Akkuschrauber-Rennen Ostfriesenpfeil gegen einen Haufen Turboschrott
Dicker Qualm zieht über die Rennbahn, durch den Rauch zischt ein futuristisches Gefährt. Es hat drei Räder, zwei vorne und eines hinten, die Gegner nennen es ehrfurchtsvoll "die Spinne". Die feinen Beine aus Aluminium spannen sich gut einen Meter weit dicht über die Fahrbahn. Darüber kauert der Fahrer.
Bedrohlich sieht die "Spinne" aus - aber sie fährt doch eher gemächlich. Andere Wettbewerber bewegen sich deutlich flinker.
Am Antrieb liegt das nicht, kann es nicht liegen. Was sich 16 Studenten-Teams aus ganz Deutschland am Samstag in Hildesheim geliefert haben, ist das demokratischste Stück Rennsport, das man sich ausdenken kann. Zwei batteriebetriebene Elektro-Schrauber, je 18 Volt stark, sind der einzig erlaubte Motor - man stelle sich diese absolute Gleichheit in der Formel 1 vor: Eine identische Maschine für alle.
Heiße Renner aus Leder und Pappe
Zum sechsten Mal veranstaltete die Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst Hildesheim das Akkuschrauber-Rennen - ein skurriler Wettkampf, bei dem Designer und Ingenieure zeigen, was sie können. Ihre Mission: ein Rennfahrzeug zu bauen, mit puristischem Antrieb durch die handelsüblichen Akku-Bohrschrauber, die ein Sponsor stellt. Und ab geht es durch den Parcours, pro Runde 150 Meter durch eine Sporthalle.
Die Fahrer sind hier Studenten, keine Rennfahrprofis. Eine Rampe aus Holz ist die einzige Starthilfe, auch die ist für alle dieselbe. Was zählt, ist die Konstruktion. Welches Team bringt die Akku-Leistung am geschicktesten auf die Rennstrecke, verliert am wenigsten der raren Kraft an Luft- und Rollwiderstand, und integriert eine Schaltung, die Beschleunigen und schnelles Fahren möglich macht?
Pappe ist der Baustoff der Produktdesign-Studenten um Thomas Ernhofer aus Schwäbisch Gmünd bei Stuttgart. Letzte Nacht haben sie ihr akkugetriebenes Wellpappe-Fahrrad noch einmal zerlegt und die wenigen Metallteile und die Felgen ihres Zweirads mattschwarz lackiert. Wozu? "Das lohnt sich schon, sieht besser aus", sagt Ernhofer von der Hochschule für Gestaltung und strahlt.
Auf dem Hosenboden durch die Halle
Aussehen ist ein wichtiger Faktor für die Maschinen der Bastler. Wie die Studenten aus Schwäbisch Gmünd sind die meisten Produktdesigner. Gewinnen wird der Schnellste, aber der Jubel der rund 1200 Zuschauer in der Arena gehört neben den drei Hildesheimer Teams eindeutig den schärfsten Geräten auf zwei oder drei Reifen. Oder auf einem.
Overall Inc.-Race nennen sich die drei Jungs von der Kunsthochschule Kassel, und ein Kunstwerk haben sie auf die Piste gestellt. Arne Amtsfeld steckt in einer abgewetzten Motorradkluft. "Unsere teuerste Investition, 50 Euro bei Ebay", sagt der Student, der kurz vor seinem Diplom steht. Wo anderen Teams riesige Stände und geleckte Präsentationsflächen aufgebaut haben und das Hannoveraner aQrad-Team sogar mehrmals an diesem Renntag den Teppichboden der Box saugt, steht bei Overall nur ein Kleiderständer.
Daran schaukelt der Sechziger-Jahre-Motorradanzug wie die Montur eines Superhelden. Zwischen den Beinen baumelt ein Rad, fest mit der Hose der Kombi verbunden. Und die beiden Schrauber links und rechts an dem Rad sind gleichzeitig die Lenkergriffe. An ihren drehenden Enden übertragen Rollen von Inlineskates die Kraft direkt auf das Scheibenrad zwischen Arnes Beinen.
Arne fährt auf dem Hosenboden, an seinen Schuhen und am Hintern drehen sich winzige Rollen. Sein Overall-Team hat das einzige Einrad im Rennen, und Arne rauscht auf dem Hosenboden durch die Halle - Ekstase beim Publikum.
