CDU und Wahl-O-Mat Du sollst nicht flunkern

Soll das Erststudium gebührenfrei sein? Klare Frage, verwaschene Antwort: Im Wahl-O-Maten gibt sich die CDU in diesem Streitfall als "neutral" aus, obwohl sie in einigen Bundesländern längst Studiengebühren eintreibt. Schummeln gilt nicht, zürnen die Jusos prompt.
Von Helga Hochwind
Wahlhilfe per Wahl-O-Mat: Hat die CDU geschummelt?

Wahlhilfe per Wahl-O-Mat: Hat die CDU geschummelt?

Foto: A3602 Frank Rumpenhorst/ dpa

Oft ist sie kompliziert, die Politik, ganz uneindeutig, oft gibt es kein hundertprozentiges Richtig oder Falsch. Gesetzentwürfe und Vorlagen, Konzepte und Programme so zu formulieren, dass alle Bedenken ausgeräumt, alle Eventualitäten berücksichtigt werden, das erfordert eine sehr spezielle Art von Sprachmassage. Dann sind Sätze so ineinander verschachtelt, dass sie am Ende nur noch eine Handvoll Fachleute versteht.

Manchmal jedoch ist alles ganz einfach. Manchmal geht es nur darum, dafür oder dagegen zu sein - oder sich notfalls zu enthalten.

Nach diesem Prinzip arbeitet auch der Wahl-O-Mat von der Bundeszentrale für politische Bildung. Man klickt sich durch 38 Thesen zu Atomkraft, Afghanistan-Einsatz oder Mindestlohn; man stimmt zu, lehnt ab oder enthält sich mit dem Neutral-Button.

Damit das beim Nutzer funktioniert, mussten sich zuvor die Parteien positionieren. Das hat die CDU offenbar sehr verwirrt, und zwar bei einem Thema, das viele Studenten bewegt: Die Christdemokraten stuften sich selbst als "neutral" ein bei der These "Das Erststudium soll gebührenfrei sein".

Dabei ist die CDU in puncto Campusmaut alles andere als meinungsabstinent. Die Partei machte die Tür weit auf für Studiengebühren und führte das Bezahlstudium in vielen Bundesländern ein, in denen sie allein oder mit der FDP regiert. Dass sie laut Wahl-O-Mat beim "gebührenfreien Erststudium" aber neutral sein soll, lässt jetzt im Wahlkampf vor allem die Juso-Hochschulgruppen aufheulen. Der SPD-Nachwuchs sieht gleichsam, christlich gesprochen, einen Verstoß gegen das achte Gebot "Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten". Und an den Taten kann man's ja erkennen.

Studiengebühren? Die CDU eiert herum

"Die CDU lügt wie gedruckt", wettert also enthemmt der Bundesvorstand der Juso-Hochschulgruppen, "irreführend", "Betrug an den Wählern", ein "krasser Widerspruch". Die CDU solle das richtigstellen. Jan Krüger von den Jusos erzählt, ein Bekannter habe auf den Widerspruch hingewiesen, man habe das überprüft - und sei empört gewesen.

Denn vielen Jungwählern dient der Wahl-O-Mat als Entscheidungshilfe, 3,4 Millionen Mal wurde er in den letzten Wochen schon durchgeklickt. Laut Bundeszentrale für politische Bildung (bpb), die den Wahl-O-Mat betreibt, ist mehr als die Hälfte der Nutzer unter 30 und hat einen höheren Bildungsabschluss. An prominenter Stelle bewirbt zum Beispiel das Netzwerk StudiVZ den Wahl-O-Maten. Damit erreicht das Tool genau jene, die die Frage nach Studiengebühren am meisten betrifft.

Wer sich im Wahl-O-Maten gründlich umschaut, wundert sich in der Tat. Dort kann man zu jedem Politikfeld die kompletten Statements der Parteien abrufen. Zum Punkt Studiengebühren schreibt die CDU zwar, Bildung solle keine Frage des Einkommens sein, und preist die eigene Bildungspolitik. Doch schreibt sie auch: "Mit sozialverträglichen Studienbeiträgen sollen die Hochschulen ihre Lehrangebote gezielt verbessern und besondere Lehrprofile entwickeln." Ein klares Ja zu Studiengebühren. Und dennoch hat die Partei "neutral" angegeben, als sie von der Wahl-O-Mat-Redaktion gefragt wurde, wie sie sich positioniert zur Gebühren-These.

