Drogenhilfe für Jugendliche Wenn die Stimmen im Kopf sind

Kiffer auf der Hanfparade (Archiv): Plötzlich kommt die Psychose
Foto: Kay Nietfeld/ dpaVon heute auf morgen sind die Stimmen da. Sie flüstern hässliche Dinge, kommentieren alles, beruhigen, schimpfen erneut drauflos - ohne Pause. "Von rechts der Teufel, von links der Engel", erinnert sich Anna, 30, an den Ausbruch ihrer Psychose im Jahr 2010. "Dann kam der Verfolgungswahn hinzu. Ich bekam unglaubliche Angst, auf der Straße, im Dunkeln." Drei Jahre später war sie so zermürbt, dass sie an Selbstmord dachte - und nach einem Anruf beim Krisennotdienst schließlich im "Fritz" landet. Das ist ein Berliner Therapiezentrum für junge Erwachsene wie Anna.
"Mit zwölf hab ich angefangen, Drogen zu nehmen: Partydrogen, Ecstasy, Amphetamine. Gekifft hab' ich auch", sagt Anna heute. "Alles aus Neugier. Ich sah älter aus und bin problemlos in Clubs reingekommen", ergänzt die hübsche junge Frau mit der dunkelblonden Lockenmähne. Sie ist sorgsam geschminkt, aber die Spuren der Vergangenheit sind ihr anzusehen: Jahrelanges Partyleben liegt hinter ihr. Vorher Hauptschulabschluss, Auszug aus einer kaputten Familie und Umzug aus einer anderen Großstadt nach Berlin. "Ich hab in der Gastronomie gearbeitet - da wird eben getrunken und was eingenommen. Geld gibt es bar auf die Hand. Arbeit und Party sind gar nicht richtig zu trennen."
Die Probleme kamen plötzlich
Doch irgendwann, Anna hat gerade versucht eine zweite Lehre als Tierarzthelferin zu beginnen, kippt die Situation. "Die Probleme kamen total plötzlich. Ich wusste zwar, dass man durch Drogen Stimmen hören kann. Trotzdem konnte ich es erst gar nicht glauben", erinnert sie sich. Angst schnürt sie immer mehr ein. Von den Stimmen kann und will sie niemandem erzählen. Und irgendwann ist da der Plan, sich umzubringen, wenn sie die Lehre nicht schaffen sollte. Einen ersten Versuch, sich in einer Klinik Hilfe zu suchen, bricht sie ab. "Ich nahm zwar Drogen, aber hatte Riesenangst vor Medikamenten", sagt sie.
Heute kann Anna ihrer Krise einen Namen geben: schizoaffektive Störung. Seit sie im November 2013 erstmals ins "Fritz" im Vivantes-Klinikum am Urban kam, hat sie einen weiten Weg hinter sich: "Am ersten Tag bin ich gleich wieder abgehauen. Aber am nächsten Tag zurückgekehrt." Hier begegnet man ihr auf Augenhöhe und mit hoher Bereitschaft, sich flexibel auf sie einzustellen.
Kooperation statt Vorschriften
Nach zehn Tagen auf der Station und mit Medikamenten versorgt, verschwindet der Verfolgungswahn. Aber die Stimmen bleiben noch. Ein langer Genesungsprozess in der angegliederten Tagesklinik und ambulant, durchbrochen von einer erneuten stationären Phase, beginnt - und dauert an.
"Fast alle unserer Patienten haben Cannabis-Erfahrungen gemacht", sagt Andreas Bechdolf, Leiter des "Fritz". Doch geht es den Therapeuten und Ärzten nicht in erster Linie um Verbote, sondern um die Kooperation mit den jungen Leuten, die diese Therapie nicht frustriert abbrechen sollen. "Denn je früher wir eingreifen können, desto besser lässt sich eine beginnende Psychose therapieren", so der Professor. Die Folge: weniger neue Krankheitsepisoden, schnellerer Symptomrückgang und vor allem eine höhere Chance, in Schule und Arbeitsleben zurückzufinden.
In Sachen Frühintervention seien Länder wie Australien oder Großbritannien Deutschland um Längen voraus, sagt Bechdolf. Auch Aufklärung und ein Durchbrechen der Stigmatisierung ist deshalb ein zentrales Anliegen beim "Fritz", das den Angaben zufolge in der Kombination aus Infoaktionen, stationären und ambulanten Angeboten in Deutschland bisher einzigartig ist. Anna zumindest hat die Angst verloren, über ihre Stimmen zu reden. "Meine Therapeutin ist eine ganz, ganz große Hilfe für mich."