Bildungsstreik Mit der Gesamtsituation unzufrieden
Dieter Lenzen hatte im Vorfeld viel Verständnis gezeigt - genützt hat es dem Präsidenten der Freien Universität Berlin wenig. Die protesterprobten FU-Studenten besetzten Dienstagmittag nach einer Vollversammlung mit rund 1300 Studenten das Präsidium der Uni. Vom Verwaltungsgebäude im Stadtteil Dahlem baumeln seitdem Transparente mit der Aufschrift "Besetzt" und "Freie Bildung".
Für die geplante Demo am Mittwoch anlässlich des "Bildungsstreiks 2009" hatte Lenzen den Studenten vorab streikfrei gegeben und betont, es sollten den Protestierern wegen der Teilnahme "keine Nachteile erwachsen". Er habe Verständnis für den Unmut der Studenten.
Das reichte den Studenten nicht: "Ein Teil des Problems ist Lenzens Politik selbst", sagte eine Studentin bei der Präsidiumsbesetzung. "Wichtig bei der Forderung nach mehr Geld ist, dass dieses auch wirklich in bessere Lehre und mehr Studienplätze fließt und nicht in Exzellenz- und Forschungsprojekte, von denen die Studierenden nichts haben", so Karin Schneider, Studentin an der FU. Zentral sei auch die Forderung nach mehr kritischer Wissenschaft: "Was wir hier erleben, kommt diesem Ideal oft nicht einmal nahe", sagte Schneider weiter.
Mit möglichst vielen gegen... gegen alles, irgendwie
Im Bündnis "Bildungsstreik 2009" sammeln sich 230 meist linke Gruppen von Studenten- und Schülervertretungen und auch von Gewerkschaften und Parteien. Die Themen sind breit gestreut - so breit, dass sie ein wenig beliebig wirken.
Was die Protestierer eint, lässt sich schemenhaft erkennen: Mehr Geld für Bildung, da sind alle schnell d'accord. Ebenso bei der Ablehnung von Studiengebühren und aller anderen Arten von Gebühren im Bildungssektor - "kostenlose Bildung für alle".
Die Schüler kritisieren die verkürzte Gymnasialzeit durch das Turbo-Abitur alias G8 sowie das mehrgliedrige Schulsystem. Ansonsten sind sie für mehr Lehrer und kleinere Klassen und, irgendwie, für mehr Demokratie an Schulen. Und gegen "Repressionen". Und gegen den "Einfluss der Wirtschaft".
Die Forderungsliste der Studenten auf der Webseite Bildungsstreik 2009 ist ähnlich diffus, dafür umfänglicher und mit noch mehr Ausrufezeichen garniert: Der frisch eingeführte Bachelor als Regelabschluss soll weg, die Regelstudienzeit gleich mit. Ebenfalls auf den Mond wünschen die Organisatoren alle Zulassungsbeschränkungen - und Studiengebühren, ceterum censeo, sowieso. Ansonsten sind sie, irgendwie, gegen "wirtschaftliche Zwänge im Bildungssystem" und Elitenbildung, für "freie alternative Bildungskonzepte" und mehr Mitbestimmung.
Ein gewisser Leidensdruck ist erkennbar. Zu artikulieren, was sie konkret ausrichten wollen, fällt den Organisatoren indes ebenso erkennbar schwer. Eine immer wechselnde Mixtur der Forderungen findet sich eher als Beiwerk in zahlreichen Pressemitteilungen, in denen sich die Bildungsprotestler aber vor allem daran berauschen, dass es überhaupt endlich wieder Aktionen auf den Straßen und auf dem Campus gibt.
Einige Besetzungen an Unis
Neben der Besetzung des FU-Präsidiums in Berlin war eine der spektakulärsten Aktion bislang eine kleine Verkehrsblockade in Gießen. Dort demonstrierten rund 700 Schüler und Studenten gegen die Bildungspolitik der Regierung von Ministerpräsidenten Roland Koch (CDU). 200 von ihnen blockierten anschließend für 20 Minuten eine große Straßenkreuzung in der Innenstadt. Dann wurde die Demonstranten von Polizisten von der Straße getragen. Insgesamt verlief die Demonstration friedlich, meldete die Polizei.
Bereits am Montag kam es vereinzelt zu Auftaktprotesten im Zusammenhang mit den lange angekündigten Bildungsstreiks. In Heidelberg, Berlin, Hamburg und Jena besetzten Studenten einige universitäre Räume oder Institute, in Wuppertal und Bochum blockierten Aktivisten den Zugang zu Seminaren. In weiteren deutschen Universitätsstädten errichteten Studenten "Protestcamps", meldete das Aktionsbündnis am Montagabend in Berlin.
In München schlugen rund 30 Studenten Zelte vor dem Hauptgebäude der Ludwig-Maximilians-Univeristät (LMU) auf, die bis zum Ende der Woche stehen bleiben soll. In Düsseldorf setzte sich eine kleine Schülergruppe für eine Sitzblockade vor die Staatskanzlei. Am Mittwoch soll es Demonstrationen in 70 Städten mit insgesamt "mindestens 150.000" Menschen geben, so hoffen die Organisatoren.
Unterstützt wird der Protest auch von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft. GEW-Chef Ulrich Thöne sagte, eine "Kehrtwende im Bildungssystem" sei nötig, weil junge Menschen durch Chancenungleichheit und fehlende Studien- und Ausbildungsplätze ihrer Zukunftschancen beraubt würden. Der Deutsche Philologenverband sprach hingegen von "linksgesteuertem Aktionismus", der Vorsitzende Peter Meidinger sagte, durch "einseitige ideologische" Forderungen gingen einige berechtigte Anliegen unter.
LMU-Rektor Huber: "Protest ist völlig legitim"
Neben Uni-Präsident Lenzen aus Berlin zeigte auch sein Münchner Kollege, LMU-Rektor Bernd Huber, Verständnis für Wut der Studenten. An seiner Universität studierten statt der vorgesehenen 25.000 derzeit 40.000 junge Menschen: "Es gibt zu wenig Professoren, der Zustand der Gebäude ist schlecht, und die Seminarräume sind überfüllt." Sich darüber zu ärgern, sei "völlig legitim", sagte Huber.
Margret Wintermantel, Präsidentin der Hochschulrektorenkonferenz, lehnt den Protest als zu pauschal ab. "Es ist schwer nachzuvollziehen, wie manche Studierende und Professoren derzeit die eigene Hochschulbildung schlechtreden", schrieb Wintermantel in einem Gastbeitrag für die Tageszeitung "taz". Es sei "schädlich und dumm", die Universitäten als "Verdummungsanstalten zu diffamieren". Kritik kam auch von der FDP, den Unionsparteien sowie deren Jugendorganisationen. Der CSU-Bundestagsabgeordnete Stefan Müller sagte, "linke Gruppen" würden Schüler und Studenten "anlocken" und damit von ihrer Ausbildung abhalten.
Für Mittwoch sind bundesweit Demonstrationen geplant, am Donnerstag soll bei Aktionen unter dem Titel "Banküberfall" in und vor Bankfilialen gegen Milliardenhilfen für die ins Straucheln geratenen Geldinstitute und für mehr Geld in der Bildung demonstriert werden. Am Freitag planen einige Aktivisten, die Sitzung der Kultusministerkonferenz in Berlin zu stören.