Befristete Jobs an Hochschulen Prekär ist immer noch normal

Doktoranden an der Universität in Düsseldorf
Foto: imago/Oliver RingVor genau zwölf Monaten trat eine Gesetzesreform in Kraft, die ein altes Übel an deutschen Hochschulen angehen sollte: hochqualifizierte, auch promovierte Wissenschaftler, die sich jahrelang von Zeitvertrag zu Zeitvertrag hangeln.
Das neue Wissenschaftszeitvertragsgesetz, kurz WissZeitVG, gibt seit dem 17. März 2016 vor, dass Verträge für wissenschaftliches Personal so lange zu laufen haben, wie es für die "angestrebte Qualifizierung" angemessen sei.
Schon bevor die Novelle in Kraft trat, war die Kritik an der Wortwahl groß: Zu unpräzise sei sie. Was heißt angemessen? Und was genau ist eine Qualifizierung - erst die Promotion selbst, oder auch schon das Exposé für die Doktorarbeit und andere Zwischenschritte auf dem Weg dorthin?
Zum Jahrestag beklagt die Bildungsgewerkschaft GEW nun, viele Hoffnungen hätten sich nicht erfüllt. Weil das neue Gesetz so abstrakt formuliert sei, werde es wohl zu Klagen von Uni-Mitarbeitern vor Arbeitsgerichten kommen, sagte der stellvertretende GEW-Chef und Hochschulexperte, Andreas Keller, der Nachrichtenagentur dpa. Man bereite sich darauf vor, diese Klagen zu begleiten.
Grünen-Hochschulexperte Kai Gehring fürchtet, dass das überarbeitete Gesetz statt klarer Mindestvertragslaufzeiten vor allem Auslegungsprobleme und damit der Justiz viel Arbeit bringen werde. "Diese wachsweiche Novelle beflügelt die Fantasie findiger Personalleiter in den Chefetagen der Wissenschaft."
Keller beobachtet bei Hochschulen als Arbeitgeber nach eigenen Abgaben zwei Strategien: Es werde nach Schlupfwinkeln gesucht, um den Begriff der Qualifizierung stark auszudehnen. "Oder die Arbeitgeber befinden sich noch in der Trotzphase und blockieren alles, was mit dem neuen Wissenschaftszeitvertragsgesetz zu tun hat."
Neues WissZeitVG: Das hat sich geändert
Studentische Mitarbeiter an den Hochschulen können nun sechs Jahre lang während des Studiums von den Hochschulen befristet angestellt werden.
Bis zum Abschluss der Promotion können wissenschaftliche Mitarbeiter sechs Jahre lang befristet beschäftigt werden. Die Vertragslaufzeit soll der "angestrebten Qualifizierung angemessen" sein. Bei einer Drittmittelfinanzierung soll sich die Dauer der Befristung am bewilligten Projektzeitraum orientieren. Kürzere Verträge bleiben möglich, wenn es gute Gründe dafür gibt: zum Beispiel wenn jemand nach einem Dreijahresvertrag mit seiner Publikation, seiner Doktorarbeit oder seinem Projekt fast fertig ist oder wenn es um eine Überbrückung zwischen zwei Projekten geht.
Nach der Promotion können Wissenschaftler sechs Jahre lang befristet beschäftigt werden, Mediziner neun Jahre. Auch zwischen Promotion und Professur sollen Wissenschaftler künftig angemessen lange Verträge bekommen. Daneben sollen bundesweit 1000 sogenannte Tenure-Track-Stellen an den Hochschulen geschaffen werden. Das sind Posten für Nachwuchsforscher, die nach einer guten Evaluation automatisch entfristet werden. Von 2017 bis 2032 ist das Förderprogramm mit rund einer Milliarde Euro ausgestattet.
Bislang konnten auch Laborkräfte, Techniker oder Assistenten nach dem Wissenschaftszeitvertragsgesetz befristet angestellt werden. Das hat sich geändert: Nicht-Wissenschaftler können nun nur noch nach dem normalen Arbeitsrecht befristet werden: höchstens zwei Jahre.
Wie verbreitet diese Strategien sind, kann derzeit allerdings niemand sagen. "Es liegen noch keine empirischen Studien darüber vor, ob und wie oft das neue Gesetz missbraucht wird", sagt René Krempkow, der beim Stifterverband für das Projekt Personalentwicklung zuständig ist. Es gebe auch Hochschulen, die bereits umgesteuert hätten.
Der Stifterverband befragte vor eineinhalb Jahren 159 Hochschulen. Sie gaben an, den Anteil der unbefristeten Arbeitsverträge für wissenschaftliches Personal jenseits der Professur bis 2018 von durchschnittlich 26 auf 30 Prozent in der Forschung und von 33 auf 41 Prozent in der Lehre steigern zu wollen. "Das ist ein gutes Signal. Ich bin gespannt, was sie davon umsetzen", sagt Krempkow.
Um Bilanz zu ziehen, sei es noch viel zu früh, findet auch Georg Jongmanns vom HIS-Institut für Hochschulentwicklung. "Jede Hochschule muss nun ihre eigenen Lösungen ausarbeiten, um rechtlich sichere Arbeitsverträge anbieten zu können."
So sei für jeden Fachbereich zum Beispiel zu klären: "Was ist eine Daueraufgabe, was führt zu einer Qualifizierung - und was ist eine temporäre Aufgabe, die aber nicht zur angestrebten Qualifizierung passt?" Außerdem müssten Budgetpläne angepasst werden. "Das dauert alles länger, als es die neue Gesetzeslage vorgibt", sagt Jongmanns. Die von der GEW erwarteten Klagen seien bisher jedenfalls ausgeblieben.
Auch die Regierungsparteien mahnen zur Geduld. Der stellvertretende CDU/CSU-Fraktionschef, Michael Kretschmer, sagte, noch könnten "keine verlässlichen Aussagen über die Wirkungen des Gesetzes getroffen werden". Aus der SPD hieß es, man habe bisher nichts von breiten fortgesetzten Gesetzesverstößen gehört.
2020 soll es eine Evaluierung der Reform geben.