Auslaufmodell Studiengebühren Wo die Bezahl-Bastionen fallen

Proteste gegen die Campusmaut: Immer mehr Länder schaffen die Gebühren ab
Foto: DDPZehntausende Studenten demonstrierten und streikten, Professoren verabschiedeten Resolutionen, Bundesländer und Bundesregierung stritten erbittert miteinander, Verfassungsrichter mussten entscheiden. Kaum etwas hat in den vergangenen Jahren für mehr Aufregung an den Hochschulen gesorgt, hat Bildungspolitiker so aufgebracht wie die Frage: Sollen Studenten für ihr Studium bezahlen?
Sieben Bundesländer beantworteten sie mit einem klaren Ja. Sie führten ein, trotz massiven Widerstands, seit das Bundesverfassungsgericht das Gebührenverbot kippte. Jetzt, sechs Jahre später, sieht es allerdings so aus, als stürbe das Bezahlstudium einen langsamen Tod: Ein Bundesland nach dem anderen schafft die Gebühren wieder ab.
Und an diesem Sonntag wird wohl die nächste Bastion des Bezahlstudiums fallen.
wählt Hamburg eine neue Bürgerschaft
Dann - und alle Umfragen zeigen: Auch dort werden die Gebührengegner aller Voraussicht nach künftig eine Mehrheit haben. Sowohl SPD und Grüne als auch die Linke wollen die Campusmaut abschaffen.
SPIEGEL ONLINE analysiert die Lage in den Gebührenländern und zeichnet das Siechtum der Studiengebühren nach: Wo müssen die Studenten nicht mehr zahlen? Wo werden sie noch immer zur Kasse gebeten? Und wo steht das Ende des Bezahlstudiums kurz bevor?
Hamburg - Wie sich im Norden der Gebührentod auf Raten vollzieht
Nein, ein schneller Tod war den Studiengebühren in Hamburg nicht vergönnt, vor allem kein ruhiger.
Kaum irgendwo wurde der Kampf um die Studiengebühren mit so harten Bandagen ausgefochten wie im hanseatischen Stadtstaat: Auf der einen Seite gehörte der damalige Wissenschaftssenator Jörg Dräger (parteilos) zu den größten Fans des Bezahlstudiums und setzte sich sogar für 2500 Euro pro Jahr ein, bevor dann die unionsregierten Länder auf die gemeinsame Linie von 500 Euro pro Semester einschwenkten. Dräger und die CDU-Mehrheit in der Bürgerschaft setzten die Gebühren dann schnell durch, nachdem das Verfassungsgericht den Weg frei gemacht hatte: 2006 verabschiedet, 2007 eingeführt.
Auf der anderen Seite wehrten sich die Studenten und starteten einen Gebührenboykott. An der Universität Hamburg machten allerdings nur 6000 Studenten mit. Doch an der Hochschule für Bildende Künste weigerten sich bis zu 60 Prozent der gebührenpflichtigen Studenten zu zahlen, unterstützt von 26 Professoren, die warnten: Hamburg vergrault seine jungen Künstler.
Nackte Haut und eine neue Mehrheit
Die Organisatoren starteten eine Kampagne, für die sich nackte Kunststudenten in Hörsaalen filmen ließen. Motto: "Sie nehmen Dir das letzte Hemd." Der Streit eskalierte: Mehr als 50 Boykotteuren drohte im vergangenen Jahr die Pfändung. Laut Hochschul-Asta ließen die zuständigen Landeskassen bei einigen Studenten schon die Bank-Konten sperren.
Nach der Wahl 2008 formierte sich die erste schwarz-grüne Landesregierung. Und auf Betreiben der Grünen reduzierte die neue Koalition die Gebühren von 500 Euro auf 375 Euro pro Semester, die nach dem Ende des Studiums bezahlt werden müssen und erst ab einem Jahreseinkommen von 30.000 Euro brutto. Studentenvertreter äußerten sich teils verhalten zustimmend, teils enttäuscht über den "Wortbruch" der Grünen, die im Wahlkampf versprochen hatten, die Gebühren abzuschaffen.
Jetzt sieht es so aus, als sei das Ende nah: Sowohl SPD und Grüne als auch die Linke wollen die Gebühren abschaffen. Als einzige Partei tritt nur noch die FDP deutlich für das Bezahlstudium ein. "Die Hochschulen sollen selbst entscheiden, ob sie die Gebühren erheben", sagt die liberale Spitzenkandidatin Katja Suding.
In Umfragen führen die Sozialdemokraten derzeit mit über 40 Prozent. Wenn es nicht für die absolute Mehrheit reichen sollte, werden sie aller Voraussicht nach mit den Grünen regieren können. Das Erststudium soll dann bald nichts mehr kosten.
Nordrhein-Westfalen - Wie Gebührengegner sich gegenseitig zerfleischen
Selbst eine parlamentarische Mehrheit der Gebührengegner muss kein schnelles Ende des Bezahlstudiums bedeuten. Das zeigt sich in Nordrhein-Westfalen.
