Prüfungsunfähigkeit an Unis Krank? Können Sie das beweisen?

Krank: Dürfen Mitglieder von Prüfungsausschüssen sämtliche Symptome erfahren?
Foto: CorbisKarin Podlaski leidet unter Depressionen. Die Krankheit hindert sie daran, ihre Abschlussarbeit in Soziologie zu schreiben, also verlangt sie von der Universität Aufschub. Vor einigen Monaten ging sie deshalb zu einer Amtsärztin und ließ sich krankschreiben.
Podlaski, die ihren wahren Namen nicht veröffentlicht sehen möchte, musste die Ärztin von ihrer Schweigepflicht befreien, um von dieser eine Krankschreibung zu erhalten, die der Prüfungsausschuss anerkennt. Rechtlich ist es so, dass die Ärztin zwar bei Krankheit eine Arbeitsunfähigkeit feststellen kann. Eine Prüfungsunfähigkeit allerdings kann nur der Prüfungsausschuss bestätigen. Und zwar auf Basis der ärztlichen Information. Das Attest muss also aufführen, warum es Podlaski nicht möglich ist, an ihrer Abschlussarbeit zu arbeiten.
"Sie schrieb keinen Code für die Krankheit in das Attest, sondern all die Dinge, unter denen ich leide", sagt die Studentin. Dort stand, dass Podlaski Schlafstörungen und einen Tinnitus habe. Die Studentin sieht ihre Privatsphäre verletzt, weil mehrere Menschen an ihrer Uni dadurch erfahren, welche Beschwerden sie hat. Mitglieder des Prüfungsausschusses sind mehrere Professoren, Dozenten und auch drei studentische Vertreter, die alle zum Stillschweigen verpflichtet sind. Podlaski findet trotzdem, die Art ihrer Krankheit gehe niemanden etwas an: "Warum reicht es nicht, wenn da steht, dass ich prüfungsunfähig bin?"
Auch andere Studenten an Thüringer Hochschulen können nicht nachvollziehen, warum sie offenlegen müssen, welche Symptome sie haben. Unterstützt werden sie von der Konferenz Thüringer Studierendenschaften (KTS) und vom Freien Zusammenschluss von StudentInnenschaften. Die Organisationen kritisieren die Maßnahme als "Demütigungspraxis". Mandy Gratz, Sprecherin der KTS, sagt, ein ärztliches Attest, das die Prüfungsunfähigkeit belege, ohne ins Detail zu gehen, müsse ausreichen.
Ein Formular soll den Studenten helfen
Axel Burchardt, Sprecher der Universität Jena, betont, die Uni handle lediglich nach Vorschriften. Sie müsse garantieren, dass Prüfungen ordnungsgemäß abgelegt werden. Beim Wissenschaftsministerium heißt es, eine Arbeitsunfähigkeitsbeschränkung ohne Angabe des Grundes bei Absage einer Prüfung aus gesundheitlichen Gründen reiche nicht aus. Der Student müsse einen Nachweis liefern, der die gesundheitlichen Beeinträchtigungen beschreibt.
Die Neugier der Behörden soll verhindern, "dass sich Studierende durch Verschiebung ihrer Prüfung einen unberechtigten Vorteil gegenüber ihren Kommilitonen verschaffen". Eine zweite Chance erhalte nur, wer "wirklich einen schwerwiegenden Grund vorweisen" kann.
Beide, Uni und Ministerium, berufen sich auf Gerichtsurteile zum Thema: 1996 etwa entschied das Bundesverwaltungsgericht, dass bei einem juristischen Staatsexamen das Landesprüfungsamt unter ärztlicher Beteiligung entscheidet, ob der Examenskandidat prüfungsunfähig sei. Der Arzt müsse "krankhafte Beeinträchtigungen" beschreiben und darlegen, wie diese den Prüfling daran hindern, den Test ordnungsgemäß abzulegen.
Doch am Ende sieht sich das Ministerium ebenso wenig zuständig wie zuvor der Jenaer Uni-Sprecher: Die Hochschule sei es, die entscheidet, wie sie sich von einem Studenten die Erkrankung bei einer Prüfungsentschuldigung bestätigen lässt.
Das Formular , mit dem die Uni Jena den Arzt um Mithilfe bittet und nach Symptomen fragt, interpretiert die Hochschule als Hilfsangebot für ihre Studenten. Um die Prüfungsunfähigkeit nachzuweisen, "muss nicht die Diagnose als solche bekannt gegeben werden, sondern nur die durch die Krankheit hervorgerufenen körperlichen bzw. psychischen Auswirkungen", heißt es darin. Die Studenten sehen darin alles andere als eine Hilfestellung: "Die Drohkulisse, die durch solche Formulare aufgebaut wird, führt dazu, dass Studierende prüfungsunfähig zu Prüfungen erscheinen", sagt Mandy Gratz vom KTS.
Versuche von Hochschulen, Einzelheiten über den Krankheitsbefund von Studenten zu erfahren, gibt es immer wieder, etwa an der TU Darmstadt, der Uni Kiel, der Fachhochschule Bingen, der Universität Freiburg und der TU Dortmund - meist begleitet von Studentenprotesten.
Hartmannbund kritisiert neugierige Hochschulen
Juristisch ist gegen den Wunsch der Unis, Genaueres über die Krankheit eines Studenten zu erfahren, wenig auszurichten. Der Kölner Rechtsanwalt Christian Birnbaum, der immer wieder Studenten vor Gericht vertritt, zeigt Verständnis für die Hochschulen. "Studenten müssen akzeptieren, dass eine einfache Krankschreibung nicht ausreicht", sagt Birnbaum. Doch wann sind welche Studenten zu krank, um eine Prüfung abzulegen? Kann etwa jemand, der ein gebrochenes Bein hat, eine Geschichtsprüfung mitschreiben? Birnbaum sagt, es gebe Hunderte Situationen wie diese, in denen jemand zwar nicht arbeits-, aber prüfungsfähig sei.
Klaus Reinhardt, Allgemeinmediziner und Vorsitzender der Ärztevertretung Hartmannbund, stört sich schon länger am Vorgehen der Hochschulen. "Ich wollte mich schon ein paar Mal dagegen wehren, aber habe den Studenten zuliebe dann doch die Symptome angegeben", sagt er. Die Studenten würden durch solche Maßnahmen erpresst. "Wenn sie das gewünschte Formular nicht abgeben, droht ihnen, durch die Prüfung zu fallen."
Reinhardts Idee wäre ein medizinischer Vertrauensdienst an Hochschulen, der mit Ärzten besetzt wird. In diesem Fall könnten Ärzte anderen Ärzten Auskunft geben - und nicht wie bisher Ärzte den Lehrenden, die im Prüfungsausschuss sitzen.