Akademische Todsünde Du sollst Studentinnen nicht nachsteigen

"Nur gucken, nicht anfassen" - aber Appetit auf Sex holen dürfen sich Dozenten beim Anblick kurviger Studentinnen schon, schrieb der Vizekanzler einer englischen Uni über akademische Todsünden. Für die einen ist es Satire, für die anderen die schmierige Gedankenwelt eines alternden Lüstlings.
Absolventinnen (in Birmingham): Kleine Morgengabe für lüsterne Professoren?

Absolventinnen (in Birmingham): Kleine Morgengabe für lüsterne Professoren?

Foto: Christopher Furlong/ Getty Images

Ironie ist stets dünnes Eis, zumal in geschriebener Form. Nicht alle Leser verstehen sie gleich - und manche verstehen sie gleich überhaupt nicht. Jeder Autor weiß, dass im Web selbst die Alarmlampe "Aktivieren Sie bitte JETZT die Satire-Warnfunktion Ihres Browsers" kaum etwas ausrichten würde. Soll man also beim Schreiben besser auf jede Form von Ironie verzichten, damit bloß kein Leser und keine Leserin Schaden an der empfindlichen Seele nimmt?

Mit einer Lektion in Ironie und ihren Folgen muss sich gerade Terence Kealey auseinandersetzen. Er ist ein Mann in den mittleren Jahren, seit 2001 Vizekanzler der University of Buckingham in England und hat Mitte September einen Beitrag in "Times Higher Education" veröffentlicht, einer akademischen Beilage zur britischen Tageszeitung "The Times". Die Redaktion sammelte Texte zum Thema "Die sieben akademischen Todsünden". Den Biochemiker Kealey bat sie um ein humorvolles Stück zum Thema "Lust"; immerhin hatte er sich dafür zuvor mit seinem Buch "Sex, Science and Profits" qualifiziert. Andere Autoren schrieben mehr und minder lustig  über Sünden wie Arroganz oder Aufschieberitis, Pedanterie, Snobismus oder nachlässige Kleidung.

Was Kealey zur "Begierde" alles einfiel, sorgt nun bei den sonst so ironiegestählten Briten für ein Stürmchen der Entrüstung. Studentinnen, so schrieb er, "normale Mädchen" mithin, interessierten sich meist mehr für Bauchmuskeln als für Labore und eher für Brustmuskeln als für Schutzbrillen. Zugegeben, das ist grob übersetzt und klingt im englischen Original ungleich schmissiger ("more interested in abs than in labs, in pecs than specs, in triceps than tripos").

Ein Hörsaal ist kein Strip-Lokal

Jedenfalls: Solche Studentinnen vertrieben sich die Zeit mit allem, nur nicht mit Vorlesungen. Ein Typus tauche in fast jedem Semester einmal auf. Diese junge Frau lasse Bewunderung für den Dozenten aufblitzen und brauche dann dringend Hilfe bei ihrem Essay - denn alle Mädchen träumten gern von Sex mit Helden. Und Helden, das könnten auf dem englischen Campus Dozenten sein.

Das garnierte Kealey mit allerhand literarischen Anspielungen, etwa auf den Roman "I Am Charlotte Simmons" des alten US-Dandys Tom Wolfe, um dann zu fragen: Was tun, wenn sich so eine reizbewehrte Studentin anpirscht? Sein Rat an die Kollegen: "Genieße sie! Sie ist ein perk", ein hübsches Extra also. Und sie werde "ihre Kurven stolz präsentieren, die du tagsüber bewundern sollst und die dir nächtens den Sex mit deiner Gattin würzen".

Bündig riet er Dozenten weiter, dass in einem solchen Fall das Gleiche gelte wie in einem Strip-Club: "Nur gucken, nicht anfassen." Der Vizekanzler verzichtet indes nicht auf den Hinweis, dass für sündige Verbindungen von Lehrkörper und Studentenschaft eindeutig das Weib verantwortlich sei. Von Machtmissbrauch könne keine Rede sein, das sei ein Mythos - denn Macht hätten Professoren über ihre Studenten schon lange nicht mehr. Die Tage, in denen es in England gute Noten für Sex gab, seien wegen strenger Kontrollen der Notenvergabe vorbei; mancher mag den Autor dabei leise "leider" seufzen hören.

