Allein unter Frauen "Mal ehrlich, da läuft doch was!"

Grundschullehrer, männlich? Doch, gibt es wirklich. Christian Kock, 24, will einer werden und studiert in Karlsruhe. Darum verspotten ihn Kerle aus anderen Fächern mitunter als "Christiane". Kaum besser kommt die Variante von Jura- oder BWL-Studentinnen: "Das ist ja süß."

"Ich sitze als einziger Mann unter 40 oder 50 Frauen im Vorlesungssaal, der Professor betritt den Raum, überall wird noch geredet, woraufhin der Dozent sagt: 'Bitte meine Damen, seien Sie ruhig!'

Situationen wie diese sind Alltag in meinem Studium.

Ich habe schon früh als Jugendleiter gearbeitet - Kinder aufs Leben vorzubereiten, ihnen Werte zu vermitteln, finde ich wichtig. Die hohe Frauenquote im Grundschullehramt, von der ich vor meiner Einschreibung gehört hatte, war jedenfalls nicht das Argument fürs Studium. Allerdings hat sie mich auch nicht abgeschreckt.

Wobei ich zugeben muss: Dass sie so extrem ist, hätte ich nicht gedacht. 93 Prozent meiner Kommilitonen sind Frauen. Als ich nach Karlsruhe zog und in der ersten Vorlesung saß, dachte ich: 'Wie willst du denn hier jemals Männerfreunde finden?' Mittlerweile hat sich diese Sorge als unberechtigt erwiesen: Kerle in der Minderheit rücken zusammen, man setzt sich in den Vorlesungen nebeneinander, und man sucht und findet seine - na ja - Leidensgenossen.

Bewusst dümmliche Fragen

Sich Rückhalt zu suchen ist wichtig. Denn nicht nur die hohe Frauenquote, auch die vielfältigen, nicht immer angenehmen Reaktionen von außen haben mich überrascht. Wobei man unterscheiden muss: Verwandte und meine engen Freunde haben mich sehr in meiner Studienwahl bestärkt, und sie fanden es gut, dass ich meinen Interessen folge. Auch gegenüber meinen Kommilitoninnen oder Frauen, die Geisteswissenschaften studieren, muss ich mich nicht rechtfertigen. Und einige Professoren betonen sogar, wie gut sie es finden, dass ich als Mann den Mut habe, Grundschullehramt zu studieren.

Anders hingegen Kommentare von Fremden: Erzähle ich in einer Runde, dass ich Christian heiße und Grundschullehramt studiere, muss ich mir schon mal von anderen Männern anhören: 'Ach, also Christiane.' Oder ich werde bewusst dümmlich gefragt: 'Grundschullehrer - muss man denn dafür studieren?'

Und natürlich gibt es auch noch die Macho-Fraktion, die sagt: 'Geil, studieren mit so vielen Frauen.' Doch fast genauso schlimm wie die provokativen Reaktionen der Männer sind verniedlichende Sätze von Frauen - häufig Juristinnen oder BWLerinnen: 'Das ist ja süß!'

Dass Erziehung, insbesondere die frühkindliche, ins Aufgabengebiet der Frau fällt, ist in vielen Köpfen tief verankert. Und man spürt, dass es nicht gerade gut ankommt, wenn ein Mann Grundschullehrer wird. Zur eigenen Berufswahl und über den Kommentaren der anderen zu stehen, musste ich regelrecht lernen.

Männer können sich sehr lange sehr wenig sagen

Mein Freundeskreis in Karlsruhe besteht - wen wundert's bei diesem Studiengang? - zu einem großen Teil aus Frauen. Wenn wir uns treffen, sprechen wir häufig über persönliche Themen. Die Kommunikation ist intensiv und das Interesse am Befinden der anderen hoch. Verbringe ich dann hin und wieder einen Abend in einer Herrenrunde, muss ich mich erst an den unterschiedlichen Umgang miteinander gewöhnen: Mit Männern kann man problemlos Zeit verbringen, ohne sich wirklich etwas zu sagen. Oder sich gar nahezukommen.

Dass der Kontakt zu meinen Kommilitoninnen rein platonisch, kollegial und freundschaftlich ist, sprengt übrigens die Vorstellungskraft der meisten Männer: 'Sei mal ehrlich, da läuft doch was!', höre ich öfter.

Wir männlichen Raritäten finden besondere Beachtung

Es gibt ja auch Frauen in Männerstudiengängen, und man könnte annehmen, dass es ihnen da ebenso geht wie mir. Aber es ist eher so, glaube ich, dass sie um Aufmerksamkeit rackern müssen, während uns männlichen Raritäten besondere Beachtung geschenkt wird.

Allerdings steigt auch für uns der Druck, wenn wir dann beim ersten Schulpraktikum vor einer Klasse stehen. Nicht nur die Klassenlehrerin ist weiblich, auch die Dozentin, die einen beobachtet und benotet. Und ich werde den Eindruck nicht los: Während man davon ausgeht, dass eine Frau von Natur aus weiß, wie sie mit Kindern umzugehen hat, muss ich als Mann meine pädagogischen Fähigkeiten erst beweisen. Der Druck, zumindest am Anfang im Beruf, ist für Männer vermutlich höher.

Die öffentliche Diskussion, warum so wenige Frauen naturwissenschaftliche Studiengänge ergreifen, nervt mich mittlerweile. Warum interessiert es niemanden, dass so wenige Männer Frauenfächer studieren?

Erst ganz langsam dringt ins Bewusstsein, dass es an dieser Stelle in Deutschland ein zunehmendes Problem gibt. Etliche Kinder wachsen heute bei alleinerziehenden Müttern auf. Da sowohl in den Kindergärten als auch in den Grundschulen fast nur Frauen arbeiten, erleben die Kinder oft zum ersten Mal auf der weiterführenden Schule einen Mann, obwohl die sich häufig nach einem männlichen Vorbild sehnen.

Zum ersten Mal gab es voriges Jahr an unserer Hochschule einen Informationstag speziell für Männer, an dem wir männlichen Primarstufenstudenten von unseren Erfahrungen und dem Arbeitsalltag erzählt haben.

Das war ein Schritt genau in die richtige Richtung: Vielen Männern fehlen schlichtweg die Informationen, welche Verantwortung, welche Möglichkeiten und welche Herausforderungen der Beruf beinhaltet. 'Grundschullehrer - die spielen vor allem Gitarre und sind am Klatschen', das denken viele.

Protokolliert von Mathias Irle

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