Unicef-Bericht über britische Kinder Markenfixiert und allein gelassen

Was ist los mit der britischen Jugend? Das fragte sich die Welt, als in England die Krawalle tobten. Jetzt beleuchtet ein Unicef-Bericht, wie Kinder in Großbritannien aufwachsen: Ihnen fehle Geborgenheit und Nestwärme - und in den Familien herrsche Konsumwahn.
Plünderung in Birmingham: Vielen Randalierern ging es um teure Konsumgüter

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Foto: Tim Hales/ AP

Nach den Krawallen in englischen Städten vor wenigen Wochen lautete die großen Fragen: Wie konnte das passieren? Was treibt Jugendliche, die randalieren, plündern, brandschatzen? Was sagt es aus über eine Generation, wenn Jugendliche in Scharen Schaufenster einwerfen, um an Fernsehgeräte und Mobiltelefone heranzukommen?

Jetzt hat das internationale Kinderhilfswerk Unicef einen Bericht  veröffentlicht, der ein Schlaglicht darauf wirft, wie wenig behütet Kinder in Großbritannien aufwachsen - jedenfalls im Vergleich zu spanischen und schwedischen Kindern. Auch wenn Unicef damit keine Antworten für die Krawall-Ursachen liefert, beleuchtet der Bericht den Druck und die Schwierigkeiten, mit denen Eltern und Kinder fertig werden müssen.

Besonders britische Familien mit wenig Einkommen kommen demnach kaum dazu, genügend Zeit mit ihren Kindern zu verbringen. "Der Bericht zeigt, dass die Eltern sich ihren Kindern gegenüber zwar verpflichtet fühlen, aber sie schaffen es nicht, genügend Zeit mit ihnen zu verbringen, teilweise wegen langer Arbeitszeiten", heißt es. Und die Eltern stünden unter erheblichem Druck, ihren Kindern teure Markenartikel zu kaufen - Konsumwahn auf der einen, fehlende Nestwäre auf der anderen Seite.

Gefangen in einer "materialistischen Kultur"

Der Bericht basiert auf einer Studie des Instituts Ipsos Mori, die im Auftrag der britischen Unicef-Abteilung angefertigt wurde. Die Forscher konzentrieren sich auf die Frage, wie das Wohlbefinden der Kinder zusammenhängt mit gesellschaftlicher Ungleichheit und Materialismus. Sie kommen zu dem Schluss: Britische Kinder fühlten sich gefangen in der "materialistischen Kultur" ihres Landes und würden gerne mehr Zeit mit ihren Eltern verbringen.

Eine statistisch-relevante Aussagekraft hat die Studie nicht, die Autoren wollten vielmehr in langen Gesprächen mit Kindern und Eltern sowie Beobachtungen mehr über die Hintergründe des Familienlebens in den drei Ländern erfahren. Sie sprachen mit rund 250 Kindern zwischen acht und 13 Jahren. Sie interviewten, beobachteten und filmten 24 Familien und gingen in jedem Land an sieben Schulen.

Sie machten sich an die Ursachenforschung, nachdem Großbritannien bereits bei einer Unicef-Studie im Jahr 2007 bezüglich der Kinderfreundlichkeit auf dem letzten Platz unter 21 Industrieländern gelandet war. Mangelnde Unterstützung der Regierung und eine "Jeder-gegen-Jeden"-Mentalität in der Gesellschaft seien dafür verantwortlich, hieß es schon damals.

Zwar gaben jetzt laut der aktuellen Studie in allen drei verglichenen Ländern die befragten Kinder an, die Zeit mit ihren Eltern sei ihnen wichtiger als materieller Wohlstand. Doch: "Die Kultur des Konsums in Großbritannien unterscheidet sich deutlich von der in Schweden und Spanien, wo die Familie im Vordergrund steht", heißt es. Es scheine, als würden britische Familien eher versuchen, durch Konsum Beziehungsprobleme zu kompensieren oder "soziale Unsicherheit".

Sowohl in Spanien als auch in Schweden sei es viel selbstverständlicher, im Alltag Zeit mit seiner Familie zu verbringen als in Großbritannien. Die britischen Eltern geben verschiedene Gründe dafür an, dazu gehören geringe Löhne und viele Überstunden. In Schweden hingegen trafen die Forscher auf viele Familien, die teilzeit arbeiten und so flexibler sind, ihre Familienleben zu gestalten. In Spanien wiederum passen demnach andere Verwandte auf die Kinder auf, wenn die Eltern keine Zeit haben.

otr/dpa
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