Aussetzung der Wehrpflicht Unis droht Studenten-Schwemme

Die Regierung will die Wehrpflicht aussetzen - für die Hochschulen könnte das zum Problem werden: Entfällt für Tausende Abiturienten der Dienst in Kasernen oder Krankenhäusern, können sie gleich ein Studium beginnen. Dabei fehlen schon mit dem Zwangsdienst-Puffer Studienplätze.
Bundeswehr-Rekruten: Ohne Wehrdienst wird es an Unis bald eng

Bundeswehr-Rekruten: Ohne Wehrdienst wird es an Unis bald eng

Foto: ddp

Zivildienst

Wer der Einberufung entkommen will, hat schon bisher beste Chancen. Das Gesetz listet detailliert auf, was junge Leute so alles machen können, wenn sie keinen Wehr- oder leisten wollen: Heiraten oder Kinder kriegen hilft zuverlässig, Priester oder Abgeordneter werden ebenso. Von den illegalen Wegen - Hochverrat oder Landesverrat mit einer längeren Freiheitsstrafe etwa - ganz zu schweigen.

Karl-Theodor zu Guttenberg

Wehrpflicht

In Zukunft soll sich niemand mehr mit den Regeln und Ausnahmen des Wehrpflichtgesetzes auseinandersetzen müssen. Verteidigungsminister (CSU) will die aussetzen. Vielleicht schon im nächsten Jahr können dann Zehntausende gleich nach dem Schulabschluss ein Studium oder eine Ausbildung beginnen - und müssen nicht noch Monate in Krankenhäusern oder Kasernen verbringen.

Hochschulen

Doch der Zeitpunkt könnte für die ungünstiger kaum sein: Dort droht es ab dem nächsten Frühjahr ohnehin ungemütlich eng zu werden. So viele junge Leute wie noch nie zuvor werden ein Studium aufnehmen, auch weil sich die Verkürzung der Gymnasialzeit auswirkt. Die doppelten Abiturjahrgänge strömen an die Hochschulen. 2011 ist es in Bayern und Niedersachsen so weit, sechs weitere Bundesländer folgen bis 2014. Wird die Wehrpflicht ausgesetzt, kommt ein einmaliger Schub hinzu.

"Schafft die Wehrpflicht nicht vor 2014 ab"

Die Experten der Kultusministerkonferenz haben sich erst im Juni mit der Wehrpflicht beschäftigt. Da ging es noch darum, welche Auswirkungen eine Verkürzung der Dienstzeit hätte. Der Statistik-Fachmann Ulrich Meyer zu Hörste aus der Hamburger Wissenschaftsbehörde sah durchaus ein kleines Problem auf die Hochschulen zurollen. Mit der Aussetzung oder Abschaffung droht jetzt ein deutlich größeres.

"Wir haben ohnehin einen Studienanfängerberg und setzen nun womöglich noch eine Spitze obendrauf", sagt Meyer zu Hörste. Wird die Wehrpflicht abgeschafft, würden vermutlich zusätzlich knapp 60.000 junge Männer früher als bislang gedacht in die Hochschulen strömen.

Von einer solchen Größenordnung geht auch Christian Berthold, Geschäftsführer von CHE Consult aus. Die Hochschulberater aus Gütersloh haben zuletzt eine Prognose der Studienanfängerzahlen veröffentlicht. Die müssten sie laut Berthold korrigieren, wenn die Wehrpflicht abgeschafft werde. Eine Abschaffung "wäre ein zusätzliches Problem und würde den Studierendenberg nicht unerheblich erhöhen", sagt Berthold.

Nach seiner Schätzung müsste die Zahl der zusätzlichen Studienplätze noch einmal um rund ein Viertel aufgestockt werden, wenn schon für die Abiturienten aus den doppelten Jahrgängen die Wehrpflicht ausgesetzt werde. "Wenn man eine politische Botschaft formulieren wollte, müsste man sagen: Schafft die Wehrpflicht nicht vor 2014 ab, wartet lieber noch drei, vier Jahre."