Wer gewinnt im großen Finale: Hightech-Flitzer oder Schrottmobil?
Der Sponsor für die Antriebstechnik ist ein großer Hersteller für Männergerät: Sägen, Bohrer, Schrauber. Der Pressemann der Firma preist das Gerät, das heute der alleinige Motor der Rennwagen ist, entsprechend an: "Lithium-Ionen-Akku, kennen Sie ja vom Handy - und der elektronische Überlastungsschutz - der schaltet das Gerät ab, wenn es droht heißzulaufen." Alles drin zwar für den Heimwerker, aber der Alptraum der Piloten und Konstrukteure.

Finalisten aus Emden und Wiesbaden: Ungleiche Gegner
Foto: SPIEGEL ONLINEZieht der Fahrer zu schnell am Gashebel, kommt gar kein Saft. "Für zu Hause und zum Schrauben mag das sinnvoll sein, für uns taugt das leider wenig", sagt Björn Schlingmann, Fahrer im Emder Team Windstärke 18 V. Die Mannschaft der FH Oldenburg/Ostfriesland/Wilhelmshaven hat viel Geld investiert und das Problem mit einem Differentialgetriebe gelöst - das gleicht die unterschiedlichen Drehgeschwindigkeiten und eventuelle Aussetzer der Akkuschrauber aus.
Alu-Schrott gegen Karbon und Differential
Über 1000 Euro haben die Ostfriesen in BMX-Reifen, das Differential, Scheibenbremsen, einen flachen Sitz aus Karbon und ein leichtes Fahrwerk investiert. So schaffte das Team einen lockeren Durchmarsch bis ins Finale. Und erreichte immerhin 29 Stundenkilometern beim bislang sechsten Akkuschrauber-Rennen in Hildesheim. Das flache Dreirad vom Deich - es ist eine Siegermaschine.
Der Gegner im Titelrennen ist das krasse Gegenteil der flotten Friesen. Das Zweirad des Borabora-Teams besteht aus: Müll. Christoph Ostrowski, 32, zuckt mit den Schultern. "Wir hatten kein Budget", sagt er. Die drei Studenten der Fachhochschule Wiesbaden haben vier Alurohre aneinandergeschweißt, aus alten Brettern einen Sitz gezimmert und einem alten Fahrrad die 20 Jahre alte Torpedo-Dreigangschaltung, zwei Reifen und eine Gabel entrissen. Alle Teile stammen vom Schrottplatz.
Aber sie sind Maschinenbauer und damit den vielen Produktdesignern überlegen, die hier antreten - und den Emdern offenbar ebenbürtig. Nebeneinander stehen die Teams auf der Rampe und fiebern dem Startpfiff entgegen: Hightech gegen Minimalismus, reich gegen arm, schick gegen hässlich. Die Schiedsrichterin gibt mit der Trillerpfeife das schrille Signal, die Fahrer Dirk und Björn stürzen sich die Rampe hinunter.
Borabora lässt die Friesentüftler bangen
Emden geht in Führung, es sieht nach einem Start-Ziel-Sieg aus. Aber Borabora kämpft sich ran. Zum ersten Mal an diesem Tag verrutschen die Siegermienen der Emder im Zielraum um einen halben Zentimeter - sollten sie verlieren, trotz perfekter Optik, dickem Budget, cleverer Konstruktion und breiter Brust? Gegen einen Haufen Schrott?
Viele Zuschauer stehen vor ihren Plastiksitzschalen, die kleinen Fan-Grüppchen beider Teams jubeln. Kurz sieht es aus, als käme Borabora auf den letzten Metern am ostfriesischen Hightech-Flitzer vorbei. Das hessische Schrottmobil zieht neben den Konkurrenten - aber es reicht nicht. Eine halbe Sekunde liegt nach drei Runden zwischen den ungleichen Karossen.
Das Emder Team stürmt die Startrampe hinunter, sofort flammen Blitzlichter auf, alle Kameras drehen sich auf die Sieger. Kurz vergisst man, dass hier in Hildesheim ein groß inszeniertes Seifenkistenrennen mit angekoppelter Werbeshow abläuft. Es wirkt echt, groß und wichtig.
Der Sieg der Ostfriesen ist triumphal. Die stille Freude und das Grinsen der Hessen mit dem Müllmobil aber strahlt heller.