Attentäter an Hamburger Hochschulen Das Nest der Schläfer
Die Technische Universität Hamburg-Harburg ist eine Vorzeige-Hochschule. Der Campus ist großzügig, grüne Wiesen, hochmoderne Gebäude. Zwischen den Vorlesungen und Klausuren sitzen die Studenten im Freien und genießen die Sonne. 20 Prozent von ihnen sind Ausländer - darauf war die Hochschule immer besonders stolz.
Mittwochnacht war es vorbei mit der Idylle. Beamte des Bundeskriminalamtes (BKA) rückten an. Die Ermittler sammelten alle Unterlagen ein, die auch nur im Entferntesten mit den zwei arabischen Studenten Mohammed Atta und Marwan al-Schahi zu tun hatten. Die beiden, so erklärten die Ermittler, sollen zu den Terroristen gehören, die die Anschläge in den USA verübten.
Als letzten machten die Ermittler am Freitag Siad Samir Jarrah, ehemaliger Student der Fachhochschule Hamburg, als einen der vermuteten Attentäter aus. Er war auf der Maschine gebucht, die später über dem Bundesstaat Pennsylvania abstürzte. Nach Angaben der Bundesanwaltschaft war er vier Jahre an der FH Hamburg eingeschrieben und studierte dort Flugzeugbau. Am Freitagabend verfolgten die Fahnder seine Spur nach Bochum, wo der vermutete Attentäter zeitweise bei seiner Freundin gelebt hatte. Dort fanden die BKA-Beamten einen Koffer mit Flugzeugunterlagen. Nach einem Bericht des "Hamburger Abendblatts" stand Jarrah in engem Kontakt zu Mohammed Atta und Marwan al-Schahi. Mehrmals wurde er in der Wohnung der beiden gesehen.
Ansprechpartner der Islam AG
Der 33 Jahre alte Mohammed Atta, an der Uni bekannt als Mohamed El-Amir, studierte von 1992 bis Mai 1999 Stadtplanung an der TU Hamburg-Harburg. Danach belegte er noch das Aufbaustudium "Wissenschaftliche Weiterbildung". Außerdem engagierte er sich in der so genannten Islam AG, einer Arbeitsgruppe, die der Studentenvertretung Asta zugeordnet ist. Noch heute wird er im Vorlesungsverzeichnis als deren Ansprechpartner geführt.
Professor Dittmar Machule, Dekan der TU, mag es einfach nicht glauben. Für ihn war El-Amir bislang ein guter Student und ein "liebenswerter Mensch". Für das FBI und die deutschen Ermittlungsbehörden dagegen ist er einer der Hauptverdächtigen: Er soll die auf dem Flug von Boston nach Los Angeles entführte Boeing 767 in den Nordturm des World Trade Centers gesteuert haben.
Acht Jahre hatte El-Amir an der TU studiert und sein Diplom in Stadtplanung gemacht. Er lebte nicht zurückgezogen, sondern war ein engagierter Student. Seine Drei-Zimmer-Wohnung lag nicht weit von der Uni entfernt. Dort wohnte er zusammen mit Al-Schahi, der den zweiten entführten Boeing-Jet in den Südturm gesteuert haben soll.
Atta verdiente sich gelegentlich etwas Geld als Autohändler oder bei einer Reinigungsfirma. Nur einmal war El-Amir offenbar bisher mit dem Gesetz in Konflikt geraten, meldet die "Bild"-Zeitung: Er habe sich im März 2000 drei Action-Filme aus einer Videothek geliehen und offenbar vergessen, die Videos ("Ace Ventura", "Vampire" und "Sturm des Jahrhunderts, Teil 2") zurückzugeben. Die Videothek forderte 803,50 Mark und beauftragte ein Inkassounternehmen das Geld einzutreiben.
An der Uni galt El-Amir dagegen als Musterstudent. Er habe sich in den Seminaren und Vorlesungen regelmäßig beteiligt, sei am Institut beliebt gewesen, so der Professor, und habe sich an aufwändige Studienprojekte gewagt. Machule betreute El-Amirs Diplomarbeit, sprach und diskutierte regelmäßig mit ihm.
Irgendwelche Anzeichen, die auf eine radikale Gesinnung El-Amirs hindeuteten habe es nicht gegeben. "Das muss ein religiöses Black-Out gewesen sein", meint der Professor hilflos. Oder ein "völliges Umdrehen des Gehirns". Oder eine dunkle Seite von der niemand etwas geahnt habe.
