Zehn Jahre Pisa Die Bildungsschocker
Als die OECD vor mehr als zehn Jahren die ersten Schüler zum Test zitiert hat, war Pisa nur eine Stadt in Italien. Heute steht Pisa für ein Bildungsdesaster, über das Lehrer, Studenten, Professoren und Politiker in Deutschland immer noch diskutieren.
Dabei begann das, was für viele in der Katastrophe endete, für die Schüler zunächst eher als Spaß, als nette Ablenkung vom tristen Alltag. Cool, zwei Tage keine Schule, dachten manche, als sie von ihren Lehrern erfuhren, dass sie Aufgaben lösen sollten. Pisa sagte ihnen nichts, unter OECD konnten sie sich nichts vorstellen, über Schulen dachten sie nicht nach, sondern gingen einfach jeden Morgen hin.
Die Pisa-Prüflinge von damals verschwanden in einer gesichtslosen Masse. Ihre Namen wurden zu Nummern, die zugesicherte Anonymität wurde gewahrt, nur das Ergebnis zählte.
Im SchulSPIEGEL erzählen Schüler aus drei Pisa-Generationen, wie sie den Test erlebt haben. Eine schrieb im Jahr 2000 mit, einer im Jahr 2003 und eine im Jahr 2006 - ihre Erinnerungen könnten unterschiedlicher kaum sein. Lesen Sie hier weiter, indem Sie auf Fotos oder Überschriften klicken...
Eva, 26 - "Der Testleiter nahm alles etwas zu wichtig."

"Es gehe um nichts, sagte unser Klassenlehrer, als er uns von Pisa erzählte. Wir seien ausgelost worden und müssten ein paar Aufgaben lösen, erklärte er meinen vier Mitschülern und mir und machte dabei einen etwas genervten Eindruck. Heute bin ich selbst Lehrerin und weiß, wie nervig es ist, wenn ständig Schüler wegen irgendwelcher Aktionen im Unterricht fehlen.
Wir fanden das damals eigentlich ganz cool: zwei Tage keine Schule. Keiner fühlte sich unter Druck gesetzt, es würde sich schließlich nicht auf unsere Noten auswirken. Alles nur zum Spaß also - so ist es bei uns angekommen.
Mir war damals nicht klar, dass noch mehr Schulen in Deutschland mitschreiben - geschweige denn im Ausland. Ich habe mir damals keine Gedanken über Schulsysteme gemacht. Ich hatte nie Streit mit Lehrern, nie Probleme in der Schule, bin morgens hingegangen und nachmittags zurück - ohne groß darüber nachzudenken.
An unserer Schule schrieben etwa 20 Schüler mit. Jeder hatte eine Nummer und einen festen Sitzplatz. Vorne stand der Testleiter, ich vermute, es war auch ein Lehrer dabei, schon aus disziplinarischen Gründen: Ich glaube, wir hätten uns nicht gut benommen, wenn kein Lehrer dabei gewesen wäre.

Schülerlotsen: Die deutschen Pisa-Experten
Der Testleiter erklärte alles sehr ausführlich. Wir durften nicht allein weiterblättern, wir mussten immer warten, bis eine bestimmt Zeit abgelaufen war, dann mussten alle gleichzeitig umblättern. Wir verstanden damals nicht, warum wir das machen sollten. Wir fanden den Testleiter komisch. Er war so akkurat und streng. Er nahm alles etwas zu wichtig, dachten wir.
Die schlechten Ergebnisse bedrückten mich
Angestrengt habe ich mich trotzdem. Allein, weil wir beim Lesen ab und zu Zeitlimits hatten, wollte ich mir selbst beweisen, dass ich es schaffe. Aber ich denke, unter richtigem Prüfungsdruck hätte ich noch etwas besser gearbeitet.
Als dann ein Jahr später die Ergebnisse rauskamen, dachte ich: Ach, hast du da nicht mitgemacht? Mich hat aber nie jemand drauf angesprochen. Meine Mitschüler wussten gar nicht, dass ich für die Ergebnisse mitverantwortlich bin.
Dass die Ergebnisse so schlecht sind, hätte ich nicht gedacht. Mich hat das bedrückt, weil ich sie auf mich persönlich bezogen habe - auch wenn es mir eigentlich nicht schwerfiel, die Aufgaben zu lösen. Unsere eigenen Ergebnisse haben wir nie erfahren. Leider.
Nach dem Test bekamen wir ein Jojo und einen Kuli, OECD und Pisa stand darauf. Der Kugelschreiber funktioniert schon lange nicht mehr, aber ich habe ihn immer noch. So vergesse ich nie, dass ich an etwas teilgenommen habe, das noch Jahre später hohe Wellen schlägt."
Eva, 26, wird bald als Lehrerin Förderschüler unterrichten, ihr Referendariat hat sie fast beendet. Sie nahm im Jahr 2000 an der Pisa-Studie teil und besuchte damals ein Gymnasium im saarländischen Homburg.
Torben, 24 - "War ich einer von denen, die es verbockt haben?"

