisch bedeutet im Zweifelsfall eben doch katholisch.

Letztlich müssen Gerichte diese Frage klären. In zwei Monaten finden aber schon die Anmeldungen für das nächste Schuljahr statt. "Wenn sich bis dahin nichts ändert", warnt Astrid Engel, die voriges Mal zu spät geklagt hatte, "sollten bekenntnisfremde Eltern sofort bei Gericht vorläufigen Rechtsschutz beantragen."

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