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Uni-Selbsthilfegruppe: Angst vor der Abgabe

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Studenten mit Aufschieberitis "Am Ende lass ich es meistens ganz"

Gründe, erst morgen mit einer Hausarbeit anzufangen, gibt es viele - doch erst wenn die Abgabe naht, werden Uni-Aufschieber richtig nervös. In einer Selbsthilfegruppe in Frankfurt/Oder gibt es für eine junge Mutter, einen Bummler und eine Perfektionistin keine Ausreden mehr: Ihr schreibt jetzt!
Von Louisa Thomas

Wenn man Friederike, 22, in einem Wort beschreiben möchte, dann wäre das: Strukturneurotikerin. "Wenn ich irgendetwas für die Uni schreiben soll, mache ich erst einmal eine Liste", sagt die angehende Kulturwissenschaftlerin. Es folgen Cluster, Tabellen, Übersichten. Irgendwo dazwischen verliert Friederike erst den Überblick und dann die Lust. "Am Ende lass ich es meistens ganz!" Drei Hausarbeiten muss Friederike noch schreiben. 35 Seiten. Ihr bleiben sieben Tage.

Da hilft nur noch eine Selbsthilfegruppe. Oder, wie das Schreibzentrum der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt Oder es nennt, ein "Schreibmarathon" . Hier treffen sich gestresste Studenten kurz vor Abgabetermin, um gemeinsam ihre Probleme wegzuschreiben. Doch kein Stuhlkreis und keine Therapiegespräche erwartet die Teilnehmer. Lediglich ein tägliches zehnminütiges Warmup, wie assoziatives Schreiben, erinnert an klischeehafte Selbsthilfeszenarien. Danach ist jeder Einzelkämpfer.

Und dennoch hilft jeder jedem. "Ich kenne keinen Studenten, der zu Hause so konzentriert arbeiten kann wie hier", sagt Mandy Pydde vom Sprachenzentrum der Viadrina. Der neutrale Raum wie auch der zeitliche Rahmen biete ein festes Gefüge, das prokrastinierende Studenten brauchen.

Zehn popelige Seiten über die Raumwende

Eine viel größere Rolle spiele laut Pydde jedoch der soziale Aspekt. Der verursache nämlich gleich mehrere Prozesse. Zum einen spornen sich die Studenten durch ihre Aktivität gegenseitig an. Zum anderen komme es beim gemeinsamen Schreiben zum Austausch untereinander, beispielsweise in den Pausen. "Meistens fällt der Groschen zwischen Kaffeetasse und Schokolade", so die Trainerin.

Bianca, 29, hofft auf diesen Effekt. Es sind nur zehn popelige Seiten über die Raumwende in der Sozialwissenschaft. Trotzdem hat sie sich nicht ans Schreiben gewagt, seit sie vor fast einem Jahr schwanger wurde. "Schreiben ist eigentlich schon von Kind auf mein Ding", setzt sie zu ihrer Verteidigung an. "Aber gerade als Mutter fallen einem immer wichtigere Dinge ein, die zu tun sind."

Im Schreibzentrum gibt es keine Ausreden. Nur den PC und die Bücher. Eine Radikalkur, genau richtig für Bianca. Vier Stunden schrieb sie täglich an ihrer Arbeit. Nicht mal Raucherpausen waren drin. Einzig ein Schluck Buttermilch zwischendurch. "Zu Hause fällt es mir schwer, meine Zeit einzuteilen", sagt sie. Hier gäbe es feste Zeiten, eine andere Umgebung, um sie herum sind alle fleißig. Das tue ihrer Konzentration gut. "Ich sehe die anderen arbeiten und da geht's mir gleich leichter von der Hand." Die zehn Seiten hat sie nach den fünf Tagen Marathon locker geschafft.

"Ich hab es im letzten Semester ein bisschen locker angehen lassen"

Von 'nichts' zu 'fast fertig', so eine Erfolgsstory würde Micha*, 25, auch gern erzählen. Er sitzt zwei Plätze entfernt von Bianca und starrt mit Falten auf der Stirn in einen dicken dunkelgrauen Seminarordner. In seiner Brille spiegelt sich das leere Word-Dokument vom Laptop. Medienwirkungsanalyse war eigentlich ein interessantes Seminar. Wohin es in seiner Seminararbeit gehen soll, davon hat er trotzdem keinen Plan. "Ich hab es im letzten Semester ein bisschen locker angehen lassen", sagt er.

Vom Schreiben sei er noch weit entfernt. Dazu brauche er erst einmal ein Thema. Blöd nur, dass er während des Marathons auch noch krank wurde. Nach vier Tagen hat er zwar das Thema und die Fragestellung festgelegt, aber noch keine einzige Zeile geschrieben. Es ist schon Freitag, Sonntag ist die Arbeit fällig. Doch Micha ist Berufsoptimist. Und ein echter Profi in Sachen Prokrastination. "Mein Prof ist fair", sagt er. "Ich werde ihm wohl einen lieben Brief schreiben und um Fristverlängerung bitten müssen."

Es mal locker angehen lassen, Geschirr spülen oder mit der besten Freundin telefonieren. Irgendeine Ausrede gibt es immer. Laut einer Studie der Universität Münster quälen sich mindestens 20 Prozent der Studierenden mit "Aufschieberitis". Die Experten zählen Angst vor Versagen oder der schlechten Bewertung anderer wie auch Perfektionismus zu den Hauptgründen.

Zu ambitioniert, zu perfekt

Das beschreibt ziemlich gut Friederikes Problem, die noch drei Hausarbeiten schrieben will: Sie ist einfach zu ambitioniert. "Ich habe schon unzählige Bücher über das wissenschaftliche Schreiben gelesen", sagt sie. Doch das viele Lesen übers Schreiben half nicht, das Problem wurde mit jedem Buch größer. "Alles perfekt machen zu wollen ist ja gut, nur bei mir artet das immer aus."

Beim Schreibmarathon hat Friederike den Schritt gewagt und ist in eine persönliche Beratung gegangen. Heraus kam sie mit neuen Methoden und einer konkreten Fragestellung für zumindest eine ihrer drei Hausarbeiten. Zwei ihrer Seminararbeiten kann sie bis zum Abgabetermin fertig schreiben. Eine hat sie verschoben. Kulturwissenschaftsstudentin Friederike hat vor allem eins gelernt: Man sollte den Anspruch an sich selbst nicht zu hoch schrauben. Als erstes wird sie das mit den Listen sein lassen.

* Name geändert

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