93-Jährige promoviert Italiens Oma cum laude

La dottoressa: Adriana Jannilli ist steinalt, weiß viel, kann sogar Facebook
Adrianas Doktorvater könnte ihr Enkel sein. "Ich habe ihr die Höchstnote geben müssen, 110 mit Auszeichnung, aber", sagt Alessandro Bondi, Strafrechtsprofessor an der Universität von Urbino, "glauben Sie mir: nicht aus Mitleid."
Adriana Jannilli, über die er spricht, ist gerade beschäftigt, Kaffee und Nachtisch zu ordern, ist dem Kellner im Restaurant "Il Cortegiano" hinterher geeilt, pausenlos redend, und taucht jetzt wieder auf: "Man hat mir gesagt, Alessandro Rossi sei der beste Jurist der Uni. Also habe ich ihn für meine Arbeit ausgesucht." Und lehnt sich bei diesen Worten auf die Schulter Rossis, wie eine Diseuse es bei ihrem Pianisten machen würde.
Jannilli ist von kleiner Gestalt, trägt eine graue Hose aus Leder, ihre Finger sind manikürt, und ihr Haar sieht aus wie künstlich, ist es aber nicht. Nur etwas nachgefärbt. "Nenn' mich Adriana", sagt die alte Dame.
Glückwunsch von Berlusconi und ein Faible für Faschisten
Ende Oktober hat sie ihre Promotion in Jura verteidigt, eine Studie über Gewalt an Frauen. Und dann hat sie sich eingeschrieben für ein Aufbaustudium, in Kriminologie. Beim letzten Mal wäre die Immatrikulation fast gescheitert: "Sie haben mir das Anmeldeformular zurückgeschickt. Der Computer hat das Geburtsdatum nicht akzeptiert. Sie sagten, ich hätte mich verschrieben."
Hat sie aber nicht. Adriana ist am 11. Februar 1916 geboren. Sie wird die älteste Erstsemesterin Italiens sein. Nachdem sie jetzt schon die wohl älteste erfolgreiche Doktorandin weltweit ist.
Ministerpräsident Silvio Berlusconi hat ihr persönlich gratuliert. Adriana mag den Mann, und sie hat es in ihrem Alter nicht mehr nötig, diese Sympathie kokett zu verbergen. "Ich war immer schon rechts. Ich mochte die schwarzen Hemden, das war meine Zeit", sagt sie. "Camicie nere", das waren die Schwarzhemden der Mussolini-Faschisten in den dreißiger Jahren. In Deutschland wäre eine 93-jährige Studentin in Designerhosen und Ohrgehänge, die sich für Arbeitsrecht und Frauenschutz engagiert, wohl auf der Linken zu suchen. Nicht in Italien. Hier sind die Koordinaten anders, und selten verlässlich.
Ihren ersten Abschluss hat Adriana noch vor dem Krieg gemacht, am Institut für Orientstudien: "In Indonesisch. Ich hatte ein Stipendium und musste anschließend für ein Jahr nach Java gehen." Eigentlich hätte sie Medizin studieren wollen ("Vielleicht mache ich das auch noch"), aber wurde wegen einer Infektion abgelehnt. Sie sei von zu schwächlicher Konstitution.
Nacktmodell für den Papst-Maler und juristische Autodidaktin
Eine schöne Frau sei sie gewesen, sagt Adriana Jannilli von sich, damals in den vierziger Jahren in Rom. Einmal habe ein Maler des Papstes sie gebeten, ihm nackt Modell zu sitzen. Was sie auch tat.
Nach dem Krieg: Ab 1946 lebt sie mit ihrem späteren Mann, dem Arbeitsrechtsberater Ugo De Angelis, in wilder Ehe zusammen. Aus Neugier begleitet sie ihn in die Kanzlei, liest seine Fachbücher und ist schließlich nicht weniger Experte als er. Etliche Generationen von römischen Arbeitsrechtlern hat Adriana betreut. Als ihr Mann vor einigen Jahren starb, habe sie Angst gehabt, trübsinnig zu werden, sagt sie.
Dann fragt ein Klient, ob sie das Werk ihres Mannes nicht weiterführen könne. Adriana beschließt, nach 60 Jahren Berufspraxis, wieder ganz von vorn anzufangen. Als Praktikantin beginnt sie eine Ausbildung zur Arbeitsschutzberaterin - und ist dreimal so alt wie ihre Kommilitonen. Aber sie hält durch, wird 2005 in den Verband aufgenommen, ist jetzt auf den Geschmack gekommen und dem Lernen vollends verfallen. Im Jahr 2005 immatrikuliert sie sich an der Universität von Viterbo, in Umbrien, für einen Magister in Politikwissenschaft.
Nach drei Jahren, kurz vor ihrem 90. Geburtstag, hat sie den Abschluss. Die Zeitungen schreiben über sie. Man hält es für den Spleen einer alten Dame, als Adriana ankündigt, nun auch den Doktor machen zu wollen. Sie tut es, an der 500 Jahre alten Universität von Urbino, der Stadt Bramantes und Raffaels. In Italien wird eine Doktorarbeit als Fortsetzung des bisherigen Studienschwerpunkts geschrieben, nicht als neue, eigenständige Arbeit. So wird Adriana Jannilli innerhalb eines Jahres zum Doktor der Rechtswissenschaften.
"La dottoressa" macht ihrer Uni Ehre, sagt der Doktorvater
Das Studieren sei für sie eine Nahrung, sagt sie: "Ich studiere nicht, um den Beruf auszuüben. Ich lerne, weil es mir Spaß macht. Ich will wissen. Ich lerne nur für mich, nicht für die Welt. Wenn die Welt sich ein Beispiel an mir nehmen würde, wäre sie besser, meinen Sie nicht?" Außerdem habe sie jedes Semester aus der eigenen Tasche bezahlt - mit etwas Hilfe eines ihrer Neffen: "Er war Bankdirektor. Er hat das Geld irgendwo angelegt."
Wer sie erlebt, hat keinen Zweifel, dass Adriana Jannilli ihr Aufbaustudium noch abschließen wird. Diese Frau hält es keine fünf Minuten auf ihrem Stuhl aus. Sie ist hellwach, macht alle Wege zu Fuß, und als sie das Espressotässchen an die Lippen hebt, ist da kein Zittern. Nur ihre Stimme hat gelitten, nach einer Krankheit musste ein Stimmband entfernt werden.
La dottoressa habe ein gutes Gedächtnis für Daten und Namen, sagt Alessandro Bondi, der Doktorvater. "Ich lese alles nur ein einziges Mal, dann weiß ich es", sagt Adriana. Und Bondi: "Erstaunlich, wirklich. Sie hat eine Leichtigkeit in die Seminare gebracht. Ich habe sie den anderen Studenten immer als Vorbild präsentiert. Adriana macht der ganzen Universität Ehre..." - "Gut, gehen wir. Ich habe noch zu tun." Die Rechnung hat Adriana bereits diskret beglichen.
Vor dem Restaurant sitzen die Studenten in der Herbstsonne. Sie sehen eine auffallend kleine ältere Dame in einem blauen Designermantel über das Pflaster eilen. Eine Dame, die ihrem Begleiter gerade sagt: "Komm, ich zeige dir noch schnell den Palazzo Ducale..." - einen gewaltig aufragenden Herzogspalast mit einigen hundert Räumen, angefüllt mit Piero della Francesca und Tizian und Raffael - "...das schaffen wir noch."
Adriana hat noch viele Semester vor sich.