USA-Schüleraustausch Wer warf den ersten Stein?

Der SPIEGEL-Beitrag über Mobbing gegen deutsche Austauschschüler in den USA hat völlig unterschiedliche Reaktionen ausgelöst: In einer Flut von E-Mails bestätigen manche Jugendliche massive Anfeindungen, andere werden sogar für die deutsche Linie gelobt. Derweil müssen sich auch US-Gäste an deutschen Schulen mitunter für den Bush-Kriegskurs rechtfertigen.
Von Katrin Gröschel

Ein halbes Jahr arbeiteten die Schüler der Hamburger Realschule Sachsenweg auf ihren USA-Austausch hin, gefreut hatten sich alle. Doch plötzlich soll dieser Austausch nicht mehr stattfinden. Die amerikanische Partnerschule in Tennessee sagte kurzfristig ab - aus der Traum von den unbegrenzten Möglichkeiten.

"Etwa zwei Wochen vor den Ferien wurden wir indirekt ausgeladen", sagt Schulleiter Hartmut Haesler. Der Grund dafür sei, dass die Schule terroristische Anschläge befürchte und deshalb unter Alarm stehe. Den wahren Grund für die Absage erfuhren die Schüler laut "Hamburger Abendblatt" dann aber per E-Mail von einer Schülerin: Deutschland unterstütze Amerika nicht im Krieg, und das sei beängstigend, habe die Klassenlehrerin der Austauschpartnerin gesagt.

"Wir stehen wohl nicht auf der richtigen Seite", so Hartmut Haesler. Inzwischen ist der Kontakt nach Amerika auf Eis gelegt. Die politische Lage hat auch die guten Beziehungen der Schulen untereinander gestört. Die Tickets wurden zurückgegeben, die 14 Schüler bleiben hier. Wie es weiter geht, weiß niemand so genau. "Wir bemühen uns eine andere Schule zu finden, vielleicht eher im Norden", sagt der Schulleiter.

Menschen, Meinungen, Emotionen

Während die Hamburger Realschüler erst gar nicht rein dürfen, weilen derzeit rund 10.000 deutsche Schüler an den öffentlichen High Schools in Amerika. Der SPIEGEL-Artikel "Ganz rüde Anmache", in dem deutsche Austauschschüler über Anfeindungen von amerikanischen Mitschülern berichten, löste völlig unterschiedliche Reaktionen aus. In hunderten von E-Mails berichteten deutsche Austauschschüler über ihre Erfahrungen.

So leicht, wie es in den Hollywood-Filmen immer aussieht, haben sie es momentan nicht. Die Diskussionen über den nahenden Irakkrieg und die gespannten politischen Beziehungen zwischen Amerika und Deutschland lassen die Emotionen hochkochen. Deutsche Schüler werden in ihren Schulen mit der politischen Linie der Bundesregierung konfrontiert, müssen sich rechtfertigen und werden mitunter sogar beschimpft.

Andere können die Aufregung nicht teilen, sie haben aus ihrem Umfeld durchweg positive Reaktionen bekommen. In Internetforen  wird darüber heftig debattiert: Die Angefeindeten sind empört, wer andere Erfahrungen gemacht hat, springt für die doch nicht so patriotischen Amerikaner in die Bresche.

So schreibt Johannes, der zurzeit in Centre im Bundesstaat Alabama lebt, dass die Franzosen verhasst seien und Deutsche immer noch als Nazis gälten. Selbst der Geschichtslehrer an der High School machte sich über die Deutschen lustig: "Die deutsch-amerikanischen Beziehungen sind schlecht. Na und? Was wollen die Deutschen denn machen. Protestieren?"

"Es geht niemals ins Persönliche"

Birte aus Chester in New Jersey dagegen war bisher keinerlei Anfeindungen ausgesetzt. In ihrer Gastfamilie wird rege diskutiert. Wie sie haben offenbar die meisten Austauschschüler bisher keine negativen Erfahrungen gemacht. Viele berichten, dass nicht alle Amerikaner für den Krieg seien und die deutsche Linie sogar lobten.

Anne Kantel ist im letzten Jahr über Experiment e.V. zum Austausch in eine kleine Stadt nach North Carolina gekommen. Die Leute dort könnten sehr wohl zwischen dem Menschen und dem Land unterscheiden: "Ich werde weiterhin sehr gut behandelt und respektiert, auch wenn die Meinungen teilweise ins entgegengesetzte Extreme gehen", erzählt Anne. Es werde diskutiert - teilweise auch etwas lauter -, aber es gehe niemals ins Persönliche.

