Ausbau der Ganztagsschulen Forscher verlangen Milliarden-Investitionen

Ganztagsschule in Hamburg: Jede zweite Schule bietet ein Nachmittagsprogramm an
Foto: Christian Charisius/ dpaAn mehr als der Hälfte aller Schulen werden inzwischen zumindest ein paar Kinder auch nachmittags betreut - doch nur gut ein Viertel der Schüler nutzt bundesweit das Ganztagsangebot. Zu diesem Ergebnis kommen Bildungsforscher im Auftrag der Bertelsmann Stiftung. Zugang zu einem Ganztagsschulplatz hätten 28,1 Prozent der Schüler, heißt es in einer aktuellen Studie des Deutschen Jugendinstituts (DJI).
Die meisten Ganztagsschüler gibt es in Sachsen. Drei von vier Schüler sind dort in einen Ganztagsschulbetrieb eingebunden. In Bayern ist es nur gut einer von zehn Schülern. In keinem anderen Bundesland ist der Anteil geringer. Historisch bedingt gibt es in den ostdeutschen Bundesländern zumindest im Primarbereich eine breitere Ganztagsbetreuung als im Westen. Im Schuljahr 2010/11 haben bundesweit 51,1 Prozent der deutschen Schulen Ganztagsangebote gemacht, das waren acht Prozent mehr als im Jahr zuvor.
Der Autor der Studie, Thomas Rauschenbach, kritisierte fehlende bundesweite Konzepte und Qualitätsstandards. Der bisherige Ausbau der Ganztagsschulen sei "eine Reise in die Zukunft ohne klares Ziel", sagte er. Es gebe zu viele unterschiedliche Organisationsformen und Typen.
Man unterscheidet zwischen offenen Ganztagsschulen, an denen meist vormittags der Unterricht und nachmittags freiwillige Sport- oder Kulturangebote laufen, und gebundenen Ganztagsschulen. Dort ist die Teilnahme am ganztägigen Unterricht für alle verbindlich.
Der Anteil der Schüler an gebundenen Ganztagsschulen ist besonders niedrig. Er lag im Schuljahr 2010/2011 bei 12,7 Prozent. Dabei könnten Kinder an solchen Schulen am besten gefördert werden, sagte Jörg Dräger, Vorstandsmitglied der Bertelsmann Stiftung. Zudem sei es einfacher, Konzentrations- und Entspannungsphasen abzuwechseln und den starren 45-Minuten-Takt aufzubrechen.
9,4 Milliarden Euro zusätzlich, um alle Schüler ganztags zu betreuen
Andere Bildungsforscher hatten 2010 im Auftrag des Bundesbildungsministeriums herausgefunden, dass Ganztagsschulen das Sozialverhalten von Schülern verbessern und das Risiko des Sitzenbleibens verringern können. Dräger forderte einen Rechtsanspruch auf einen Ganztagsschulplatz. "Jedes Kind in Deutschland sollte die Möglichkeit haben, eine gebundene Ganztagsschule zu besuchen", sagte er.
Das wäre allerdings nicht billig: Unter den Ganztagsmodellen ist die gebundene Ganztagsschule der teuerste Schultyp. Der Bildungsforscher Klaus Klemm hat berechnet, dass die Bundesländer 9,4 Milliarden Euro zusätzlich pro Jahr investieren müssten, um alle Schüler ganztägig zu betreuen. Nordrhein-Westfalen und Bayern müssten den größten Teil dieser Summe aufbringen, nämlich zusammen fast vier Milliarden Euro.
Die Bundesregierung hatte 2003 unter Kanzler Gerhard Schröder (SPD) ein Vier-Milliarden-Euro-Programm zum Ausbau der Ganztagsschulen gestartet. Das mit der Föderalismusreform 2006 eingeführte Kooperationsverbot von Bund und Ländern in der Bildung untersagt inzwischen eine Neuauflage solcher Programme.
Der SPD-Bildungspolitiker Ernst Dieter Rossmann forderte unter Hinweis auf die Bertelsmann-Studie erneut eine Grundgesetzänderung. "Wer mehr und bessere Ganztagsschulen will, muss das Kooperationsverbot gänzlich abschaffen", sagte er.
Auch die Linken-Bildungspolitikerin Rosemarie Hein verwies darauf, dass die Länder und Kommunen die Kosten für die inhaltliche und personelle Ausstattung sowie den dauerhaften Betrieb von Ganztagsschulen allein aufbringen müssten. "Damit sich auch der Bund am Ausbau von Ganztagsschulen finanziell beteiligen kann, ist die Aufhebung des Kooperationsverbots zwischen Bund und Ländern für den gesamten Bildungsbereich notwendig."
Die Bundesregierung plant zwar derzeit eine Lockerung des Kooperationsverbots, allerdings nur für den Hochschulbereich. Investitionen des Bundes in Schulen blieben damit weiterhin ausgeschlossen.