Notenrechner Hätten Sie das Abi auch in Bayern bestanden?

Abiturprüfung in Straubing: Gleiche Leistung, unterschiedliche Noten
Foto: Armin Weigel/ dpaEs ist diese eine Zahl, die zählt, wenn alles vorbei ist, wenn der Direktor seine Rede gehalten hat, man festlich gekleidet das Ende der zwölf oder 13 langen Jahre feiert, sich in den Armen liegt und in die Zukunft blickt: die Note auf dem Abiturzeugnis. Die Verwandten fragen danach, die Freunde, die Mitschüler. Vor allem aber: die Universitäten.
Sie schauen penibel auf diese Zahl, machen von ihr abhängig, wen sie studieren lassen und wen nicht. Wie viel an Nachkommastellen hängt, dürften in diesen Wochen, mit noch frischem Abitur und kurz vor dem Semesterstart, viele Hochschulbewerber erfahren haben: 42 Prozent aller Studiengänge in Deutschland sind derzeit zulassungsbeschränkt. Der Abitur-Schnitt bestimmt zumeist, ob man studieren darf - und was.
Man sollte daher annehmen, dass die Gesamtnote, die am Ende der Oberstufe über Lebenswege entscheidet, streng genormt, klar geregelt und absolut vergleichbar ist. Doch das Gegenteil ist der Fall. Die Abi-Note hängt auch von dem Bundesland ab, in dem ein Gymnasiast die Schule besucht: Wie SPIEGEL-ONLINE-Berechnungen zeigen, können Schüler, die in der Oberstufe identische Zensuren hatten, damit entweder ein Zweier-Abi hinlegen oder durchfallen - je nach Wohnort.
Das zeigt unserer Abitur-Vergleichsrechner, für den wir die Oberstufenbestimmungen der 16 Bundesländer ausgewertet und in Formeln übersetzt haben. Anhand der Beispielfälle können Sie sehen, wie unterschiedlich das Abitur je nach Land ausfallen kann. In dem Rechner können Sie auch selbst verschiedene Szenarien durchspielen und auf der Karte verfolgen, wie der Abiturschnitt zwischen den Ländern differieren würde, wenn sich einzelne Noten in der Tabelle verändern.
Wie kommt es zu den Unterschieden?
Schuld sind die verschiedenen - und mitunter eigenwilligen - Berechnungen der Länder: Sie fügen die Zensuren aus den Halbjahren der Oberstufe und der finalen Abiturprüfungen auf höchst unterschiedliche Weise zu einem Durchschnittswert zusammen. Mal zählen Kurse doppelt, mal nicht. Mal müssen Schüler so gut wie alle Leistungen in die Wertung einbringen, mal können sie auswählen und schlechte Kurse streichen.
Gute Abiturienten blieben tendenziell zwar gute Abiturienten. Doch die Chancengleichheit bei der Bewerbung um einen Studienplatz wird empfindlich gestört. Schlimmstenfalls sorgt die kunstvolle Berechnung sogar dafür, dass ein Schüler durchfällt, der in einem anderen Bundesland noch ein passables Abitur gemacht hätte. Logik ist hinter den Bestimmungen der Länder nicht zu erkennen.
Ein paar Beispiele:
- In Bremen dürfen in beiden Leistungskursen - in unserem Beispiel Deutsch und Englisch - höchstens zwei Halbjahresnoten schlechter sein als fünf Punkte. Wenige Kilometer weiter, in Niedersachsen, können Schüler sich einen Ausrutscher mehr erlauben: Erst wenn ein Abiturient mehr als drei sehr schlechte Halbjahresnoten in den Leistungskursen hat, wird ihm das Abitur verwehrt. Als kosmetische Tücke kommt noch hinzu, dass Leistungskurse in Niedersachsen anders heißen: Schwerpunktfächer.
- Christen hätten in Bayern bessere Chancen auf einen guten Abiturschnitt als in der Hauptstadt. In Berlin können die Religionsnoten nämlich nicht in die Wertung eingebracht werden, im katholischen Süden der Republik zählen dagegen mindestens drei Halbjahresnoten fürs Abitur. In den meisten anderen Ländern können die Schüler wählen, ob ihre Religionsnoten für den Abiturschnitt berücksichtigt werden sollen oder nicht.
- Und wer sich mit Physik, Biologie und Chemie schwertut, sollte Sachsen meiden. Dort müssen Schüler in der Oberstufe drei Naturwissenschaften belegen, in den meisten anderen Ländern in der Regel nur eine.
An den Wünschen der meisten Deutschen dürften diese Verhältnisse vorbeigehen: Eine Umfrage des Münchener ifo-Wirtschaftsforschungsinstituts zeigte erst kürzlich, dass 86 Prozent sich einheitliche Abiturprüfungen wünschen.
Inzwischen haben auch die Kultusminister die Unvergleichbarkeit des Abiturs als Problem erkannt. Ab 2017 soll es daher einen gemeinsamen Aufgabenpool für die Abschlussprüfung in vier Fächern geben. Die Schüler, die seit diesem Schuljahr in die entscheidende Phase der Oberstufe eingetreten sind, werden der erste Jahrgang sein, der diese Art "Zentralabi light" absolviert. Ihre Abituraufgaben in zwei Jahren werden demnach zwar nicht gleich sein, aber zumindest vergleichbarer als bisher.
Ein Fortschritt mag das sein. Aber ein winziger. Die Abiturprüfung, die nun stärker vereinheitlicht wird, macht nämlich nur einen Teil des Schnitts auf dem Abschlusszeugnis aus. Solange in den Oberstufen Wildwuchs herrscht, in einem Land Leistungen einfach gewertet werden, im nächsten doppelt und im dritten gar nicht, werden die Abi-Noten auseinanderdriften.
Gleiches Abi für alle? Man kann noch lange warten.