Sie und ein amerikanischer Freund haben seit einiger Zeit den Freitag zum Anti-Krieg-T-Shirt-Tag erklärt. "Ich bin mir sicher, dass meine Gegenwart, und wenn auch nur an meiner kleinen Schule, einen großen Unterschied macht, in welcher Art und Weise Amerikaner hier Deutschland sehen", so die Schülerin.

Deutsche Schulen mit Heiligenschein?

Über den Veranstalter Experiment e.V. sind derzeit 240 Austauschschüler in Amerika, 60 davon mit dem Parlamentarischen Partnerschaftsprogramm des deutschen Bundestages und des amerikanischen Kongresses. Ebenso viele amerikanische Schüler leben hier in Gastfamilien. Wie gehen sie mit diesem Problem um? "Den Kids hier in Deutschland geht es, so viel wir wissen, gut", sagt Christoph Dreßler von Experiment e.V., "sie stehen zu Europa und ihrem Gastland."

Eine der Austauschschülerinnen ist Kathleen O'Neill aus Georgia. Die 17-Jährige lebt nun schon seit Sommer letzten Jahres in Rosenfeld bei Tübingen: "Ich hatte ziemliches Glück. Ich habe viele Freunde gefunden, die fragen mich zwar nach meiner Meinung, aber ich werde nicht für die Politik Amerikas verantwortlich gemacht", so Kathleen gegenüber UniSPIEGEL ONLINE. Sie hat nur das Gefühl, das die allgemeine Grundstimmung schlecht sei. Den anderen Austauschschülern, die sie regelmäßig bei Seminaren treffe, gehe es da ähnlich.

In einem Zwischenseminar für die amerikanischen Experiment-Gäste gab es trotzdem Diskussionen darüber, dass sich einige Lehrer offenbar sehr antiamerikanisch äußern. Kate Horning aus Virginia muss sich ebenfalls mit der politischen Situation auseinandersetzen: "Es ist schon unangenehm, wenn einem gesagt wird, dass alles, was Amerika macht, doof ist." Sie hört bei den Diskussionen in der Klasse in Werne zu, sagt auch, was sie denkt. Aber sie merkt ebenfalls deutlich, dass Lehrer und Schüler mit der Linie der USA nicht einverstanden sind. Angefeindet wurde Kate aber nicht: "Viele fragen mich nach meiner Meinung zum Krieg, aber es wurde bisher nie persönlich."

Kaum Beschwerden bei den Veranstaltern

Bei Agenturen, die Austauschaufenthalte für Schüler vermitteln, sind bisher wenig Beschwerden oder verzweifelte Hilferufe aus Amerika eingegangen. "Wir haben engen Kontakt mit unseren Schülern und auch zu deren Eltern. Im Moment gibt es aber keine Probleme", sagt Margot Reinhardt von der Berliner Agentur Ayusa. "Wir raten den Jugendlichen, zur politischen Position Deutschlands lieber keine Stellungnahme abzugeben."

Die Hamburger Organisation Youth for Understanding sucht sogar noch Gastfamilien, die amerikanische Austauschschüler für ein Jahr aufnehmen. Knut Möller hat von seinen Schützlingen bisher sehr wenig Kritik am Verhalten der Amerikaner gehört: "Etwa sechs von 872 Schülern war es unangenehm, dass sie für die politische Lage haftbar gemacht wurden, aber man geht ja auch in ein anderes Land, um die verschiedenen Standpunkte zu diskutieren und kennen zu lernen."

Auch Michael Pahl von AFS Interkulturelle Begegnungen e.V. hat bisher wenig negative Rückmeldungen bekommen: "Soweit wir wissen wird, niemand angefeindet, und es denkt auch niemand an Abbruch." Die Austauschorganisation GIJK verzeichnet schon seit dem 11. September 2001 rückläufige Zahlen für den USA-Austausch. Jetzt seien die Zahlen aber nochmals um ein Fünftel gesunken. Verbale Attaken wurden bisher nicht gemeldet, aber "ein paar Spinner gibt es überall, die gibt es auch ohne Irak-Thema", meint GIJK-Sprecher Thomas Kiechle.

Barbara Engler von Aktion Bildungsinformation (ABI) rät den Schülern zur Diplomatie: "Ich denke schon, dass es viele Jugendliche gerade nicht leicht haben", sagt sie. "Vielleicht ist es besser, im Moment nicht unbedingt zu sagen, was man denkt."

Die Probleme sieht Barbara Engler nicht nur bei Anfeindungen, auch Ausgrenzung mache den Schülern das Leben schwer. Sie glaubt nicht, dass es allen Austauschschülern tatsächlich so gut geht, wie einige Veranstalter behaupten. "Wenn die Familie nicht mehr mit der Einstellung des deutschen Schülers zurecht kommt, kann es schon passieren, dass er die Familie wechseln muss", meint sie.

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