Aufruhr der Medizinstudenten Dr. Theoreticus und das "Hammerexamen"
Seit Jahrzehnten präsentiert sich das Medizinstudium an deutschen Universitäten als nahezu reformimmun. Nun soll doch eine neue Ausbildungs- und Prüfungsordnung kommen - doch die Studenten laufen Sturm gegen die Pläne der Bundesregierung. Sie protestieren vor allem gegen die Absicht von Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD), die bisher drei Teilprüfungen des medizinischen Staatsexamen zu einer einzigen Prüfung zusammenzulegen. Damit drohe ein "Hammerexamen", befürchtet die Fachtagung Medizin, eine bundesweite Vertretung der Fachschaften.
Mit bundesweiten Protestaktionen machten rund 5000 Medizinstudenten am Mittwoch ihrem Ärger über die vom Bundeskabinett bereits verabschiedete Reform Luft. In 20 Städten von Dresden bis Aachen, von Kiel bis Rostock gingen sie auf die Straße, sammelten insgesamt 14.000 Unterschriften und reckten rote Karten hoch.
In Köln zum Beispiel waren 700 angehende Ärzte in weiße Kittel gekleidet, in München versammelten sie sich im Anatomischen Institut und stimmten "Oh Shit, Frau Schmidt" an. In Heidelberg traten sie zur kostenlosen Blutdruckmessung von Passanten an. In Berlin demonstrierten sie mit Plakaten wie "Reform gelungen, Patient tot" oder "Theoretisch könnte ich Ihnen helfen".
Der Protest richtet sich vor allem gegen das "Hammerexamen", das am Ende des Studiums nach dem praktischen Jahr (PJ) stattfinden soll - der "größte Murks" der neuen Approbationsordnung, meinen die Studenten. Sie befürchten eine Verlängerung ihres ohnehin schon 13-semestrigen Studiums um ein weiteres Semester. Denn im PJ gebe es kaum Zeit zum Lernen; zudem würden Studenten ohne Überprüfung ihrer Qualifikation auf die Patienten losgelassen.
Ministerium hält Proteste für unberechtigt
Gesundheits-Staatssekretär Klaus Theo Schröder betonte unterdessen, dass Hochschullehrer und Studenten gefordert hätten, die Fächerprüfungen durch Hochschullehrer abnehmen zu lassen und dafür die Prüfungen nach dem sechsten und zehnten Semester zu streichen. Deshalb sollten künftig die Studenten zwischen dem fünften und zehnten Semester die Hochschulprüfungen für die einzelnen Fächer und die Querschnittsbereiche ablegen. Am Ende des praktischen Jahres stehe dann eine fallbezogene praxisorientierte Prüfung, die nicht auf einzelne medizinische Fächer abstelle, sondern eine Fallprüfung sei.
Der Prüfling müsse dabei zeigen, dass er fächerübergreifend die wichtigsten Krankheitsbilder adäquat behandeln könne, erklärte Schröder. Diese völlig neue Prüfungsform setze über das Faktenwissen hinaus praktische Erfahrung im Umgang mit dem Patienten voraus. "Von der Zusammenfassung des Prüfungsstoffes von drei in eine Prüfung kann also nicht die Rede sein", meint Schröder. Die Studenten dagegen fordern eine Aufteilung des Examens in einen fallbezogenen theoretischen Teil vor und einen praktischen Teil nach dem PJ.
Praxisnähe nur eine Fiktion
Die Fachtagung Medizin warnt aber auch vor einer größeren Praxisferne der ärztlichen Ausbildung. "Dr. Theoreticus" haben sie die Regierungspläne getauft. Schon lange steht das Medizinstudium wegen des hohen Theorieanteils, der Zersplitterung in viele Einzelfächer und der späten Begegnung mit Patienten in der Kritik.
Zwar will Ministerin Ulla Schmidt das Studium mit der Reform praxisnäher machen; ihr Entwurf basiert auf älteren Konzepten des ehemaligen Gesundheitsministers Horst Seehofer. Doch die Studenten halten den geplanten "problemorientierten Unterricht in Kleingruppen" für zu unverbindlich, für eine Fiktion. Das werde nie in die Realität umgesetzt werden, wenn es an Personal und Geld fehle.
Die Novelle der Approbationsordnung liegt derzeit dem Bundesrat vor. Nach den Vorstellungen der Bundesregierung soll sie bereits in den nächsten Wochen beschlossen werden.