Wie deutsche Kitas überprüft werden "Wir haben die Kinder sofort da rausgeholt"

Gibt es genug Personal? Hat jedes Kind genug Platz? In Hamburger Kindergärten überprüfen das Dirk Bange und seine Kolleginnen und Kollegen
Foto: Christian Charisius/ DPAWaschräume in Kitas sollten sauber sein, klar. Es sollten genug Erzieherinnen und Erzieher eingestellt sein, die die Kinder betreuen. Und natürlich sollte es in einer Kita nicht schimmeln, nirgends.
Was selbstverständlich klingt, ist es nicht zwingend. Überall in Deutschland gibt es immer wieder Einrichtungen, in denen Grundlegendes nicht funktioniert. Alle Bundesländer haben deshalb Kita-Aufsichten, in denen Menschen wie Dirk Bange arbeiten: Bange leitet die Abteilung "Familie und Kindertagesbetreuung" in der Hamburger Sozialbehörde.

Dirk Bange, Jahrgang 1963, ist Diplompädagoge und Abteilungsleiter bei der Hamburger Behörde für Arbeit, Soziales Familie und Integration. Bange ist zudem Autor verschiedener Fachbücher.
Bange und sein Team kontrollieren alle Hamburger Einrichtungen, in denen Kinder von pädagogischen Fachkräften betreut werden. Werden Vorgaben, die seine Behörde und der Gesetzgeber entwickelt haben, erfüllt? Also: Gibt es genug Personal? Hat jedes Kind genug Platz? Ist alles in Ordnung in Sachen Hygiene? Das überprüfen Bange und seine Kolleginnen und Kollegen. Was dabei herauskommt und welche Konsequenzen den Einrichtungen bei Nichteinhaltung der Regeln drohen, erzählt Bange im Interview.
SPIEGEL: Herr Bange, was muss ich machen, wenn ich eine Kita eröffnen will?
Bange: Sie kommen zu uns. Wir beraten über rechtliche Vorgaben und pädagogische Konzepte. Eine Kita kann nur dann eröffnen, wenn uns alle Pläne dazu vorliegen und wir diese Pläne abgesichert haben, indem wir die Räumlichkeiten, unter anderem gemeinsam mit Feuerwehr, Bauaufsicht und Gesundheitsamt, überprüft haben. Wir müssen zum Beispiel sicherstellen, dass die Kinder im Falle eines Brandes schnell und ohne Schaden aus ihrer Kita kommen. Aber auch, ob pädagogisch-konzeptionelle Vorgaben erfüllt sind und ob es genügend Personal gibt.
SPIEGEL: Angenommen, es ist alles okay und die Einrichtung bekommt von Ihnen die Betriebserlaubnis: Kommen Sie später noch mal wieder?
Bange: Lange Zeit war es so, dass wir fast ausschließlich auf Beschwerden von Eltern hin aktiv wurden. Seit Kurzem dürfen wir Besuche zusätzlich dazu aber auch ohne Anlass durchführen. Jede Kita bekommt nun alle fünf Jahre Besuch von uns. Das gibt es so bisher aber nur im Bundesland Hamburg.
SPIEGEL: Wie läuft es in anderen Bundesländern?
Bange: Die Mitarbeiter der Kita-Aufsichten dürfen nicht ohne Anlass in den Kitas vorbeischauen. Das sieht die Gesetzgebung so vor. Während die meisten Bundesländer und Kommunen dafür wären, dass sich das ändert, sind viele Träger und Verbände dagegen: Sie fürchten, dass die Kita-Aufsicht die Einrichtungen dann unter Generalverdacht stellt und sprechen von einem Vertrauensbruch. In unserer Hamburger Behörde glauben wir, dass eine regelmäßige Überprüfung sehr sinnvoll ist. Die anderen Länder bemühen sich, das ebenfalls durchzusetzen, Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein und Niedersachsen etwa arbeiten an einem entsprechenden Gesetzentwurf auch zur Heimaufsicht.
SPIEGEL: Sind fünfjährliche Untersuchungen nicht viel zu selten?
Bange: Da wir eben keinen Generalverdacht haben, eigentlich nicht: Wir wollen einfach schauen, ob noch alles stimmt. Etwa, ob die Kita weiterhin über genügend Personal verfügt. Oder, ob jedes Kind auf dem Außengelände genug Quadratmeter Platz hat zum Spielen, wie die Kita-Richtlinien in Hamburg es vorsehen. Wir wollen aber auch prüfen, ob die Entwicklungsberichte, die über Kinder mit Behinderung angefertigt werden müssen, vollständig vorliegen.
SPIEGEL: Stehen Sie dann wie Kita-Kommissare vor einer Einrichtung und drängen auf Einlass?
