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Alkoholismus bei Studenten: Alma Kater

Foto: DB Eva Kopytto/ picture-alliance/ dpa

Süchtige Studenten Besoffen zum Bachelor

Er trinkt in Gesellschaft und allein, er trinkt Bier und Schnaps, er trinkt viel zu viel: Martin, 27, studiert Wirtschaft und kommt gut durchs Studium, die Noten stimmen, doch der Rest seines Lebens entgleitet ihm. Er ist ein Alkoholiker an der Uni - und er ist nicht der einzige.

Als er seinen Tiefpunkt erreicht, liegt Martin in der Badewanne. Stundenlang läuft warmes Wasser nach, er guckt Filme auf seinem Laptop, hört Musik. Und nebenbei trinkt er Bier, literweise Bier, dazu Schnaps. Irgendwann kann Martin nicht mehr, er übergibt sich. Nicht, weil er musste, sondern damit er am nächsten Morgen ohne Alkoholvergiftung aus dem Bett kommt.

Es ist Ende 2010 und Martin merkt, dass er seinen Alkoholkonsum nicht mehr unter Kontrolle hat. Er streitet sich mit seiner Freundin: Die beiden wohnen zusammen und sie kann wegen seiner nächtlichen Trinkgelage nicht schlafen, morgens muss sie oft übermüdet zur Uni. Seine Freunde sorgen sich um ihn, auf manchen Partys ist Martin so betrunken, dass er es kaum alleine nach Hause schafft. Nur in der Uni läuft es gut, der Wirtschaftsstudent sitzt in fast allen Vorlesungen, schreibt gute Noten in den Klausuren. Dennoch erkennt er: Ich brauche Hilfe. Zuerst versucht er es bei den Anonymen Alkoholikern - wird aber scheitern.

Martin, 27, heißt eigentlich anders, er will seinen echten Namen nicht veröffentlicht sehen. Mit 15 Jahren begann er zu trinken, zunächst regelmäßig vier bis fünf Bier am Wochenende. Martin wuchs auf dem Land auf; es gab Dorffeste, Jugendclubs und ältere Freunde, die oft und viel tranken. "Mit 17 Jahren hatte ich schon einige Abstürze erlebt", erzählt er. Er schaffte sein Fachabitur, leistete den Grundwehrdienst - und trank weiter, manchmal unter der Woche, manchmal am Wochenende. "Und meist eine beachtliche Menge." Aber er machte sich keine Gedanken. Seine Eltern waren beide berufstätig, gestresst, tranken dazu selbst gerne. Martin hatte viele Freiheiten in seiner Jugend.

Wie viel trinken Studenten?

Jahre später gehört Martin zu den knapp sieben Prozent aller Studenten, bei denen das Trinkverhalten als sehr gesundheitsgefährdend eingestuft wird. Das ist kein größerer Anteil als in anderen gesellschaftlichen Gruppen. Dennoch zeigen Studien, dass Alkohol unter angehenden Akademikern eine besondere Rolle spielt. "Studenten haben viele Möglichkeiten zu trinken", sagt Martin. Studenten feiern oft unter der Woche, der Alkohol ist günstig. Und da bei vielen Vorlesungen keine Anwesenheitspflicht besteht, können Studenten lang und heftig feiern. Für viele WG-Partys werden kistenweise Bier und Flaschen harten Alkohols besorgt.

Einigen geht es nur darum, sich möglichst schnell und günstig zu betrinken. Sicher, nicht alle Studenten trinken exzessiv und Martin ist ein Extremfall. Aber: Der Alkohol ist im studentischen Alltag fast omnipräsent. So werde ein Umfeld geschaffen, das den Alkoholkonsum fördern könne und vor allem für Suchtanfällige wie Martin gefährlich sei, warnen Experten.

Mehrere Studien der TU Braunschweig beobachteten über fünf Jahre das Trinkverhalten bei Studenten. Fasst man alle zusammen, ist es nach eigenen Angaben eine der größten und zeitlich umfangreichsten Befragungen zu diesem Thema in Deutschland. Das Ergebnis: Der Student von heute trinkt mehr als vor fünf Jahren. Um 15 Prozent ist der durchschnittliche Konsum am Tag gestiegen - eine Entwicklung, die in der Normalbevölkerung so nicht zu beobachten ist, sagt Wolfgang Schulz. "Dort ist seit Jahren ein schwacher, aber kontinuierlicher Rückgang zu sehen." Der Psychologieprofessor hat alle Studien der TU Braunschweig betreut. "Der Unterschied könnte in der sozialen Motivation liegen", sagt Schulz. Viele der Studenten erzählten den Wissenschaftlern, mit Alkohol seien Partys besser und das Trinken mache einfach Spaß.