Zwar sei er sehr fromm gewesen, habe regelmäßig gebetet und gefastet, aber nicht fanatisch - im Gegenteil. "Er war ein kritischer Geist, immer überlegt argumentierend", sagt Machule. Er habe sich sogar für das Zusammenleben der Religionen ausgesprochen. Das Stadtviertel in der syrischen Stadt Aleppo, über das er seine Diplomarbeit schrieb, sei ein Bespiel für das gelungene Zusammenleben von Juden, Christen und verschiedenen Moslemgruppen gewesen.
Für seine Diplomarbeit suchte der Student offenbar Hilfe auf der französisch-syrischen Website Bab Souria (http://babsouria.online.fr/index.htm), die laut Eigenauskunft von einem französischen Computeringenieur und Reisebuchautor betrieben wird. Auf der Seite findet sich auch eine umfangreiche Sammlung von Fotos aus der Stadt Aleppo.
El Amir hinterließ einen Eintrag im Gästebuch, in dem er sich als Architekt bezeichnete. Er spreche Arabisch, Englisch und Deutsch. "Nun studiere ich Stadtplanung in Deutschland", schrieb er, "und bereite mich auf meine Examensarbeit über die Altstadt von Aleppo vor." Unter der Rubrik Interessen schrieb El-Amir: "Alles über Stadtplanung in Syrien. Alles über Aleppo."
Machule, ein führender Orientexperte, bewertete El-Amirs Diplomarbeit als "sehr ambitioniertes" Werk (Titel: "Khareg Bab-en-Nasr: Ein gefährdeter Altstadtteil in Aleppo. Stadtteilentwicklung in einer islamisch-orientalischen Stadt") und vergab dafür die Note 1,7 - in der mündlichen Prüfung bekam der Student sogar eine 1,0. "Er war eloquent, sprach sehr gut Deutsch." Für die Recherchen zu seiner Arbeit war El-Amir längere Zeit nach Syrien gereist, besuchte Machule sogar einmal, als der sich mit Ausgrabungen in einer anderen syrischen Stadt beschäftigte.
Auffällig sei lediglich gewesen, dass der Student gelegentlich für Monate verschwand. El-Amir habe diese Abwesenheiten aber glaubhaft damit begründet, dass er seine Familie unterstützen müsse, die in Kairo lebe. Machule ging davon aus, dass seine Familie dort relativ wohlhabend sei und ihm das Studium in Deutschland finanzierte.
Deshalb wohl brauchte El-Amir länger zur Beendigung seines Studiums, das nur ein Regelstudienzeit von sechs Semestern hat, weil dort nur Studenten mit Vorkenntnissen zugelassen werden. Bevor er nach Harburg kam, habe El-Amir bereits ein Architekturstudium abgeschlossen, glaubt sein Professor. Unklar ist ob er dies bereits in Deutschland oder woanders absolviert hat.
Mehrere Kommilitonen und Institutsmitarbeiter wollen El-Amir auf Bildern eindeutig wiedererkannt haben. Machule selbst ist sich nicht ganz sicher. Hin und wieder habe der einen Vollbart getragen. Nun bekommt der Professor besorgte und ungläubige E-Mails von seinen ehemaligen Studenten aus aller Welt, die mit El-Amir befreundet waren. Er selbst wird sich wohl dessen Diplomarbeit noch einmal durchlesen und darüber nachdenken, ob sich manche Sätze auch "anders interpretieren lassen, als ich gedacht habe."
Marwan al-Schahi, der zweite mutmaßliche Terrorist, wurde dagegen an der Uni kaum gesehen. Wohl pro forma schrieb er sich im Wintersemester 1999 an der Uni ein. Ein Jahr später wurde er exmatrikuliert - nach der Einschreibung hatte man an der Hochschule nie mehr etwas von ihm gehört. Al-Schahi soll zudem 1997/98 unter dem falschen Namen Marwan Lekrab das Studienkolleg der Uni Bonn besucht haben. Dort hat er offenbar im Sommer 1999 eine Prüfung bestanden.
An der TU Harburg studierte offenbar auch noch ein vierter Verdächtiger, Said Bahaji, 26. Er hatte die Wohnung für El-Amir und Al-Schahi angemietet und überwies jeden Monat das Geld an den Vermieter. Laut Angaben auf seiner eigenen Homepage ging er in Marokko zur Schule, zog dann aber nach Deutschland. Dort musste er auf einem Abendkolleg das Abitur nachmachen, um studieren zu können.
