Berliner Protestwelle In der Nähe der Macht

Die Berliner Uni-Klink Benjamin Franklin steht vor dem Aus. Professoren der Freien Universität wehren sich und bereiten sogar ein Volksbegehren vor. Nach dem Willen von SPD und PDS soll es nur noch eine zentrale Klinik geben ­ und viel spricht für die traditionsreiche Charité.

Es war wie in den besten Zeiten der außerparlamentarischen Opposition. Quälend langsam schoben Mediziner am vergangenen Freitag Klinikbetten über den Kurfürstendamm, die Chefärzte vornweg. Nur die Parolen waren anders. "An jedem zehnten Klinikbett", hieß es 1968 an der Freien Universität Berlin (FU), "wird ein Ordinarius fett." Diesmal las sich der Protest so: "Die rot-rote Kumpanei schlägt die Wirtschaft entzwei."

Jetzt gilt es, das Universitätsklinikum Benjamin Franklin zu retten. Die neue SPD/PDS-Regierung will es zu einem normalen Krankenhaus degradieren und damit ab 2006 rund 97 Millionen Euro pro Jahr einsparen. Was der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) als "Big Point" feiert, bedeutet einen in der deutschen Nachkriegsgeschichte einmaligen Akt ­ noch nie wurde bisher eine Medizinische Fakultät geschlossen.

Endlich Erfolge - doch nun droht die Auflösung

Bei rund 41 Milliarden Euro Schulden kann sich Berlin zwei opulente Uni-Kliniken nicht mehr leisten. Die Abwicklung trifft die mehr als 5000 Mitarbeiter des Benjamin-Franklin-Klinikums in einer Phase, in der sie endlich Erfolge vorzuweisen haben. Rund um den medizinisch-industriellen Komplex in West-Berlin hat sich ein Geflecht von kleinen, hoch spezialisierten Biotechnologie-Firmen etabliert, die mit den 800 Ärzten kooperieren. Vergangenes Jahr trieben die Professoren 26 Millionen Euro an zusätzlichen Forschungsgeldern ("Drittmittel") auf.

Noch 1987 hatte der deutsche Wissenschaftsrat der Fakultät vorgeworfen, sie sei bei der Werbung von Forschungsgeldern "unterdurchschnittlich". Über dem Schnitt lag aber immer die Verwaltung. Ob eigene Fotografen oder Drucker, der Apparat wucherte.

Noch lange nach der Wende hatte das Klinikum den Ruf eines mittelmäßigen Medizinstandorts, der nicht mit den Spitzeneinrichtungen in München, Heidelberg oder Freiburg konkurrieren konnte. Deshalb gelang es nur selten, anerkannte Spitzenkräfte nach Berlin zu berufen.

Vorzeigefakultät mit viel Tradition

Allerdings waren die Probleme nicht immer hausgemacht. So lehnte ein renommierter süddeutscher Kandidat seine Berufung an den Orthopädie-Lehrstuhl in den achtziger Jahren ab, weil er für sein Privatflugzeug keine Flugerlaubnis für den Luftkorridor nach West-Berlin erhielt.

Dass die Charité lange Zeit ebenfalls kaum besser war, kaschierte sie mit ihrem berühmten Namen: Kein deutsches Klinikum ist bekannter als die im 19. Jahrhundert gegründete Vorzeigefakultät. Geschickt integrierten die Ost-Berliner Mitte der neunziger Jahre die weltweit führenden Herzspezialisten des Rudolf-Virchow-Krankenhauses und tauschten ihr altes DDR-Führungspersonal gegen West-Professoren aus.

Den Rest bringt der Standortvorteil: Das Regierungsviertel liegt vor der Tür ­ und Platz zur Ausdehnung gibt es reichlich. Die Nähe zum Kanzler lockt ehrgeizige Mediziner und macht eine Abwicklung zu Gunsten des am Stadtrand gelegenen Franklin-Klinikums undenkbar.

In der Entscheidung bestärkt wird der Berliner Senat durch eine Reihe von Experten. Schriftlich forderten die Chefs der großen Berliner Krankenkassen Wowereit Ende vergangenen Jahres auf, der Senat müsse einen Standort schließen und solle "die Hochschulmedizin in einem Universitätsklinikum konzentrieren". Dass das nur die Charité sein konnte, hatte 1997 schon der Wissenschaftsrat empfohlen. Auch ein Gutachten des Kieler Instituts für Gesundheits-System-Forschung riet 1998 dazu, die Franklin-Klinik in ein normales Krankenhaus mit reduzierter Bettenzahl umzuwandeln.

Deshalb erinnern sich FU-Professoren an ein weiteres Kampfmittel bewegter Zeiten: den langen Marsch durch die Institutionen. Neben einer Klage gegen die Abwicklung will FU-Präsident Peter Gaethgens auch im kommenden Sommersemester neue Medizinstudenten aufnehmen. Da jedem Studierenden das Recht auf Fortführung der Ausbildung garantiert ist, kann so das vom Senat für 2006 avisierte Ende künstlich hinausgezögert werden.

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