Dort regiert seit vergangenem Jahr eine rot-grüne Minderheitsregierung. Und obwohl auch die Linke im Landtag gegen Studiengebühren ist, hatte es so ausgesehen, als könnte die Abschaffung der Gebühren am Zeitplan scheitern: Ein halbes Jahr früher oder später, darum ging es im Kern bei dem Streit. Die Regierung von Hannelore Kraft (SPD) will, dass Studenten ab dem Wintersemester 2011/2012 nichts mehr zahlen müssen. Die Linke, auf deren Stimmen die Regierung im Landtag angewiesen ist, wollte die Gebühren bereits zum kommenden Sommersemester streichen.
Linke-Politiker hatten den Eindruck erweckt, sie würden den rot-grünen Gesetzentwurf im Landtag durchfallen lassen. Ministerpräsidentin Kraft hatte für den Fall Konsequenzen angedroht: " Wir scheuen uns nicht vor Neuwahlen", sagte sie dem SPIEGEL
Wie die Politik die Wut auf die Hochschulen abwälzte
Linke-Fraktionschef Wolfgang Zimmermann nannte es eine "Unverschämtheit, zu behaupten, wir wollten die Studiengebühren nicht abschaffen". SPIEGEL ONLINE sagte er: "Das grenzt an Wählertäuschung."
Eingeführt hatte die Gebühren die schwarz-gelbe Regierung, die 2005 ins Amt gekommen war. Mit dem CDU-Wahlsieg war NRW damals als wichtigste Bastion der Gebührengegner gefallen - nirgendwo in deutschland gibt es mehr Studenten als hier. Im März 2006 verabschiedete der Landtag ein Gesetz, das den Hochschulen erlaubte, maximal 500 Euro pro Semester zu erheben. Die genaue Höhe unterhalb dieser Grenze können die Hochschulen selbst festlegen - oder auch ganz auf Gebühren verzichten. Das hat NRW nicht zentral geregelt, anders als die meisten anderen Bundesländer. Praktischer Nebeneffekt: Die Bildungspolitik wälzte die Wut über die Gebühren auf die Hochschulen ab, jedenfalls in Teilen.
Jetzt scheint es, als sei der Weg frei für ein Ende des Bezahlstudiums in NRW. Politiker aus der Führung der Linken haben mittlerweile klargestellt: Sie werden das Gesetz der rot-grünen Landesregierung zur Abschaffung der nicht scheitern lassen. Abstimmen werden die Parlamentarier, so ist es vorgesehen, Ende Februar.
Hessen - Warum ein Gebührenfreund die Campusmaut abschaffen musste
Als erstes Bundesland schaffte Hessen die Studiengebühren bereits 2008 wieder ab - und zwar gegen den Willen der Landesregierung von Roland Koch (CDU), einem erklärten Gebührenfreund.
Was war geschehen?
Nach der Landtagswahl im Jahr 2008 herrschte in der hessischen Politik erstmal Durcheinander. Keine Partei konnte sich durchsetzen, eine mehrheitsfähige Koalition war nicht in Sicht. Also blieb Roland Koch geschäftsführend im Amt. Doch SPD, Grüne und Linke setzten im Landtag die Abschaffung der Gebühren durch.
Eine Panne verzögerte die Abschaffung der Gebühren
Allerdings kam es zur peinlichen Panne: Eine entscheidende Passage des Gesetztestextes ging verloren, nämlich jene, in der stand, ab wann das Studium in Hessen wieder gebührenfrei sein soll. Koch weigerte sich, zu unterschreiben. Erst im zweiten Anlauf konnten sich SPD, Grüne und Linke durchsetzen. Koch unterschrieb, das Gesetz trat zum 1. Juli 2008 in Kraft.
Eingeführt hatte seine Regierung die Gebühren erst kurz zuvor: Seit dem Wintersemester 2007/08 mussten Studenten in Hessen 500 Euro pro Semester zahlen.
Bislang ist Hessen gebührenfrei geblieben, obwohl die gebührenfreundlichen Parteien CDU und FDP die Neuwahlen im Januar 2009 für sich entschieden. Studiengebühren führte die schwarz-gelbe Landesregierung trotzdem nicht wieder ein. Die Begründung von Roland Koch: Es nerve die Menschen, wenn man ihnen immer wieder mit demselben Thema komme.
Auch unter Koch-Nachfolger Volker Bouffier (CDU) bleibt das Thema vom Tisch, so steht es im Koalitionsvertrag von CDU und FDP. Die 92 Millionen Euro, die die Hochschulen in den Gebührensemestern eingenommen haben, werden den Hochschulen nun vom Land zur Verfügung gestellt.
Saarland - Wie die Gebühren-Spätstarter früh zu Abschaffern wurden
Erst spät, im Vergleich zu den anderen Ländern, führte das Saarland Studiengebühren ein: zum Wintersemester 2007/08, damals auf Betreiben der regierenden CDU. In den ersten beiden Semestern wurden die Studenten mit je 300 Euro zur Kasse gebeten, danach zahlten sie 500 Euro.