Aus dem Konrad-Adenauer-Haus heißt es dazu nur knapp, man habe die These "auf der Grundlage unserer Programmatik" beantwortet. Namentlich zitieren lassen will sich niemand aus der Pressestelle, ausführlich Stellung nehmen auch nicht. Angedeutet wird nur so viel: Die Thesenvorgabe habe der Partei gar keine andere Wahl gelassen, sie ziele am Programm vorbei.

Christdemokraten im Osten tun sich schwer mit der Campusmaut

Von Studiengebühren steht tatsächlich nichts im Programm der Christdemokraten, stattdessen wollen sie endlich das Hochschulrahmengesetz abschaffen. Die Bundesländer sollen bildungspolitisch machen können, was sie wollen. Und die Unionsländer greifen den Studenten fast flächendeckend ins Portemonnaie. Sechs Landesregierungen unter Führung der CDU (oder CSU) erheben Studiengebühren, meist 500 Euro pro Semester.

Einige Ausnahmen gibt es, insbesondere im Osten Deutschlands sträubt sich die CDU dagegen, Studiengebühren offensiv zu fordern. Dass manche CDU-Kultusminister, etwa in Thüringen und Sachsen, bei der Gebühr einen anderen Kurs einschlagen als ihre Westkollegen, hat auch mit der speziellen Lage ihrer Länder zu tun. Die Campusmaut würde kaum dazu beitragen, Studenten nach Ostdeutschland zu locken, wo oft Studienplätze frei bleiben.

Vor Wahlen verkeilen sich Partei-Jugendorganisationen gern mit dem politischen Gegner - erst kürzlich hatte der RCDS eine junge Studentin aufs Korn genommen, die Nordrhein-Westfalens Sozialdemokraten ihr Gesicht für ein Plakat gegen Studiengebühren lieh. Jetzt machen die Jusos Stimmung. Geht es nach ihnen, müssen die Christdemokraten ihre Wahl-O-Mat-Aussage korrigieren. Und wenn die CDU schon nicht handelt, soll das gefälligst die bpb richtigstellen.

Das geht der Bundeszentrale für politische Bildung zu weit. "Aufgabe der Redaktion ist es nicht, die Parteien zu bewerten", sagt Thorsten Schilling, Leiter der Multimedia-Abteilung. Die Parteien hätten ihre Position dargestellt, damit müsse man ja nicht einverstanden sein. "Falls da etwas falschgelaufen ist, muss das die CDU klären und nicht wir." Zumal es selbst bei einem gravierenden Fehler schwierig sei, diesen jetzt noch zu korrigieren.

Bei der CDU will man von einem Widerspruch nichts wissen und sieht im Konrad-Adenauer-Haus vor allem einen konzeptionellen Fehler beim Wahl-O-Maten. Ein Sprecher fordert, "dass in Zukunft die Thesen präziser formuliert werden müssen" - obwohl die Formulierung gerade dieser Studiengebühren-These kaum Raum für unterschiedliche Deutungen lässt.

Immer wieder wettern Parteien gegen den Wahl-O-Maten

Ganz neu ist Kritik am Wahl-O-Mat nicht. Seit der Einführung 2002 wurde jedes Wahljahr aufs Neue über die Verlässlichkeit des Tools diskutiert. So klagte 2008 die ÖDP in Bayern erfolgreich, weil sie nicht berücksichtigt worden war. 2006 weigerten sich CDU und SPD in Mecklenburg-Vorpommern, auf ihrer Meinung nach ungenau formulierte Thesen des Wahl-O-Maten Antworten zu geben.

Wiederholt ging es um die Fragenauswahl. Welche Programminhalte landen im Wahl-O-Maten? Wie werden die Thesen formuliert? All das entscheidet ein Team aus Sozialwissenschaftlern und jungen Freiwilligen. In den Wahl-O-Mat-Fragenkatalog schaffen es nicht unbedingt die am meisten diskutierten oder aktuellsten Themen. Die Macher konzentrieren sich auf jene, in denen die Parteipositionen am stärksten auseinanderklaffen. Das sei für die Vergleichbarkeit wichtig, heißt es auf der Homepage der Bundeszentrale.

Die Parteien müssen zu den Wahl-O-Mat-Thesen selbst Stellung beziehen; sie bestimmen, ob sie unter "stimme zu", "stimme nicht zu" oder "neutral" eingeordnet werden. Das müssen sie jeweils auch begründen - ob die Angaben widersprüchlich sind, überprüft bei der Bundeszentrale niemand mehr.

Dass es eindeutiger geht, zeigt die FDP, möglicher Koalitionspartner der Union und in den Ländern teils auch Partner in Sachen Campusmaut. Im Wahl-O-Maten hatte die Partei zur These "Das Erststudium soll gebührenfrei sein" schlicht und klar geantwortet: Stimme nicht zu.

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