"Stoß dir die Hörner ab, solange du jung bist"

Und die Moral von der Geschicht? Poussiere mit jungen Studentinnen nicht. Kealey schließt jedenfalls mit der Wendung: "Stoß dir die Hörner ab, solange du jung bist. Aber genieße die Blicke - und nur die Blicke -, wenn du älter wirst."

Was war denn nun dies: Eine Satire so mitten aus dem Campus-Leben? Oder doch schmieriger Sexismus eines halbbeglatzten dirty old man, wie manche Leser argwöhnten? Eine englische Studentenvertreterin brauchte nicht lange für ihr Verdikt. "Ich bin entsetzt, dass ein Vizekanzler Frauen so erstaunlich wenig respektiert", sagte Olivia Bailey, Sprecherin der Studentengewerkschaft NUS. "Egal, ob es ein Versuch war, witzig zu sein, es ist völlig inakzeptabel für jemanden in Kealeys Position, einen Hörsaal mit einem Strip-Lokal zu vergleichen."

Alsbald hob Empörung und Schelte auf der ganzen Insel an. Alles nur gehobener Jux, wiegelte Kealey ab und rechtfertigte sich sowohl in der "Times"-Beilage als auch in anderen Blättern, Humorfortbildungsversuch inklusive. Sein Beitrag sei doch "hoch anständig" gewesen, schrieb der Biochemiker. Der Text betone gerade, dass Sex zwischen Akademikern mittleren Alters und jungen Studenten falsch und auch nicht lustig sei. Das habe er der größtenteils akademischen Leserschaft mit "kruden Beispielen" verdeutlichen wollen - und Humor sei dafür allemal ein gebräuchliches literarisches Stilmittel. Mit Humor könne man zeigen, wie Menschen die Widersprüche zwischen dem überlisten, was öffentlich akzeptiert sei und was sie bisweilen privat begehrten.

Volles Mitgefühl für den armen Professor

Beistand erhielt Kealey von der "Times"-Redakteurin Ann Mroz, die sich als "Feministin mit Sinn für Humor" beschreibt und die Redefreiheit lobpreist. Zur Seite sprang dem Wissenschaftler auch Mary Beard, Altphilologin in Cambridge und "Times"-Kolumnistin. Es handle sich eindeutig um Satire, schreibt Beard in ihrem Blog . Kein Vizekanzler, "nicht einmal der von Buckingham", käme auf die Idee, junge Frauen im Ernst als perk, also als Beigabe oder Zuckerl, zu bezeichnen.

Kealeys Verteidigerin nennt sich selbst "boshaft subversiv" und hat einen eigenen Erfahrungsschatz, was den laxen Umgang mit Sprache und Vergleichen angeht. Kurz nach den Anschlägen vom 11. September 2001 schrieb sie unter anderem, die Amerikaner hätten die Geister, die sie heimgesucht hätten, selbst gerufen. Das kam nicht gut an. Bis heute erhält Beard wütende Post.

Dem "armen Kealey" schenkt sie ihr volles Mitgefühl. Beard erklärt am Ende ihrer Verteidigungsschrift ein Dilemma der Satire: Leicht werde sie missverstanden von jenen, die ganz eng am Wort kleben, mithin keinerlei entwickelten Sinn für Doppelbödiges haben. Ganz zynische Zeitgenossen wiederum könnten natürlich immer eine doppelte Finte vermuten. Dass also einer wie Kealey als vermeintlicher Satiriker seine schmutzigen Gedanken nur zum Schein in Satire kleide. Das aber könne sie sich nicht vorstellen, schreibt Beard - zumindest nicht in diesem Fall.

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