"Bier und Wein zum Stressabbau"

Die jüngste Erhebung der TU von 2011 zeigt, dass mehr als ein Drittel aller Jungakademiker in einem riskanten Ausmaß trinkt, das ist in der Definition der Wissenschaftler noch nicht Martins Stufe des "sehr gesundheitsgefährdenden" Trinkens, aber schon sehr bedenklich. 804 Braunschweiger Studenten wurden hierfür online befragt. In der restlichen Bevölkerung ist es jedoch nur jeder Sechste, dessen Trinkgewohnheit als "riskant" eingestuft wird.

Bei Studenten ist etwa das sogenannte Binge-Drinking ein Problem. Der Begriff wird oft mit Rauschtrinken oder Trinkgelagen gleichgesetzt; generell beschreibt er jedoch nur Gelegenheiten, bei denen mehr als fünf alkoholische Getränke getrunken werden. Es ist aber in der Wissenschaft unklar formuliert, was eine Gelegenheit ist - es kann sich auf eine Stunde beziehen, aber auch auf einen ganzen Abend.

"Genauere Erklärungen für den höheren Konsum haben wir noch nicht", sagt Schulz. "Wir werden in den nächsten Studien verstärkt nach der Motivation fragen." Einen Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und starkem Alkoholkonsum konnten das Braunschweiger Forscherteam nicht belegen.

Christiane Maurer leitet die Psychologisch-Therapeutische Beratung der Uni Hannover. Sie sagt, dass sich Studenten mit Alkohol oft auch entspannen wollen - und findet das gefährlich. "Studenten berichten uns, dass sie Bier oder Wein zum Stressabbau trinken", sagt Maurer. Immer häufiger würden Studenten in der Beratung nachfragen, welche Menge Alkohol noch im angemessenen Rahmen sei. "Wir versuchen, sinnvolle Alternativen zu zeigen." Lieber sollten die Studenten Sport treiben, joggen oder schwimmen gehen, um Anspannungen abzubauen. In die Beratungen der Uni Hannover kommen grundsätzlich nur wenige Studenten mit einer allgemeinen Suchtproblematik - im vergangenen Jahr waren es 20 von insgesamt 670 Studenten, die Hilfe suchten.

"Sucht kommt von siechen - und das endet im Tod"

Für Martin war der Alkohol mehr als nur ein Ausgleich zum Alltagsstress geworden. Er brauchte ihn in der Prüfungsphase, bei Partys, abends, wenn er alleine war. Bei seinem ersten Entzug ging er zwei Monate regelmäßig zu den Anonymen Alkoholikern. Aber die unpersönlichen, fast durchgehend nicht-konfrontativen Treffen gefielen ihm nicht. "Nie wurde hinterfragt, nie wurde kritisiert", erinnert er sich.

Zwei weitere Monate hielt er es ohne Alkohol aus, dann wurde er rückfällig. Bei einer Familienfeier trank er wieder, und wieder so lange, bis nichts mehr ging. Er unterschätzte seine Sucht. "Ich dachte, ich hätte mein Problem jetzt im Griff. Es wurde aber noch schlimmer." Er spürte körperliche Folgen: Am Morgen nach einem Vollrausch hyperventilierte er. Dazu kam ein immer stärkeres schlechtes Gewissen. Im Oktober 2011 suchte er das zweite Mal Hilfe bei einer Beratungsstelle, dieses Mal mit Erfolg. Schon bei seinem ersten Treffen stellt der Therapeut eine Frage, die Martin bis heute beschäftigt: "Woher kommt der Begriff Sucht?" Der Student tippt aufs Griechische.

"Sucht kommt von siechen", sagt der Berater. "Und weißt du, wo das endet?"

"In der Gosse?"

"Nein, im Tod."

"Das ging wie ein Stromschlag durch den ganzen Körper", erzählt Martin. Von diesem Tag an begann seine Abstinenz. Mittlerweile geht er deutlich weniger feiern, besucht eine Gruppentherapie. Hier wird er jede Woche an sein Problem erinnert. "Es ist ein Signal, das ich auf mich achten muss, sonst gerät es in Vergessenheit."

Martins Alkoholsucht wurde nicht durch sein Umfeld ausgelöst, aber er merkt rückblickend, dass es sein Trinkverhalten auch nicht einschränkte. "Viele trinken während des Studiums extrem viel, aber sie können es danach auch wieder ändern, wenn sie nicht so suchtanfällig sind. Ihr Leben richtet sich nicht danach aus." Ähnlich beurteilt auch der Braunschweiger Professor Schulz übermäßigen Alkoholkonsum: "Natürlich kann es gefährlich sein, aber meistens ist es ein vorübergehendes Phänomen, das sich auswächst."

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