Twitter an Grundschulen Kinder lernen 140-Zeichen-Sprache

An einigen französischen Schulen setzen Lehrer den Kurznachrichtendienst Twitter ein, um Kindern Lesen und Schreiben beizubringen. 140 Zeichen passen gut zur Alterstufe, argumentieren die Pädagogen. Und wenn Kinder keinen Bildschirm vor sich hätten, würden sie eh nicht zuhören.
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Twitter an Grundschulen: Online first

Foto: PHILIPPE HUGUEN/ AFP

Auf die Frage, wer denn laut vorlesen will, recken fast alle Schüler die Finger in die Höhe. Dabei sind die Siebenjährigen in der Privatschule Immaculée Conception im nordfranzösischen Seclin auch nicht lesefreudiger als anderswo. Doch die Kinder dürfen aus dem Kurznachrichtendienst Twitter vorlesen, und den finden sie cooler als ihre herkömmlichen Lehrbücher. Auf Twitter gebe es auch Bilder, doch das mindere das Interesse an der Schrift nicht, im Gegenteil, sagt die Lehrerin Céline Lamare.

Seit September setzt die junge Frau mit den halblangen lockigen Haaren die Kurznachrichten von maximal 140 Zeichen, die Tweets, in ihrem Leseunterricht ein. Statt morgens wie in anderen Schulen die schwarze Tafel aufzuklappen, schaltet sie einen Riesenbildschirm an, auf dem in Großformat die Mitteilungen anderer Klassen in Frankreich, Belgien und Kanada erscheinen.

Die Schüler in Seclin verfassen dann kurze Antworten auf die Botschaften, die sie erst in ihr Heft schreiben müssen und die dann korrigiert werden. "Guten Tag, ich heiße Elise, ich wohne in Seclin und bin sieben Jahre alt", schreibt eine Schülerin.

Immer an den Leser denken

"Die 140 Zeichen bei Twitter passen gut zu ihrer Lernstufe", sagt die Lehrerin. Außerdem zwinge der Kurznachrichtendienst die Kinder, an ihre "Leser" zu denken und gebe so der Übung zusätzlich Sinn. "Man kann mit anderen Klassen reden, also strengt man sich mehr an", sagt die kleine Valentine.

Schulprojekte mit Twitter existieren auch in anderen Ländern, auch in Deutschland. Doch meist ist es die Oberstufe, die mit dem Kurznachrichtendienst ihren Diskussionen eine neue Form verleiht. In Frankreich gibt es auf der Website Twittclasses  124 solcher Projekte, davon 37 für die Grundschule.

Da die Kinder sowieso mit dem Computer aufwachsen würden, lenke der Bildschirm nach Ansicht von Lehrerin Lamare auch nicht vom Lernen ab. Im Gegenteil: "Wenn sie keinen Bildschirm vor sich haben, hören sie nicht zu." Ihre Schüler seien so sehr mit dem Computer vertraut, dass sie von sich aus Fotos auf einen USB-Stick laden und in die Schule mitbringen würden, um sie über Twitter zu verschicken.

Auch die Eltern stehen dem Projekt der Lehrerin zufolge positiv gegenüber. Anfangs seien sie noch skeptisch gewesen, was den Datenschutz in sozialen Netzwerken angeht. Inzwischen aber "reden sie nur noch über den Spaß, den die Kinder damit in der Schule haben".

otr/AFP
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