Die Aussetzung der Wehrpflicht könnte den Numerus Clausus drücken

Universitäten

Auch die Hochschulrektorenkonferenz hat das Problem im Blick, es steht auf der Tagesordnung der Präsidiumssitzung in dieser Woche. Die ersten haben bereits gerechnet, was Guttenbergs Plan für ihre Planungen bedeutet. "Wir sind ohnehin seit geraumer Zeit mit einer wachsenden Studierendenzahl konfrontiert und bereiten uns intensiv auf den doppelten Jahrgang im nächsten Frühjahr vor", sagt der Präsident der Technischen Universität München, Wolfgang Herrmann.

"Wenn die Wehrpflicht zum Sommersemester 2011 wegfällt, rechnen wir mit noch einmal zehn Prozent Studienanfängern obendrauf." Die Mehrkosten schätzt Herrmann auf zwei Millionen Euro für seine Universität und zehn Millionen Euro für alle Hochschulen des Freistaats. Er mahnt die Politiker: "Es ist wichtig für uns, sehr rechtzeitig zu wissen, ob die Dienstpflicht entfällt, damit wir die Vorbereitungen treffen können."

Für Unmut könnte die Wehrpflicht auch unter den Studienanfängern sorgen. Denn die Konkurrenz in begehrten Fächern wird sich weiter verschärfen - mancher Abiturient oder manche Abiturientin könnten trotz guter Noten ihren Wunschstudienplatz nicht bekommen. "Der Numerus Clausus ist keine feststehende Note", erläutert Jörn Alphei, Leiter der Abteilung Studienzentrale an der Universität Göttingen. "Er ist davon abhängig, wie viele Leute sich mit welchen Noten auf begrenzte Studienplätze bewerben." Göttingen hat wie andere Hochschulen derzeit besonders nachgefragte Fächer mit einem internen Numerus Clausus belegt, beispielsweise BWL, Psychologie oder Jura.

Auch auf dem Lehrstellenmarkt wird es eng

Mit "Verdrängungseffekten" rechnet Joachim Ulrich vom Bundesinstitut für Berufsbildung in Bonn auch bei den Lehrstellen. Allerdings sei der Effekt dort wahrscheinlich weniger spürbar als an den Hochschulen, weil die Abiturienten nur einen Teil der Lehrstellenbewerber ausmachen. Abgänger von Haupt- und Realschulen beginnen ihre Lehre im Regelfall bevor sie volljährig sind und eingezogen werden können.

Doch immerhin 14.000 Jugendliche und junge Erwachsene, so hat Ulrich errechnet, hätten bislang jedes Jahr nach dem Abitur gleich mit einer Lehre begonnen, wenn sie nicht für Wehr- oder Zivildienst verpflichtet worden wären. Würde die Wehrpflicht ausgesetzt, strömten bedeutend mehr Abiturienten zeitgleich auf den Ausbildungsmarkt. Der Streuungseffekt wäre dahin.

Berufsausbildung

Schon für 2011 prophezeit Ulrich eine "beschleunigte Nachfrage männlicher Abiturienten". Besonders betroffen seien wegen der Einführung des Turbo-Abiturs Ausbildungsbetriebe in Bayern und Niedersachsen. Das sei tendenziell gut für die Firmen, die hätten nun mehr Auswahl, aber nachteilig für schwächere Bewerber. Schon jetzt gelangten Jugendliche mit niedrigeren Schulabschlüssen nicht "so rasch in eine , wie dies wünschenswert wäre".

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren
Mehrfachnutzung erkannt
Bitte beachten Sie: Die zeitgleiche Nutzung von SPIEGEL+-Inhalten ist auf ein Gerät beschränkt. Wir behalten uns vor, die Mehrfachnutzung zukünftig technisch zu unterbinden.
Sie möchten SPIEGEL+ auf mehreren Geräten zeitgleich nutzen? Zu unseren Angeboten