Schüler und Studenten nach Brexit Austausch? Jetzt erst recht!

Britische Flagge (Symbolbild)
Foto:REINHARD KRAUSE/ REUTERS
Offen sein, Grenzen überwinden, neue Länder und Kulturen kennenlernen - dazu werden Schüler, Studierende und Wissenschaftler in Deutschland ebenso wie in Großbritannien seit Jahren mit diversen Austausch-Programmen ermuntert. Zwischen den beiden Ländern gab es besonders enge Beziehungen. Umso bestürzter reagieren die Organisatoren solcher Programme jetzt auf den Brexit.
"Persönlich finden wir das Abstimmungsergebnis furchtbar", sagt Rüdiger Muermann, Geschäftsführer der gemeinnützigen Organisation Partnership International (PI), die Schüleraustausche organisiert. Ihr Motto: "Mach die Welt zu deinem Zuhause".
Im Kölner Büro hatten die Mitarbeiter am Freitag ausgiebig diskutiert, ob und welche Auswirkungen die Abschottung der Briten nun haben kann - "schließlich ist England für deutsche Schüler in Europa das Austauschland Nummer eins."
Aktuell hat PI rund zwei Dutzend Schüler im Programm, die in England sind oder demnächst auf die Insel gehen werden. "Für die ändert sich nichts", sagt Muermann. Auch in Zukunft erwartet er, dass die Nachfrage nach einem Besuch englischer Schulen hoch bleibt: "Das britische Schulsystem hat einfach einen guten Ruf."
Sorge um britische Partnerorganisationen
Sollten demnächst Visa für die Schüler benötigt werden, sei das kein Problem: "Das wäre für uns nur ein minimaler zusätzlicher Aufwand." Sorgen machen sich die PI-Mitarbeiter allerdings um die Lage der britischen Partnerorganisationen. Denn der Brexit dürfte nicht ohne Auswirkungen auf das Pfund und die Wirtschaft im Land bleiben.

Bildungssystem mit gutem Image: Englische Schüler mit Schuluniformen (Archivbild)
Foto: Graeme Robertson/ Getty Images"Es könnte sein, dass sich die wirtschaftliche Situation so verschlechtert, dass es bei einigen wirklich an die Substanz geht", befürchtet Muermann. Dann müsse man gegebenenfalls auch auf deutscher Seite neu kalkulieren, welche Austauschprogramme noch angeboten werden können - und wo eventuell der Preis angepasst werden muss.
Trotz allem ist Muermann aber optimistisch: "Der Austausch mit England wird weitergehen", sagt er mit einem Blick auf die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, "wir hatten schon viel schwierigere Zeiten in Europa."
Auch bei dem Verein AFS Interkulturelle Begegnungen geht man nicht von unmittelbaren Auswirkungen aus. "Kein Schüler muss nach Deutschland zurückkehren, Ausreisen nach Großbritannien laufen weiter wie geplant", sagte Mick Petersmann, AFS-Geschäftsführer.
DAAD: Erhebliche Auswirkungen auf die Mobilität
Dennoch ist man auch beim Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) von dem Ausstiegs-Votum der Briten erschüttert. Und auf Studierende und Wissenschaftler könnte sich der Brexit auch massiver auswirken als auch Schüler. "Das wird erhebliche Auswirkungen auf die Mobilität von Studierenden sowie Wissenschaftlern haben", sagte Margret Wintermantel, DAAD-Präsidentin.
Großbritannien gehöre zu den attraktivsten Ländern für Studierende, und zwar aus ganz Europa, besonders aber aus Deutschland. Umgekehrt profitierten bisher auch viele britische Studierende und Wissenschaftler von den niedrigen Hürden beim EU-Grenzübergang.

College in Cambridge: Beliebtes Ziel für deutsche Austauschstudenten
Foto: picture-alliance / dpa"Eine Einschränkung der Mobilität hat natürlich Konsequenzen für das akademische System Großbritanniens und den britischen Arbeitsmarkt", sagte Wintermantel und verwies auf das Mobilitätsprogramm Erasmus+, das den internationalen Austausch für Schüler, Studierende und auch Berufstätige bis 2020 mit fast 15 Milliarden Euro fördert.
Großbritannien gehöre mit bis zu 3.140 deutschen Austausch-Studierenden pro Jahr zu den attraktivsten Erasmus-Zielen in Europa. Nach dem Brexit müssten die Modalitäten für eine Beteiligung der Briten neu verhandelt werden, sagt die DAAD-Präsidentin. "Außerdem stellt sich die Frage nach der Höhe der Studiengebühren für Studierende aus EU-Ländern." Erasmus-Studierende sind den Angaben zufolge aktuell von Studiengebühren befreit, EU-Studierende zahlen reduzierte Gebühren.
"Es besteht die Möglichkeit, dass es zu einer Erhöhung der Studiengebühren kommt", mahnte Wintermantel. "Offen ist auch, wie es für die EU-Forschungsförderung für britische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler weitergeht."
"Der Brexit wird negative Auswirkungen haben", fürchtet auch Studentenwerks-Generalsekretär Achim Meyer auf der Heyde. Vor allem finanziell könnte es für deutsche Studierende eng werden: Es sei möglich, dass Studiengebühren und Lebenshaltungskosten in Großbritannien ansteigen, gleichzeitig aber keine finanzielle Hilfe mehr durch das Erasmus-Stipendium möglich sei, so Meyer auf der Heyde.
HRK: "Schmerzhafte Zäsur"
Auch die deutschen Hochschulen befürchten, dass sich der Ausstieg der Briten aus der EU negativ auswirken wird. "Der Brexit stellt einen tiefen Einschnitt dar", sagte der Präsident der Hochschulrektorenkonferenz (HRK), Horst Hippler. Die Konsequenzen treffen seiner Ansicht nach nicht nur die britischen Hochschulen schwer, sondern mit ihnen den gesamten europäischen Hochschul- und Forschungsraum.
Gerade für die deutschen Hochschulen markiere der Brexit eine "schmerzhafte Zäsur", erklärte Hippler. Die HRK werde jetzt alles tun, "um die Zusammenarbeit zwischen den Hochschulen in Großbritannien, Deutschland und der gesamten EU möglichst unvermindert fortzusetzen".
Hippler forderte die Politik auf, "trotz der antieuropäischen Entscheidung zu tragfähigen Vereinbarungen zu kommen, um den Schaden für den europäischen Hochschulraum so gering wie möglich zu halten".
"Europa der Hochschulen lässt sich nicht spalten!"
Entsprechend äußerte sich auch der Dachverband der europäischen Unis, die European University Association (EUA): "Wir teilen die Enttäuschung über die britische Entscheidung." Die deutsche und die britische Hochschulrektorenkonferenz hatten sich vor der Abstimmung gegen einen Brexit ausgesprochen.
Die britischen Hochschulen hatten in der Brexit-Debatte immer wieder klar gegen Vorurteile und Engstirnigkeit argumentiert und eindringlich die universitäre Offenheit und Diskussionskultur vertreten. Jetzt müsse geklärt werden, wie englische Forscher in Zukunft an EU-Förderprogrammen beteiligt werden können, hieß es.
"Unabhängig vom Abstimmungsergebnis bleiben die britischen Universitäten ein entscheidender Teil der europäischen Hochschulfamilie", erklärte die EUA in einer pathetischen Stellungnahme: "The Europe of universities will not be divided! - Das Europa der Hochschulen lässt sich nicht spalten!"