
Fabelwesen Teenager: Aus Engeln werden Vögel
Fotobuch über Jugendliche So sieht Erwachsenwerden aus

Vee Speers, Jahrgang 1962, ist eine australische Fotokünstlerin. Sie studierte Kunst und Fotografie in Brisbane und zog vor 25 Jahren nach Paris. Ihre Arbeiten werden weltweit ausgestellt.
Das Tier ist tot. Das Rehkitz hängt dem Mädchen um die Schultern. Es ist eines natürlichen Todes gestorben - in einem Zoo oder Erlebnispark. Und nun wurde es ausgestopft. Das Mädchen hat keine Angst vor dem toten Tier, es wusste, auf was es sich bei diesem Shooting einlässt. Seltsame Kostüme, seltsame Accessoires. Sechs Jahre vorher wurde das Mädchen schon einmal von der gleichen Künstlerin fotografiert.
Die Künstlerin heißt Vee Speers, sie knüpft mit ihrem Fotoband "Bulletproof" an ihre Serie "The Birthday Party" an. Damals hat die Australierin Kinder im Alter von acht bis neun Jahren in Kostümen fotografiert. Sie kam auf die Idee, als ihre jüngste Tochter zu einer Geburtstagsparty eingeladen war, für die sich jedes Kind verkleiden sollte. Speers hat sie fotografiert und auch die Freunde der Tochter und Freunde der Freunde.
"Sich zu verkleiden, wenn man auf eine Geburtstagsparty geht, ist in Australien und Frankreich, wo ich lebe, normal", sagt sie. Damals wollte sie dieses Element der Kindheit festhalten. Den Reiz der Verwandlung und der Alltagsflucht, der in jeder Verkleidung steckt.
In "Bulletproof" zeigt Speers nun, wie sich die Kinder in Teenager verwandelt haben. Die Gesichtszüge sind härter geworden, die Körper wirken kräftiger, einige Mädchen sind etwas kurviger. Die Schwäche ist der Stärke gewichen, die Unsicherheit dem Selbstbewusstsein. Es sei gar nicht so einfach gewesen, ihre Protagonisten wiederzufinden, sagt die Fotografin. Zu einigen hielt sie Kontakt, nach anderen musste sie suchen, alle konnte sie nicht aufspüren.
Engel und Boxer
Auch dieses Mal tragen die Protagonisten wieder Kostüme. Speers macht aus ihnen Engel, Vögel oder Jäger. Sie verwandelt sie in Schweine oder Metzger, in Boxer und Soldaten, in Gefängniswärter und Diven. Die Teenager sehen aus, als hätten sie in den "Tributen von Panem" gekämpft.
In ihrem Fotoband kombiniert die Künstlerin Kinder- und Teenagerbilder und erlaubt dem Betrachter so eine Zeitreise. Sie lässt ihn daran teilhaben, wie aus den Kindern junge Erwachsene geworden sind. So schafft sie eine Art "Boyhood" auf Fotopapier. Der Film von David Linklater lief im vergangenen Jahr in den deutschen Kinos und begleitet die Geschwister Mason und Samantha dabei, wie sie erwachsen werden.
"Ich habe es immer gemocht, mir Bilder von Menschen anzuschauen, die aus unterschiedlichen Jahren stammen", sagt Speers. Das Vorher-Nachher findet sie spannend. In ihren Augen haben sich die Jungen weniger verändert. "Aus den Mädchen sind bereits Frauen geworden. Sie sind sich ihres Äußeren viel mehr bewusst als die Jungs", sagt Speers.
Die Fotografin fand es leichter, Kinder zu fotografieren. "Teenager machen sich viel mehr Gedanken darüber, wie sie aussehen." Die Kindheit werde stärker von der Vorstellungskraft beherrscht, der Geist, die Gedanken sind freier, spontaner.
Speers hat sich gefragt, wann der Zeitpunkt ist, an dem aus Kindern Erwachsene werden. "Vielleicht, wenn sie für sich selbst Verantwortung tragen müssen und ihre Freiheiten ausleben", sagt sie. Vielen ihrer Protagonisten hat Speers für das Foto eine Waffe in die Hand gegeben, einen Bumerang, ein Geweih, Boxhandschuhe, eine Pistole, Hörner, einen Degen, Patronengürtel. "Sie brauchen Waffen fürs Leben", sagt sie. Für all das Böse, das ihnen begegnen wird. Mit diesen Waffen sind sie unbesiegbar. Zumindest auf den Fotos.