Boomfach Theologie Gottes junge Hirtinnen

Verstaubt, sperrig, weltfremd? Von wegen. Nach Jahren des Niedergangs hat das Fach Theologie wieder Konjunktur. Vor allem Frauen interessieren sich für den Pfarrerjob: Sie wollen die Kirche von morgen prägen - und die Karriere-Aussichten sind gar nicht so schlecht.

Tauwetter in Leipzig. Eine Dachlawine kracht aufs Trottoir, haarscharf verfehlt sie eine Gruppe von Studenten, die in einen Laden drängt. Was einmal ein Sportgeschäft war, dient jetzt als Vorlesungssaal der Theologischen Fakultät der Uni Leipzig. Auf dem Bürgersteig davor liegt nun ein Zentner nassen Schnees, und eine junge Frau lacht: "Auch für uns Theologiestudenten kommt eben nicht automatisch alles Gute von oben."

Hinter den großen Ladenscheiben sammeln sich Grüppchen und trennen sich wieder, Lachen ist zu hören. Etwa 30 Vertreter von theologischen Fakultäten in ganz Deutschland sind an diesem Januar-Wochenende angereist, zum ersten Jahrestreffen des "Studierendenrats Evangelische Theologie". Drei Tage lang geht es um Studiengänge, neu zu gestaltende Internet-Seiten oder um den Info-Stand beim Bremer Kirchentag im Mai.

Vier Stockwerke darüber schneidet die 21-jährige Eva Finkenstein derweil Möhren und Lauch in Streifen; sie und ein paar andere Leipziger haben die Versorgung der mit Isomatte und Schlafsack angereisten Kommilitonen übernommen - Jugendcamp-Atmosphäre. Eva studiert im 5. Semester Theologie. "So viele", sagt sie, "waren noch nie in unserem Hörsaal-Laden."

So viele Theologiestudenten gab es lange nicht mehr: Im vergangenen Wintersemester waren rund 9.300 Studierende für Evangelische Theologie eingeschrieben, zwei Prozent mehr als im Vorjahr. 7.400 waren es bei den Katholiken.

Für Theologen gilt ein "spezieller Numerus Clausus"

"Die Theologie hat eben noch keinen Numerus clausus", sagt Sebastian Gunkel, 20, er macht mit beim Kochen für die Kommilitonen. Stimmt nicht ganz, erwidert die 23-jährige Hanna Schramm. "Unser spezieller Numerus clausus sind die alten Sprachen; Hebräisch, Altgriechisch und Latein. Da muss man im Grundstudium erst mal durch!"

Eva, Hanna, Sebastian - sie könnten Deutschlands Pfarrer von morgen sein. Zwar wollen viele der Jungtheologen Religionslehrer werden oder haben Theologie als Nebenfach gewählt. Auffällig aber ist: Immer mehr Studierende zieht es direkt in die Kirchen. Noch vor vier Jahren waren es nur 364 Erstsemester, die sich als Bewerber für eine Pfarrstelle in die Listen der Landeskirchen eintrugen. In diesem Wintersemester dürften es rund 500 werden.

Ganz anders sieht es in der katholischen Kirche aus, da gab es 2007 nur 270 neu aufgenommene Priesteramtskandidaten. Der Zwang zum Zölibat ist eher unattraktiv; es hilft auch nicht, wenn der Papst antisemitische Glaubensbrüder, Holocaust-Leugner gar, rehabilitiert und sich damit vor der Welt blamiert.

Warum wollen Studienanfänger Pfarrer werden?

Was macht aber den evangelischen Pfarrerjob wieder attraktiv in den Augen vieler Studienanfänger? Am Altar stehen, predigen, sich um Einsame und Kranke kümmern, Sterbende begleiten? "Meine Mutter", erzählt Eva, "ist zwar Pastorin in Mecklenburg und mein Vater Bundeswehrpfarrer - aber alle beide haben mich davor gewarnt, das Pfarramt anzustreben."

Ihre Mutter habe elf Dörfer mit fünf Kirchen zu betreuen. "Wunderschön, aber zu unsichere Perspektiven", mahnte sie. Vielleicht hatte sich zu ihr noch nicht die neue Lage am protestantischen Arbeitsmarkt herumgesprochen.

In den vergangenen Jahrzehnten schreckte die Kirche den Nachwuchs ab mit immer neuen Meldungen von Einsparungen und Entlassungen. Die Zahl der Studierenden halbierte sich zwischen 1984 und 2004.

