
Uni Lüneburg: Piepmatz-Pärchen lässt die Heide wackeln
Blockiergetier Wie die Haubenlerche einen Uni-Neubau gefährdet
Kennen Sie die Haubenlerche? Ornithologen ist sie wohlbekannt unter der Bezeichnung Galerida cristata. Optisch wirkt dieses Vögelchen recht unscheinbar, brilliert aber durch melodiösen Gesang mit dem Lockruf "trüdritri-eh". Karges, schütteres Grasland liebt die Haubenlerche. Ein wenig sandig oder kiesig soll der Boden sein, dazwischen trockene Büschel, dann lässt sich's prima brüten, findet sie.
Solche Verhältnisse sind heute selten - weshalb die Haubenlerche akut vom Aussterben bedroht ist; nur noch 30 Brutpaare gibt es laut "Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland" (BUND) in Niedersachsen. Jetzt könnte sie zum Lieblingstier Lüneburger Studentenvertreter werden. Denn vier der graubraunen Bodenbewohner haben es sich auf dem kargen früheren Kasernengelände der Leuphana-Universität gemütlich gemacht. Und sie sind gekommen, um zu bleiben.
Bei diesem Vorhaben bedroht die beiden Vogelpärchen ein Prestigeprojekt in der Heide: Für rund 58 Millionen Euro soll auf dem noch recht schmucklosen Campus ein futuristisches Hauptgebäude entstehen. Gut ein Drittel kommt vom Land, 14 Millionen steuert die EU bei, dazu sieben Millionen von Stadt und Landkreis - und der Rest von einem noch unbekannten Investor. Der soll auch weitere 42 Millionen ausgeben, für ein Studentenwohnheim, ein Hotel, ein Parkhaus.
Für eine kleine Uni mit nur etwa 8000 Studenten mitten in der niedersächsischen Provinz ist das gigantisch. Und hinzu kommt die Ehre: Der US-Stararchitekt Daniel Libeskind, der seit 2007 in Lüneburg auch sporadisch Seminare gibt, hat das schmucke neue Gebäude entworfen; im Audimax sollen 1200 Menschen Platz finden. Den New Yorker Architekten heuerten Uni-Präsident Sascha Spoun und sein Vize Holm Keller, mit Libeskind schon lange befreundet, an. Das dolle Duo an der Hochschulspitze ist mächtig stolz auf die mit Getöse zelebrierten Campuspläne, ein Modell des Glanzstücks schmücke auch Kellers Büro, berichtet ein Asta-Mitglied.
Der Bau soll bereits im Frühjahr 2010 beginnen. Wenn es mit der Finanzierung wirklich klappt. Und wenn nicht die Haubenlerche Scherereien macht.
Novizen in der Provinz: Junge Unimanager mischen eine Kleinstadt auf
Was im beschaulichen Lüneburg seit 2006 geschah, ist denkwürdig. Bis dato beherbergte das 72.000-Einwohner-Städtchen eine graumäusige Hochschule, deren Strahlkraft die "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung" boshaft mit einer "Energiesparlampe der ersten Generation" verglich: Die Notfusion aus einer Uni und einer FH verbinde die Nachteile einer Massenuniversität (schlechte Betreuung) mit den Nachteilen einer kleinen Hochschule (schlechte Forschung).
Gleichsam über Nacht begann Lüneburg aber zu träumen. Als Headhunter lotste Klaus Landfried, einst Chef der deutschen Hochschulrektoren, einen Newcomer in die Heide: Sascha Spoun, nicht habilitiert, aber mit Management-Erfahrung an der renommierten Schweizer Uni St. Gallen - und 2006 mit erst 36 Jahren Deutschlands jüngster Uni-Präsident. Kaum älter: Vizepräsident Holm Keller, früher Operndramaturg, Journalist und Werber, Studium in Wien und Harvard, später bei McKinsey und Bertelsmann.

Blockier-Getier: Wenn kleine Tiere Großvorhaben stoppen
Die beiden traten an, alles neu, alles anders, alles besser zu machen. Mehr noch: Sie wollten die Uni per Radikalkur neu erfinden. Als erstes setzte es einen klangvolleren Namen - Leuphana. Dann verpflichteten Spoun und Keller die Studenten zu allgemeinbildenden Seminaren, wider das Fachidiotentum. Und begannen tatsächlich, etwas Glamour in die Provinz zu zaubern. So schaute Kanzlerin Angela Merkel 2008 bei ihrer Reise durch die frisch ausgerufene "Bildungsrepublik" nur an einer Uni vorbei: Lüneburg. Die Erstsemester begrüßte mal Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff, mal Ex-US-Präsident Jimmy Carter; dieses Jahr kamen Streetart-Künstler aus aller Welt in die Kleinstadt. Und Daniel Libeskind war ohnedies eine spektakuläre Personalie.
