Bologna-Kritik der HRK "Eine Uni muss mehr leisten als Ausbildung"

Er stand der Bologna-Studienreform stets kritisch gegenüber. Nun zieht Horst Hippler, Chef der Hochschulrektorenkonferenz, Bilanz: Es sei falsch, junge Leute schneller durchs Studium schleusen zu wollen. Wegen des Studentenansturms warnte er vor Notensperren für fast alle Studiengänge.
HRK-Präsident Hippler: "Unternehmen brauchen Persönlichkeiten, nicht nur Absolventen"

HRK-Präsident Hippler: "Unternehmen brauchen Persönlichkeiten, nicht nur Absolventen"

Foto: KIT/Harry Marx

Schneller studieren, internationaler studieren, strukturierter studieren: Das waren wichtige Ziele der Bologna-Reform, mit der die Hochschulen auf Bachelor und Master umstellen mussten. Doch die Umstellung hat mehr geschadet als genützt, findet der Chef der Hochschulrektorenkonferenz (HRK), Horst Hippler. Der Ansatz, junge Menschen flotter durchs Studium und in den Beruf zu bringen, sei falsch gewesen, sagte Hippler der "Süddeutschen Zeitung".

Eine Universität müsse mehr leisten als Ausbildung, nämlich Bildung, sagte Hippler. "Das tut sie mit dem Bachelor nicht." Die Unternehmen wollten Persönlichkeiten einstellen und nicht nur Absolventen. Um eine Persönlichkeit auszubilden, bräuchten die Studenten allerdings mehr Zeit.

Die HRK hat den 65-jährigen Physiker im April zu ihrem neuen Sprecher gewählt. Der ehemalige Präsident des Zusammenschlusses der Technischen Universitäten in Deutschland (TU9) ist seit Jahren einer der profiliertesten Kritiker der europäischen Studienreform. 1999 beschlossen die Wissenschaftsminister Europas im italienischen Bologna, die wissenschaftliche Ausbildung der jungen Europäer zu vereinheitlichen und zu reformieren. Die entsprechende Änderung des Hochschulrahmengesetzes trat vor zehn Jahren in Kraft.

"Wenn dort nur die Besten weitermachen dürfen, steigt der Frust"

Das damalige Versprechen, dass Studenten dann einfacher ins Ausland gehen könnten, sei nicht wirklich erfüllt worden, sagte Hippler weiter. Das europäische Punktesystem ECTS mache die Kurse nicht inhaltlich vergleichbar, die Anerkennung sei nach wie vor oft schwierig. Eine Studie des Hochschul-Informations-Systems (HIS) hatte bereits im Januar 2011 gezeigt, dass deutsche Bachelor-Studenten nur selten den Schritt über die Landesgrenze wagen.

Ein Bachelor qualifiziere zwar nicht automatisch für einen Beruf, aber immerhin bekomme man damit ein erstes akademisches Zeugnis, sagte Hippler. "Absolventen von Fachhochschulen bewerben sich damit erfolgreich um Stellen, an der Universität ist es eine Orientierungshilfe für die Entscheidung, ob und wie man weitermachen will."

Allerdings müsse der Verschulung Einhalt geboten werden. Es müsse möglich sein, länger oder unabhängig von zu Hause zu studieren, solange am Ende die Leistungen stimmten. Außerdem müsse der Ausbau der Master-Plätze mit den vielen Studienanfängern Schritt halten, zumindest in Fächern wie Chemie oder Physik. "Wenn dort nur die Besten nach dem Bachelor weitermachen dürfen, steigt der Frust; hinausgehen in den Beruf können sie ja kaum", sagte Hippler.

Hippler erneuerte auch seine Kritik daran, dass die Hochschulen bald nicht mehr in der Lage sein könnten, den Ansturm der Erstsemester zu verkraften. Wenn sie nicht mehr Geld bekämen, müssten sie den Zugang zu einem Studium "praktisch flächendeckend mit einem lokalen Numerus clausus beschränken" - obwohl die Wirtschaft mehr Akademiker fordere. Derzeit ist etwa die Hälfte aller Angebote für Studienbewerber zulassungsbeschränkt.

Schavan: Bologna "eine europäische Erfolgsgeschichte"

Selbst Länder wie Bayern und Baden-Württemberg gerieten mit der Finanzierung ihrer Hochschulen in Schwierigkeiten. Im Interview mit SPIEGEL ONLINE hatte Hippler im April gefordert, dass der Bund sich mehr engagiert. Das Bundeskabinett hat bereits eine Grundgesetz-Änderung auf den Weg gebracht, durch die der Bund Hochschulen stärker mitfinanzieren könnte. Hippler äußerte sich dazu skeptisch: "Man wird sehen, was dabei rauskommt."

Der Kritik Hipplers widersprach das Bundesbildungsministerium. Eine Sprecherin von Ministerin Annette Schavan (CDU) sagte, Bachelor-Absolventen würden auf dem Arbeitsmarkt gut zurechtkommen. Wer ins Master-Studium wechseln wolle, finde meist seinen Wunschstudienplatz. Auch die Bologna-Ziele mehr Internationalität und schnelleres Studieren sieht Schavan als erfüllt an. Laut Ministerium schaffte die Hälfte der Bachelor-Absolventen ihren Abschluss im Jahr 2010 nach höchstens 6,5 Semstern. Nur zwei bis drei Prozent seien nach dem Studium arbeitslos oder unterhalb ihres Qualifikationsniveaus beschäftigt. Vor diesem Hintergrund sei die Reform trotz aller Kritik "eine europäische Erfolgsgeschichte".

son/dapd/AFP
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