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Junge Primark-Käuferinnen: Unmoralische Angebote

Foto: Eleonora Pauli

Billig-Shopping bei Primark "Da setzt das Gehirn aus"

Sie trinkt Biowein, kauft CO2-verträgliche Trinkflaschen und näht ihre Vorhänge selbst: Eleonora Pauli achtet auf Nachhaltigkeit - wie viele Großstädter. Doch bei Mode hört die Moral auf. Warum? Ein Besuch in der Primark-Filiale am Berliner Alexanderplatz.

Sie halten sich Neontops an, setzen Sonnenbrillen auf, experimentieren mit gestreiften Tüchern. Fünf Euro, drei Euro, ein Euro. Kay und Casey, zwei Studentinnen aus New York, taumeln begeistert durch die Primark-Filiale am Alexanderplatz.

Es ist Samstagmittag in Berlin. Die 24-jährigen suchen Accessoires in Regenbogenoptik für den Christopher Street Day, den CSD. "Wir lieben die Auswahl hier", jauchzen sie. "Und es ist so billig!" Und Nachhaltigkeit? Ja, das sei schon ein Thema, geben die jungen Frauen zu. "Aber die CSD-Parade steht vor der Tür, wir müssen uns beeilen und haben keine Zeit, uns darüber viele Gedanken zu machen."

Als ich das erste Mal bei Primark war, machte ich mir auch keine Gedanken. Ich verbrachte ein Studienjahr in England, es war kurz vor Weihnachten. Mit zwei Kommilitoninnen streifte ich durch die überfüllten Etagen und suchte Geschenke aus - für die ganze Familie und alle Freunde. Für alles zusammen bezahlte ich 50 Pfund, ungefähr 70 Euro, und war begeistert: Eine wollumstrickte Wärmflasche für Mama, einen schottisch karierten Mini-Anorak für den Hund meiner Tante, ein paar Ohrringe für mich.

Ohrringe von Primark - Kostenpunkt: ein britisches Pfund, also ungefähr 1,40 Euro

Ohrringe von Primark - Kostenpunkt: ein britisches Pfund, also ungefähr 1,40 Euro

Foto: Eleonora Pauli

Mittlerweile denkt fast die Hälfte der Verbraucher in Deutschland über faire Produkte nach - vor allem bei Lebensmitteln. Das ergab eine Untersuchung der Gesellschaft für Konsumforschung in Nürnberg. Und was ist mit Klamotten? Da sieht es ganz anders aus, sagt Natalie Wäsch. In ihrer Masterarbeit hat die Absolventin der Universität Würzburg das Kaufverhalten von 170 Primark-Kunden analysiert und herausgefunden: Mehr als 70 Prozent von ihnen sind Schüler und Studenten. "Die sind im Durchschnitt 22 Jahre alt und sind über die Produktionsbedingungen informiert - kaufen aber trotzdem dort."

Draußen, auf den Stufen vor der Primark-Filiale, sitzen Frida, Anna und Lena, Gymnasiastinnen aus Rostock, zwischen anderen erschöpften Primark-Kunden. Neben ihnen ihre vollgepackten Tüten. Gegenseitig präsentieren sie sich ihre neuen T-Shirts und machen Selfies. Lena wollte eigentlich gar nichts kaufen. "Dann sah es aber leider zu gut aus, und ich habe einen zu schwachen Willen", sagt sie und wühlt in der pappfarbenen Papiertüte: ein Parka, eine Tasche, eine Strickjacke - für insgesamt 34 Euro.

"Bei Primark gehst du rein, siehst die günstigen Preise, und da setzt das Gehirn aus", sagt Frida. Der Hauptgrund für diese Aussetzer ist jedoch nicht unbedingt Geldmangel - rund 80 Euro stehen den Befragten in Natalie Wäschs Studie monatlich zum Shoppen zur Verfügung. Der Kick: Man bekommt sehr viele Einzelteile für sehr wenig Kohle - und kann dementsprechend sehr oft shoppen gehen. Ein Foto darf die Autorin von den Rostocker Mädels aber nicht machen: "Mit den Primark-Tüten? Lieber nicht, ist peinlich!"