Mit der Landtagswahl im August 2009 änderten sich aber die Machtverhältnisse im Mini-Bundesland. Die CDU verlor ihre absolute Mehrheit. Die Grünen konnten damals wählen: eine Koalition mit den Gebührengegnern von SPD und Linken. Oder eine Jamaica-Koalition mit den Gebührenfreunden von CDU und FDP - wofür sie sich entschieden.
Allerdings setzten sie, mit gerade mal drei Sitzen im Landtag vertreten, dennoch das Ende der Gebühren durch, vereinbart wurde das im Koalitionsvertrag. Grünen-Fraktionschef Hubert Ulrich sprach von einer "Frage der sozialen Gerechtigkeit".
Warum die Gebührengegner nicht ganz zufrieden sind
Das Saarland ist damit das zweite Bundesland, das einmal eingeführte Studiengebühren wieder abgeschafft hat. Seit dem Sommersemester 2010 müssen die Hochschulen nun ohne die zusätzlichen Gebühren der rund 21.000 Studenten auskommen. Das Land stellt den Hochschulen Kompensationszahlungen zur Verfügung. Die Universität des Saarlandes bekommt zehn Millionen Euro, die Hochschule für Technik und Wirtschaft (FH) 2,5 Millionen Euro.
Ganz zufrieden sind die Gebührengegner trotzdem nicht. Denn die Hochschulen dürfen Gebühren für Langzeitstudenten oder für ein Zweitstudium erheben, maximal 400 Euro pro Semester.
Niedersachsen - Wie Frühstarter die Gebühren durchsetzten
Sie waren früh dran in Niedersachsen: Schon im Dezember 2005 beschloss der Landtag, Studiengebühren für das Erststudium einzuführen, in einer Höhe von 500 Euro pro Semester.
Allerdings weicht der Beschluss in einigen Punkten von den ursprünglichen Plänen ab: Die Hochschulen können sich nicht für oder gegen die Campus-Maut entscheiden wie etwa in Nordrhein-Westfalen, sondern landesweit werden 500 Euro pro Semester fällig. "Nur so können wir Studienbeiträge rechtssicher einführen", sagte der damalige Wissenschaftsminister Lutz Stratmann (CDU).
Seit dem Wintersemester 2006/2007 müssen Erstsemester 500 Euro pro Semester zahlen, seit dem Sommersemester 2007 alle niedersächsischen Studenten.
Nach einem baldigen Ende der Gebühren sieht es nicht aus. Die neue Wissenschaftsministerin Johanna Wanka (CDU) ist der Meinung, dass die Campusmaut Studenten nicht abschrecke. Einheitlich ist ihre Position allerdings nicht ganz: In Brandenburg, wo sie jahrelang Wissenschaftsministerin war, hatte ihre Partei gegen Studiengebühren gestimmt.
Bayern und Baden-Württemberg - Wie der Süden die Campusmaut verteidigt
Baden-Württembergs Wissenschaftsminister Peter Frankenberg (CDU) gilt als einer der glühendsten Vertreter von Studiengebühren. Er war einer der Ersten, der einen entsprechenden Gesetzesentwurf vorlegte: schon im September 2005 - also nur ein paar Monate, nachdem das Bundesverfassungsgericht das Gebührenverbot aufgehoben hatte. Seit Sommersemester 2007 werden die Studenten im Südwesten mit 500 Euro pro Semester zur Kasse gebeten.
Die Studenten wehren sich dort allerdings seit Jahren massiv gegen die Gebühren. Es gab Proteste und Boykotts. Zahlreiche Studenten versuchten auch, juristisch gegen die Campusmaut anzugehen. Bislang erfolglos. Erst im vergangenen Dezember scheiterte eine Klage von vier Studenten der Universitäten Karlsruhe und der Pädagogischen Hochschule in Freiburg vor dem Bundesverwaltungsgericht. Die Kläger sahen unter anderem das Grundrecht auf freien Zugang zu Ausbildungsstätten verletzt. Die Richter waren anderer Meinung. Sie sehen in Baden-Württemberg keine "unüberwindbare soziale Barriere für die Weiterführung eines Studiums".
Fällt die Campusmaut in Baden-Württemberg nach den Landtagswahlen?
Auch das Nachbarland Bayern führte früh das Bezahlstudium ein. Seit dem Sommersemester 2007 zahlen Studenten an Fachhochschulen zwischen 100 und 500 Euro pro Semester, an Universitäten zwischen 300 und 500 Euro. Auch dort verliefen die ohnehin eher mauen Gegenproteste ohne Erfolg. Nebeneffekt: Viele Studenten weichen ins Nachbarland Österreich aus, wo keine Gebühren erhoben werden.
Im Unterschied zu Bayern keimt bei den Gebührengegnern in Baden-Württemberg allerdings Hoffnung: Ende März könnte die schwarz-gelbe Regierung bei den Landtagswahlen ihre Mehrheit verlieren. Sowohl SPD als auch Grüne machen sich für ein Ende der Campusmaut stark. Es wird davon abhängen, wer sich in welcher politischen Konstellation durchsetzt.