"Als ich meinen Eltern erzählte, dass ich beim Pisa-Test mitschreiben würde, sagten sie: 'Dann sieh mal zu, dass es diesmal vernünftig wird.' Unser Klassenlehrer fand es, glaube ich, gut, dass wir mitschreiben, meine Mitschüler und ich waren eher skeptisch. Ich wusste wenig über den Test, kannte nur das schlechte Ergebnis vom ersten Mal.
Als ich erfuhr, dass wir keine Noten für den Test bekommen, war ich zunächst erleichtert. Später habe ich mich geärgert. Einige Mitschüler haben das deswegen erst nicht so ernst genommen. Im Test selbst hatte ich aber schon den Eindruck, dass sich alle sehr konzentriert haben. Ich natürlich auch, wobei ich die Aufgaben nicht unbedingt schwierig fand. Es war aber anstrengend, dass wir wenig Zeit dafür hatten. Deswegen war ich hinterher ziemlich erschöpft - schließlich dauerte der Test etwas länger als eine normale Klassenarbeit.
Als ich von den Ergebnissen erfuhr, war ich enttäuscht. Was ist mein Anteil? War ich einer von denen, die es verbockt haben? Ich hätte zumindest gern gewusst, wie unsere Klasse im Vergleich abgeschnitten hat. Hinterher wäre mir eine Note also doch fast lieber gewesen. Das hätte mich sicher auch noch mehr motiviert.
Später zog ein Freund mich auf: 'Ist ja toll, dass du mitgeschrieben hast', sagte er. 'Ist ja wieder super geworden.' Immerhin waren unsere Ergebnisse etwas besser als beim ersten Mal. Ein bisschen was haben wir also schon rausgerissen. Ein gutes Gefühl."
Torben, 24, arbeitet heute in Hamburg im Qualitätsmanagement eines Verlags. Er hat am Pisa-Test 2003 teilgenommen und besuchte damals eine Schule im niedersächsischen Osnabrück.
Lisa, 21 - "Wir waren angespannt, es ging schließlich um etwas Großes"

"Es sei etwas ganz Besonderes, dass wir an der Studie teilnehmen dürfen, sagte unsere Klassenlehrerin, als sie uns von Pisa erzählte. Wir haben uns darauf gefreut. Wir fanden es cool, dass wir unser Wissen zeigen konnten.
Wir hatten damals natürlich schon von Pisa gehört, wussten aber nicht genau, wie der Test ablaufen würde. Auch mit den früheren Ergebnissen hatte ich mich nie ausführlich beschäftigt. Bei der ersten Studie 2001 war ich elf Jahre alt - da waren andere Dinge wichtig.
Nervös war ich nicht, das bin ich nie vor Prüfungen. Insgesamt war die Stimmung aber schon angespannt, schließlich ging es um was Großes. Wir wollten es besser machen als die Schüler in den Jahren zuvor. Wir wollten ein positives Ergebnis erreichen, das hat uns angespornt.
Den Test haben wir in einem normalen Klassenraum geschrieben. Die Tische standen einzeln, die Zettel lagen schon auf dem Tisch. Als wir die Aufgaben umdrehen durften, gab es natürlich erst mal Getuschel - das gab es immer, egal was ausgeteilt wurde.
Wir haben Bayern vom ersten Platz verdrängt
Hinterher haben wir in der Klasse nur kurz über den Test gesprochen. Da sagte der eine oder andere: 'Es war schon einfach für uns!' Mit 15 fühlten wir uns ziemlich cool. Wer gibt da schon zu, wenn er etwas schwer fand?
In den Medien erfuhr ich, dass Sachsen so gut abgeschnitten hat. Wir haben Bayern vom ersten Platz verdrängt. Einige brachten Zeitungsartikel mit in die Schule, und wir freuten uns natürlich, dass wir so gut abgeschnitten haben. Wir waren stolz, dass wir Deutschland und Sachsen ganz ordentlich repräsentiert haben.
Wenn ich ehemalige Mitschüler treffe, reden wir manchmal noch über Pisa. Nach dem Motto: wie gut wir das damals hinbekommen haben. Eine Klassenkameradin gründete später aus Spaß bei StudiVZ die Gruppe: '*Pisa 2006* Und wir waren dabei :)'. Da bin ich natürlich auch beigetreten. Ehrensache."
Lisa, 21, studiert heute in Cottbus Soziale Arbeit. Sie nahm im Jahr 2006 an der Pisa-Studie teil und besuchte damals ein Gymnasium im sächsischen Großenhain.