"Nicht so cool mit den Herstellungsbedingungen"

Ein Jahr nach meinem fetten Weihnachtseinkauf in England stürzte das Rana Plaza ein, eine Textilfabrik in Bangladesch, in der Billigmode für den westlichen Markt produziert wird. 1127 Menschen starben. Die Welt erfuhr einmal mehr von den widrigen und lebensgefährlichen Arbeitsbedingungen. Natürlich gehe ich seither nicht mehr zu Primark.

Das Unglück hielt die Expansion des irischen Unternehmens aber nicht auf, im Gegenteil, es wächst weiter. Nicht ungewöhnlich, sagen Forscher der Universität Sussex: Anstatt nach einem Skandal Verluste zu machen, steigern die Maßnahmen zur Rettung eines Unternehmens häufig dessen Einnahmen. Primark bekannte sich zu einem selbst aufgestellten Verhaltenskodex, im Mai dieses Jahres wurde das Unternehmen von Greenpeace zum "Detox Trendsetter" für giftfreie Mode ernannt. Bald eröffnet eine Filiale auf Mallorca.

Primark-Einkäuferinnen in Berlin: Die eigene Kleidung hat mit den schlimmen Nachrichten nichts zu tun

Primark-Einkäuferinnen in Berlin: Die eigene Kleidung hat mit den schlimmen Nachrichten nichts zu tun

Foto: Eleonora Pauli

Lena schaut misstrauisch auf ihre Einkäufe. "Ich finde das nicht so cool mit den Herstellungsbedingungen. Ich habe mal gehört, dass es für die Näherinnen schon etwas bringen würde, wenn die Sachen nur einen Euro teurer wären", sagt sie - die Freundinnen wissen schon Bescheid, eigentlich.

Aber wie bei der Mehrzahl der Befragten in Natalie Wäschs Studie beeinflusst das Wissen trotzdem nicht ihre Kaufentscheidung. Im Kaufrausch verschwindet die Realität außerhalb des Geschäfts, die eigene Kleidung hat mit den schlimmen Nachrichten nichts zu tun. "Solange es gesellschaftsfähig ist und die Umsätze stimmen, gibt es einfach keinen Anlass, Nachhaltigkeit Priorität einzuräumen", sagt Wäsch. Keine negativen Konsequenzen - weder für die Verbraucher noch für die Unternehmen. Fast-Fashion sei jungen Menschen einfach wichtiger als der Nachhaltigkeitsaspekt, sagt auch Greenpeace.

Katharina sieht das anders. Die Geografiestudentin hält nur ein kleines Tütchen in der Hand: neue Socken - die brauchte sie wirklich. Die 25-Jährige kauft selten ein, "um das mit dem Gewissen zu vereinbaren". Und ob Primark weniger nachhaltig sei als H&M oder Zara, das bezweifelt Katharina. Unsicherheit und ein Mangel an verlässlichen Alternativen - das treibe Kunden in Geschäfte, die sie moralisch eigentlich ablehnen, bestätigt das Hamburger Marktforschungsunternehmen Nielsen. Wäsch fordert deshalb, das Image von Siegeln wie "GOTS" oder Webseiten wie "Rank a brand" zu verbessern.

Ich war heute bei Decathlon: ein sehr, sehr günstiges Sportgeschäft, das endlich auch in Berlin aufgemacht hat - ich muss unbedingt ein Zelt kaufen für das Gartenfest am Wochenende. Mit vielen anderen Sportlichen flaniere ich durch die Gänge. Als ich bei den Isomatten stehe, sagt jemand im Vorbeigehen "Das ist ja Primark für Fitness!" Ich schaue auf das 35-Euro-Zelt in meiner rechten Hand, den Bikini und die Tennisbälle in der anderen. Nachdem ich bezahlt habe, stopfe ich schnell alles in meine fair gehandelte Lederhandtasche. Das mit dem Ranking mache ich dann später.

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