Inzwischen müssen die Personalmanager der Protestanten mit Flyern und Vorträgen um den Nachwuchs werben. Ausbildungsreferent Joachim Ochel von der EKD-Zentrale in Hannover spricht von einem "erkennbaren Bedarf der Landeskirchen". In der nächsten Dekade müssten jährlich etwa 350 Pfarrstellen neu besetzt werden. "Es kommt eine große Pensionswelle auf uns zu."

"Wir Frauen werden das Bild der Kirche bestimmen"

Der Nachwuchs setzt darauf, dass mit dem Generationswechsel die Kirche auch ihr altbackenes Image verliert. "In Zukunft werden wir Frauen mehr als je zuvor das Bild der evangelischen Kirche bestimmen", sagt Hanna, während sie die Suppe für die 30 Gäste umrührt. Unter den Theologiestudenten stellen die Frauen mit rund 60 Prozent bereits die Mehrheit. "Jedes Mal", macht sich Eva lustig, "wenn ich bei einem Friseur bin und gefragt werde, 'Was studierst du denn', kommt auf meine Antwort, Theologie, ein entsetztes 'So siehste aber gar nicht aus!'".

"Wie sieht schon jemand aus, der an Gott glaubt?" fragt Sebastian. Allem Weltlichen und Diesseitigen abgeneigt jedenfalls nicht. Eva findet gerade "cool an diesem Studium, dass es gesellschaftlich bedeutsam ist". Hanna lobt das Fach als vielfältig und weltoffen. Tatsächlich ist die Disziplin in Zeiten fortwährender Spezialisierung einer der wenigen verbliebenen Horte für Generalisten: Psychologie, Recht, Pädagogik, Naturwissenschaften, Sprachwissenschaften, all diese Fächer spielen eine Rolle. Curriculum und Abschluss sind einheitlich in ganz Deutschland; der Bachelor hat hier nicht Einzug gehalten. So ist der Wechsel zwischen den 22 evangelischen Fakultäten und Hochschulen problemlos möglich.

Die Arbeitsfelder sind breitgestreut: Militär- oder Krankenhausseelsorge, Sterbebegleitung, Internet-Seelsorge, Erwachsenenbildung, Supervision und Sozialberatung, manchmal auch Projektmanagement, Personalführung, Journalismus.

"Wir lernen, über alles zu reden."

Aber welche Einblicke kann das Bibelstudium noch liefern, wie passt der Deutungsanspruch der Theologie zu einer komplizierten Welt? Der theologische Nachwuchs sieht jedenfalls keinen Widerspruch zwischen Wissenschaft und Glauben. Es gehe doch um Wissenschaft, meint Eva: "Um die Wissenschaft, die sich mit Gott beschäftigt und den Glauben mit wissenschaftlichen Methoden reflektiert."

Das ist dem vierten Koch im Team, dem 22-jährigen Marcus Töpfer, zu nüchtern ausgedrückt. "Theologie verbindet einfach die aktuellen Fragen unseres heutigen Lebens, jedes Einzelnen, der Gesellschaft und der ganzen Welt."

Marcus und Eva verbindet noch etwas anderes: Sie haben sich ineinander verliebt, ausgerechnet im Lateinkurs. "Omnia vincit amor" zitieren sie, Liebe besiegt alles, die Jungtheologen geben gern lateinische Weisheiten von sich. Das Paar hat sich gerade für ein Studienjahr in Jerusalem beworben. Wie bei anderen Berufsanfängern ist auch bei Pfarrern Auslandserfahrung gefragt, der Blick von Gemeindegeistlichen, der nicht über den Dorfrand hinausgeht, reicht nicht mehr aus. Evas Vater war als Seelsorger für die Soldaten in Afghanistan und betreute die Heimkehrer in Deutschland.

Einsatz in Krisengebieten, im Auftrag des Herrn

Auch der weltweit mögliche Einsatz als Pfarrer gilt als ein Grund für den neuen Aufschwung beim Theologiestudium. Was früher Mission hieß, ist heute häufig die Hilfe für Menschen in Krisengebieten. Dem Nachwuchs passt der Sendungsauftrag der Kirche gut: So lassen sich Abenteuer, Fernweh und Theologie kombinieren.

Hanna Schramm war gerade längere Zeit in Chile, hat dort "ein anderes Leben kennengelernt". Die 23-Jährige, inzwischen mit Fernbeziehung nach Chile, will alles auf sich zukommen lassen. Pfarrerin? "Kann ich mir vorstellen." Zehn Dörfer betreuen in der Uckermark? "Auch das." Oder vielleicht doch lieber zum chilenischen Freund? "Auch möglich. Vielleicht Pfarrerin in der deutschen Gemeinde von Santiago de Chile oder an eine dortige Schule als Religionslehrerin."

