Starke-Familien-Gesetz Wer profitiert wirklich?

Die Bundesregierung will Familien mit kleinem Einkommen besser unterstützen. Ein neues Gesetz sieht mehr Geld vor - für Kinder und Eltern. Hilft das?

Was kostet das Mittagessen in der Schule? Wie viel das tägliche Busticket? Und von welchem Geld werden Hefte und Stifte bezahlt? Über diese Fragen sollen sich Familien, in denen die Eltern Geringverdiener sind, künftig weniger Sorgen machen müssen.

Das sieht zumindest das Starke-Familien-Gesetz vor, das Familienministerin Franziska Giffey und Arbeitsminister Hubertus Heil (beide SPD) am Mittwoch in Berlin vorstellen. Es soll Teile des Bildungs- und Teilhabepakets verbessern, das vor sieben Jahren eingeführt wurde. Die Reform soll in zwei Stufen zum 1. Juli 2019 und zum 1. Januar 2020 greifen.

Etwa 4,4 Millionen Kinder in Deutschland sind nach Schätzungen des Deutschen Kinderschutzbundes von Armut betroffen. Für diese Kinder und ihre Familien soll "mehr Gerechtigkeit" geschaffen werden, so bewirbt das Familienministerium das geplante Gesetz. Stimmt das? Ein Überblick über die wichtigsten Fragen und Antworten.

Was genau soll sich für bedürftige Familien ändern?

  • Der Kinderzuschlag soll erhöht werden. Er wird zusätzlich zu Kinder- und Wohngeld gezahlt und unterstützt jene Familien, die ohne diesen Zuschlag Hartz IV beantragen müssten. Die Reform soll dafür sorgen, dass - anders als bisher - die Leistung nicht mehr schlagartig wegfällt, wenn das Einkommen auch ohne Kinderzuschlag gerade so reicht, um den Bedarf der Familie zu decken. Steigt das Einkommen und fällt der Kinderzuschlag deswegen weg, erhalten die Familien weiter Kindergeld.
  • Das Kindergeld soll erhöht werden: um zehn Euro pro Monat auf 204 Euro für das erste und zweite Kind, vom dritten Kind an auf 210 Euro pro Monat. 2021 soll es nochmals um 15 Euro steigen.
  • Das Schulstarterpaket soll erhöht werden. Es ist Teil des Bildungs- und Teilhabepaketes. Das neue Gesetz sieht vor, dass der persönliche Schulbedarf ab kommendem Schuljahr jährlich mit 150 Euro bezuschusst wird - bisher sind es 100 Euro.
  • Die Kosten für gemeinschaftliche Mittagessen für Kita- und Schulkinder aus Familien mit kleinem Einkommen will die Bundesregierung künftig vollständig übernehmen. Bisher kommen die Familien für Teile des Mittagessens selbst auf.
  • Gleiches gilt für Schülerfahrkarten des öffentlichen Nahverkehrs: Kindern aus bedürftigen Familien will die Regierung diese Karten zahlen - auch für Fahrten außerhalb des Schulverkehrs.
  • Die Nachhilfe für Schüler mit geringverdienenden Eltern soll bezuschusst werden.

Wie hoch ist der Kinderzuschlag nach der Reform?

Bisher ist es so: Der Kinderzuschlag beträgt pro Kind maximal 170 Euro monatlich - abhängig von Einkommen und Vermögen der Eltern. Ab Juli 2019 soll der monatliche Höchstbetrag zunächst um 13 Euro angehoben werden.

Wird das Einkommen der Eltern beim Kinderzuschlag angerechnet?

Das war bisher so - und es wird auch künftig so sein. Der Kinderzuschlag wird in voller Höhe ausgezahlt, wenn das Einkommen der Eltern nicht höher ist, als sie für ihren eigenen Bedarf benötigen. Die Höhe dieses Bedarfs wird von der Bundesregierung definiert und jährlich angepasst.

Wenn das Einkommen der Eltern höher ist als ihr Bedarf und so teilweise für die Kinder zur Verfügung steht, verringert sich der Kinderzuschlag: Dann werden 50 Prozent vom Betrag des Einkommens, den die Eltern über ihren Bedarf hinaus haben, vom Kinderzuschlag abgezogen. Die Reform sieht hier eine kleine Änderung vor: Künftig sollen 45 Prozent abgezogen werden.

Kann das Starke-Familien-Gesetz die Situation von Familien mit kleinem Einkommen verbessern?

Auf den ersten Blick wirkt das so. Doch die Realität sieht anders aus, meinen diverse Organisationen und Verbände. Beunruhigend ist beispielsweise das Ergebnis einer Auswertung von Paritätischem Wohlfahrtsverband und Deutschem Kinderschutzbund: Demnach profitieren viele Kinder kaum oder gar nicht von den Leistungen für Bildung und Teilhabe, die für sie vorgesehen sind. Von August 2016 bis Juli 2017 nahmen stets weniger als 15 Prozent der Kinder im Alter von sechs bis 15 Jahren Leistungen in Anspruch, auf die sie ein Recht hatten.

Dass das Bildungs- und Teilhabepaket mehr schlecht als recht funktioniert, ist seit Langem bekannt. Bereits in einem von der Bundesregierung vor zwei Jahren veröffentlichten Evaluationsbericht wurde deutlich, dass viele Leistungen kaum genutzt werden. Die Gründe: Das Antragsverfahren ist oft zu aufwendig, die Hürden sind zu hoch - oder die Zuschüsse sind zu niedrig, um etwa tatsächlich Musikunterricht und ein Instrument bezahlen zu können.

So sei das geplante Starke-Familien-Gesetz vor allem ein "Starke-Bürokratie-Gesetz", sagte Heinz Hilgers, Verbandspräsident des Deutschen Kinderschutzbundes, dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Die neuen Regelungen seien "so kompliziert, dass Kinderzuschlag und Bildungs- und Teilhabepaket auch weiter nur einen geringen Teil der Anspruchsberechtigten erreichen werden", sagte Hilgers.

Es sei "schon fast Realsatire" bei derart geringen Verbesserungen von einem Gesetz für starke Familien zu sprechen. Viele arme Kinder würden auch in Zukunft in Armut leben.

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