In der Freizeit saß Bahaji offenbar Stunden vor dem PC, spielte, surfte, programmierte. Fasziniert war er von der Formel 1, deren Rennen er fieberhaft am Fernseher verfolgte. Zu den Studenten an der Uni hatte er offenbar ein gespaltenes Verhältnis: "Leider sind die Harburger Studenten sehr langweilig", schrieb er auf seiner Homepage, "denn wenn sie nicht betrunken sind, können sie doch nichtmal den Mund aufmachen."
"Hier gibt es keine Atmosphäre des Misstrauens", sagt der TU-Pressesprecher Rüdiger Bendlin. Mohammed Atta, der jahrelange an der Uni studierte, "bewegte sich wie ein Fisch im Wasser". Sicher engagierte er sich in der Islam AG. Doch außer, dass sich das knappe dutzend Mitglieder in einem abseits gelegenen Pavillon - die so genannte Baracke - zum täglichen Gebet traf, fiel die Gruppe überhaupt nicht auf. "Die AG war sehr offen", berichtet Hannes Keil, Öffentlichkeitsreferent in der Studentenvertretung Asta. "Die praktizierten ihren Islam und machten bei Informationsveranstaltungen mit anderen Religionen mit." An der Universität wird Wert darauf gelegt, dass die Kulturen der 70 verschiedenen Nationalitäten unter den Studenten lebendig bleiben.
"Wenn sie bei unserem Nationentag 'Get2gether' einen Pakistaner mit einer Inderin tanzen sehen, wissen sie, dass sie alles richtig gemacht haben", sagt Christian Nedeß. Seitdem bekannt wurde, dass sich zwei Terroristen unter den Studenten befanden, herrscht im vierten Stock des Hauptgebäudes Ausnahmezustand. Im 20-Minuten-Abstand werden Journalisten durch Nedeß' Büro geschleust, Fernsehteams warten vor dem Gebäude auf einen Dreh.
"Haben wir etwas falsch gemacht?"
Die wenigen Studenten, die während der vorlesungsfreien Zeit auf dem Campus sind, sitzen in kleinen Gruppen still zusammen. "Die Stimmung ist gedrückt", fasst der Verfahrenstechnik-Student Tasso Wilhelm zusammen. Schon die Nachrichten über den Terroranschlag in den USA hatte für einen Schock gesorgt, und nun noch dies: "Man hat mit einem von denen womöglich gemeinsam an einem Tisch gesessen."
Wenige Studenten wissen über die Ex-Kommilitonen mehr, als die Internetdienste, Zeitungen und TV berichten. Tasso Wilhelm glaubt sich zu erinnern, Mohammed Atta einmal gesehen zu haben. "Ich habe den aber viel kleiner in Erinnerung gehabt." Für die meisten sind die beiden Studenten nicht mehr als Bilder aus dem Fernsehen.
Nun fragt man sich an der Uni: "Haben wir etwas falsch gemacht?" Steht das Konzept der Integration auf der Kippe? Auf einer Vollversammlung, auf der Uni-Präsident Nedeß über die jüngsten Entwicklungen sprach, meldete sich ein Student, der laut darüber nachdachte, ob die Zahl der ausländischen Studenten nicht besser reduzieren werden solle.
Von den Kommilitonen gab es nur Protest. Anders als in den USA, wo sich vielerorts eine Atmosphäre des Misstrauens gegen arabische Studenten ausbreitet, scheinen die jüngsten Ereignisse den Zusammenhalt unter den Studenten nur gestärkt zu haben. "Wir haben viel mehr Angst, dass wir vom Rest der Welt in einen Topf mit Terroristen geworfen werden", sagt Asta-Vertreter Keil.
Der gebürtige Pakistani Faisal Kamran studiert an der TU Umwelttechnik und hat keine Befürchtungen, dass ihn seine Kommilitonen wegen seiner Herkunft schief anschauen könnten. Vielleicht aber, so vermutet er, werden Studenten und Professoren doch bei neuen ausländischen Kommilitonen etwas genauer hinsehen.
Was die Folgen aus den jüngsten Geschehnissen für die TU Harburg sein könnten, kann TU-Präsident Christian Nedeß noch nicht sagen. "Den Weg der Internationalisierung werden wir auch künftig nicht verlassen", sagt er fast beschwörend. "Wenn man die Globalisierung ernst nimmt, muss man die Internationalisierung verfechten", erklärt er.