Zu den Attraktionen des Pfarrberufs rechnet Hanna vor allem, dass man "sehr viel selbst gestalten kann, dass man sich - nicht nur für die Predigten - eine Meinung bilden, sie vor den Leuten vertreten und verantworten muss."

In diesem Moment ist die Plenarsitzung ein paar Stockwerke tiefer zu Ende. Die Theologiestudenten drängen sich in ihre provisorische Kantine, zu zweierlei Käse-Lauch-Suppe, vegetarisch und normal mit Hackfleisch.

Reden lernen, in der Gruppe klarkommen

Tinka Diehl, 20, Drittsemester aus Göttingen, hatte ursprünglich keinen direkten Bezug zur Kirche. Ihr Vater ist Kaufmann, die Mutter Gymnastiklehrerin. Immerhin, der Großvater war Pfarrer. Intensive Teilnahme an der kirchlichen Jugendarbeit trieb sie der Theologie in die Arme. "Es war diese Mischung aus Freiraum und Freizeit, lange Abende und Nächte mit Diskussionen und Momente des gemeinsamen Glücks mit anderen Jugendlichen." Lagerfeuergeprassel, Gitarrenakkorde schwingen mit, wenn Tinka schwärmt. Man werde selbstbewusster, sagt sie. "Man lernt zu reden, man lernt, mit der Gruppe umzugehen." Ihre Eltern waren zunächst nicht begeistert von ihrer Hinwendung zur Theologie. Jetzt aber teilen sie ihren Entschluss, Tinka ist glücklich. "Was ich studiere, soll doch den Menschen dienen."

Ihre Kommilitonin Johanna Gorka, 24, ist schon im neunten Semester, die Regelstudienzeit beträgt zwölf. Von Anfang an habe sie gewusst, für wen sie später arbeiten werde, sagt die Hildesheimerin - eine seltene Sicherheit in Zeiten der Krise, nicht nur aus Arbeitnehmersicht: "Wer sich in die Listen der Landeskirchen einträgt, auf den richtet sich der Blick des zukünftigen Arbeitgebers." Ab und zu schaut die Ausbildungsreferentin der Landeskirche bei den Studenten vorbei, es gibt Tagungen und Praktika. Johanna hat bereits vier Wochen erste Erfahrungen in einer Gemeinde gesammelt. Während des Praktikums nahm sie auch an einer Beerdigung teil. "Das gehört dazu, das muss man abkönnen".

Die 22-jährige Nathalie Wolk aus Göttingen hat schon vielen Freunden und Mitstudenten versprechen müssen, später einmal, als Pfarrerin, deren Hochzeit oder Kindstaufe zu zelebrieren. Später, das heißt: Nach den zwölf Semestern folgen noch mehrere Jahre Vikarszeit und Probedienst, dann erst ist die Ordination möglich.

Frauen machen Karriere in der evangelischen Kirche

Dieses Amt steht Frauen auch in der evangelischen Kirche noch nicht sehr lange offen. In der Bundesrepublik wurde erst 1958 die erste Pfarrerin in der Evangelischen Kirche der Pfalz zugelassen. Heirat beendete damals noch die Karriere.

Vollständig gleichgestellt waren die Theologinnen in den evangelischen Landeskirchen jedoch erst in den sechziger und siebziger Jahren. Inzwischen haben weibliche Geistliche auch höhere kirchliche Ämter inne, allen voran die hannoversche Bischöfin Margot Käßmann, eine protestantische Karrieretheologin mit Vorbildfunktion. Sie hat gute Chancen, Ende des Jahres die erste Ratsvorsitzende der EKD zu werden.

Theologiestudentin Nathalie glaubt fest daran, dass sich die Kirche weiter verändern wird und Frauen wie sie dabei mithelfen können. Sie schwärmt von aufregenden, jungen Ideen zur Glaubensvermittlung, von den Filmgottesdiensten etwa, die sie während ihres Praktikums in einer Gemeinde miterlebt hat. "Adams Äpfel" wurde dort gezeigt, "Das Leben ist schön" und der "Fluch der Karibik". Fluch der Karibik in der Kirche? "Theologisch kein Problem", sagt die Studentin. "Wir lernen doch, über alles zu reden."

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