Wo ist das Vögelchen? Da ist das Vögelchen
Bei der schönen neuen Uni-Welt mögen nicht alle Leuphana-Insassen mittun. Unter den Professoren und auch im Stadtrat rumorte es vernehmlich, viele Studenten störten sich am Elitegedöns und verspotteten die Weltrang-Pläne der alerten Uni-Manager, bisweilen durchaus subtil.
Auch jetzt passt Studentenvertretern so manches nicht. Der Neubau für die Uni sei "nicht zweckmäßig", in Lüneburg gebe es an den drei Standorten keinen Platzmangel und daher keinen Bedarf für einen großen neuen Hörsaal, sagte Asta-Sprecher Mathias Ahrens SPIEGEL ONLINE. Mit Parkhaus und Hotel auf dem Gelände fielen die letzten Erweiterungsflächen weg; statt in Beton solle man in Forschung und Lehre investieren. Dass obendrein ein "gewinnorientierter Investor" das Libeskind-Gebäude mitbauen und dann betreiben solle, verhindere "kurzfristige Veranstaltungen von Studenten".
Kritik sei an Uni-Vize Keller und den Lüneburger Präsidenten Sascha Spoun stets abgeperlt. Umso mehr freue sich der Asta über die "unerwartete Hilfe" durch die Haubenlerche, so Ahrens - ihr Gesang sei wohl lauter als die Stimme der Studenten. Immerhin habe die Uni sich "voll und ganz der Nachhaltigkeit verschrieben" und könne über die bedrohte Tierart nicht einfach hinwegfegen.
Die Macht von Kleintieren sollte niemand unterschätzen. Sie können Großes erreichen, Projekte verzögern oder verhindern: So versuchte sich die Uni Göttingen 1998 an einem Neubau auf einem Acker. Doch dort hatte der Feldhamster seine Heimat, wie die Haubenlerche auf der Roten Liste und vom Aussterben bedroht. Naturschützer erreichten einen Baustopp, vier Jahre später rollten die Bagger trotzdem an. In Dresden hätte die Fledermausart Kleine Hufeisennase beinah die umstrittene Waldschlösschenbrücke verhindert und der Stadt ihren Titel des Unesco-Weltkulturerbes gerettet - bis Richter den Baustopp aufhoben.
Die Haubenlerche kann so manches vertragen
Die umtriebigen Chefs der Uni Lüneburg träumen von einem "deutschen Silicon Valley" in der Heide. Die Haubenlerche kann sie nicht schrecken. Uni-Sprecher Henning Zühlsdorff sieht keine Gefahr für das Libeskind-Projekt samt Hotel und Parkdecks. "Wir werden eine Lösung finden, die den Vögeln die nötigen Ausgleichsflächen bietet", sagte Zühlsdorff SPIEGEL ONLINE. Ende November solle ein überarbeiteter Bebauungsplan im Stadtrat beschlossen werden. Die Universität prüfe, was sie zum Schutz der Vögel tun könne. Erfahren habe man erstmals "Anfang 2008 von lokalen Vogelschützern", dass es auf dem Campus Haubenlerchen gebe, aber bisher wisse niemand, "wo die genau brüten".
Die Vögel seien zudem recht unempfindlich, so Zühlsdorff. Auch auf dem nahegelegenen Aldi-Parkplatz habe man sie schon unter Autos herumhüpfen sehen. Dass Haubenlerchen keine Sensibelchen sind, bestätigen Naturschützer: Lärm und Menschen vertrügen sie recht gut und brüteten sogar in den Schleifen von Autobahnkreuzen, sagte BUND-Mitarbeiterin Heidrun Heidecke SPIEGEL ONLINE.
Nun hofft man an der Uni Lüneburg, dass der Vorschlag des Lüneburger BUND, einige Flachdächer zu begrünen, ausreicht. Und die privaten Investoren - gibt es konkrete Interessenten, wieviel Geld wollen sie springen lassen? Uni-Sprecher Zühlsdorff spricht darüber nicht, alles top secret. Sicher sei aber, dass auch die Stadt den neuen Libeskind-Bau nutzen werde. Lüneburg habe "bisher keine große Halle" und beteilige sich darum am Großprojekt, so Zühlsdorff.
Dass Anfang 2009 der Landesrechnungshof anzweifelte, ob angesichts der geplanten Nutzung durch Stadt und Uni überhaupt ein Investor gefunden werden könne, bestätigt Zühlsdorff. Man habe jedoch "viele Bedenken ausräumen können" und befinde sich noch in der Ausschreibung, die "vor dem Abschluss stehe". Die Uni bleibt dabei: Baubeginn Frühjahr 2010, und wenn die Haubenlerche noch so lautstark trällert - "trüdritri-eh".