Bange: Nein. Wir kommen ohne Anlass, aber nicht ohne Ankündigung. Wir geben einige Wochen vorher Bescheid.
SPIEGEL: Und das bringt etwas? Schließlich bleibt den Kitas so womöglich genügend Zeit, sich auf Ihren Besuch vorzubereiten.
Bange: Ist doch nicht schlimm. Was für uns relevant ist, kann meistens eh nicht so schnell gelöst werden: Erzieher können kaum innerhalb weniger Wochen neu eingestellt werden, und falls zu viele Kinder in einer Gruppe sind, kann auch nicht innerhalb der kurzen Zeit ein Anbau gebaut werden. Und selbst wenn: Wenn unsere Ankündigung dazu führt, dass solche Berge versetzt werden, ist das doch gut.
SPIEGEL: Mit welchen Konsequenzen müssen Kitas rechnen, wenn sie die Vorgaben nicht erfüllen?
Bange: Erst einmal gehen wir mit den Einrichtungen ins Gespräch und überlegen, wie wir gemeinsam etwas verändern können und wie wir als Behörde dabei helfen können. Wenn Zustände dauerhaft unverändert bleiben oder in sehr akuten Fällen, sperren wir auch Räume oder schließen gleich eine ganze Kita. Neulich gab es in einer Kita beispielsweise starken Schimmelbefall. Wir haben die Kinder sofort da rausgeholt. Und kümmerten uns dann darum, dass sie in anderen Gruppen der Einrichtung betreut werden, damit Eltern trotzdem arbeiten gehen konnten.
SPIEGEL: Wie oft kommt es vor, dass Sie eine Kita komplett schließen müssen?
Bange: Sehr selten. Das letzte Mal war es so: In einer Krippe gab es innerhalb von anderthalb Jahren so viele Personalwechsel, dass nicht mehr sichergestellt werden konnte, dass die sehr kleinen Kinder eine stabile emotionale Beziehung zu ihren Erziehern aufbauen können. Die Situation ließ sich über Monate nicht verbessern, deswegen entzogen wir der Einrichtung die Betriebserlaubnis.
SPIEGEL: Wenn Sie Kitas überprüfen: Geht es dann auch darum, wie die Erzieherinnen und Erzieher in den Kitas mit den Kindern umgehen?
Bange: Wir überprüfen das nicht direkt. Wir werden aktiv, sobald uns Probleme bekannt werden, etwa durch einen Hinweis oder eine Beschwerde von Eltern. Es passiert immer wieder, dass die uns kontaktieren, wenn sie beispielsweise den Verdacht haben, dass in der Kita ihres Kindes sexuelle Gewalt stattfindet.
SPIEGEL: Was unternehmen Sie, wenn ein solcher Fall Sie erreicht?
Bange: Das kommt drei- bis viermal im Jahr vor. Grundsätzlich gilt: Die Ermittlungen übernimmt die Polizei. Wir stehen der Kita, die in einem solchen Fall unter Schock steht, zur Seite: Wir fordern den Träger auf, die Kollegin oder den Kollegen freizustellen. Wir vermitteln Fachberatungsstellen. Wir stellen uns für Gespräche mit Erziehern zur Verfügung. Wir sind aber auch da, wenn sich nach den Ermittlungen herausstellt, dass die Vorwürfe nicht zutreffen. Wir helfen der zunächst beschuldigten Person, die dann ja häufig einige Zeit nicht gearbeitet hat, bei der Wiedereingliederung.
SPIEGEL: Sicherlich auch eine sehr schwierige Situation für die Familien.
Bange: Deswegen gehen wir natürlich auch mit denen ins Gespräch - und meistens sogar als Erstes, weil die Hinweise meistens von ihnen selbst kommen. Wir sind allerdings keine Psychologen. Wir helfen dabei, Fachleute zu finden, die in einer solchen Situation auch längerfristig weiterbegleiten können.
SPIEGEL: Erinnern Sie sich an einen Fall, der Sie persönlich mitgenommen hat?
Bange: Ja, in Hamburg gab es mal einen Fall, nachdem ich nicht einfach so zur Tagesordnung übergehen konnte. Ein Erzieher wurde verurteilt, weil er gegenüber Kindern sexuell übergriffig geworden war. Besonders krass: Der Erzieher war aus einer Einrichtung in Niedersachsen nach Hamburg gewechselt - und obwohl er in Niedersachsen auch schon auffällig geworden war, drang das nicht bis nach Hamburg durch. Es wurde ziemlich schlecht kommuniziert. Der Erzieher wurde also zum zweiten Mal zum Täter, was erst in Hamburg herauskam - und damit viel zu spät.