Code University in Berlin: Programmieren studieren
Programmierer-Hochschule in Berlin
"Was Eigenes aufmachen. Und reich werden"
Die private Code University in Berlin will die künftige digitale Elite ausbilden. Das Studium ist teuer, die Vernetzung mit der Wirtschaft eng - die Begeisterung auf dem Campus trotzdem groß.
Marie ist nach 58 Tagen an der Code University of Applied Science bereits in Gründerlaune. "Ich habe schon so viel gelernt wie in meinem gesamten vorherigen Studium nicht", sagt die 32 Jahre alte BWL-Absolventin. Die Idee für ihr Start-up will sie nun ihrer Dozentin präsentieren.
Marie ist eine der ersten Studierenden an der neuen privaten Hochschule. 70 Männer und 18 Frauen werden hier seit dem Wintersemester zu Software-Entwicklern, Interaktionsdesignern und Produktmanagern ausgebildet - ganz praktisch, so das Versprechen.
Frontalunterricht ist an der Code University tatsächlich die Ausnahme. Die meisten Studierenden suchen sich in kleinen Grüppchen einen Platz irgendwo auf dem neuen Campus der Factory, dem angeblich "ersten Business-Klub für Start-ups". Marie und zwei ihrer Kommilitonen wollen ihre Projektidee in der Cafeteria im Erdgeschoss besprechen, einem der wenigen wirklich warmen Orte in diesem Haus.
Die Studierenden Marie, Robin und Martin im Gespräch mit Dozentin Anna Maria von Saucken (v.l.)
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Die Factory ist ein exklusiver Co-Workingspace, den sich die Hochschule mit Firmen wie Uber, SoundCloud, Deutscher Bank oder Google teilt. In Berlin-Treptow wird gerade der zweite Standort eröffnet. Bällebad, Kicker: Die Klischees der IT-Branche werden hier erfüllt.
Noch ist vieles provisorisch - die Räume genauso wie die Titel. Anna Maria von Saucken, 37, wird zwar schon als Professorin für Software Engineering präsentiert, doch sie selbst nennt sich nicht so. Die formelle Ernennung durch das Land Berlin stehe noch aus.
Empfangstresen der Factory auf dem neuen Campus am Görlitzer Park
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Von ihrer Dozentin wollen die drei ein Feedback zu ihrer Start-up-Idee namens Fair Share: ein Programm, das die Kosten bei einem gemeinsam genutzten Teilauto berechnet.
Das didaktische Konzept: Die Studierenden lernen direkt in der Praxis und fordern das Wissen aktiv ein. "Wenn sie zum Beispiel merken, sie können eine Programmiersprache noch nicht, sollen sie zu mir kommen, und sagen: 'Kannst du 'ne Lecture zu Swift anbieten'", erklärt Saucken.
Am Café-Tisch beschäftigt die Studierenden aber eine andere Frage: Ist es okay, wenn wir Car2go oder DriveNow als Partner für das Programm anfragen? Die Sorge: ein Interessenkonflikt mit einem der Hochschulsponsoren.
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Code University in Berlin: Programmieren studieren
Die Code University kooperiert zurzeit mit acht Unternehmen, darunter Xing, SinnerSchrader, Facebook und Porsche. Könnte der Autobauer ein Problem damit haben, wenn die Studierenden für ihr Projekt mit Carsharing-Angeboten von Mercedes oder BMW zusammenarbeiten?
"Es gibt keine Exklusivitäten. Das entscheiden allein unsere Professoren zusammen mit den Studierenden", sagt Thomas Bachem. Der 32-Jährige ist als Kanzler der Hochschule für die Finanzen zuständig - und zentrale Gründungsfigur der Code: Schon vor zehn Jahren, als er selbst eine Uni für seinen "digitalen Unternehmergeist" suchte, sei ihm die Idee gekommen.
Gründer und Kanzler Thomas Bachem
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Von einem Informatikstudium schreckte ihn das Klischee vom einsamen Nerd ab. Zu theoretisch sei das Studium zudem. Er selbst sei immer dann gut gewesen, wenn er eine konkrete Idee verfolgte, ihn die Leidenschaft trieb.
"Unternehmen brauchen Praktiker", stellt Projektpartner Trivago genauso klar wie der Geschäftsführer des Bereichs Strategy & Data bei der Digitalagentur SinnerSchrader. Axel Averdung sieht eine "Nerdisierung" an den staatlichen Hochschulen. "Wir brauchen Empathie gegenüber den anderen Gewerken", sagt Averdung. Bei der Code lernen die Studierenden interdisziplinär: Ein angehender Programmierer bekommt Einblick in das Oberflächendesign, die künftige Produktmanagerin entwickelt eine Vorstellung vom Programmieren.
Vorteil zwei sei die Schnelligkeit, mit der die Hochschule auf neue technische Entwicklungen eingehen könne, da sind sich der Unternehmer Averdung und die Wissenschaftlerin Saucken einig. Das staatliche Bildungssystem sei viel zu träge, sagt Saucken, die an der FH Berlin Informatik studiert und am DFG-Graduiertenkolleg in Medizintechnik promoviert hat.
Kanzler Thomas Bachem und SinnerSchrader-Mann Axel Averdung in der Bibliothek der Factory
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Bedenken wegen der Wirtschaftskooperation hat Saucken nicht. In der Forschung sind Unternehmenspartner längst normal. 1,4 Milliarden Euro und damit knapp 20 Prozent der externen Förderung flossen laut Statistischem Bundesamt 2015 als Drittmittel aus der Wirtschaft an die Hochschulen. Abseits dualer Studiengänge sei die enge Kooperation in der Lehre hingegen recht neu, meint Saucken.
Die Branche nahm das Angebot gerne an. Die Unternehmen suchen dringend Fachkräfte. Laut dem Interessenverband Bitkom fehlen 55.000 IT-Spezialisten, die Zahl stieg zuletzt stark an.
Binnen einem Jahr hat Gründer Bachem knapp fünf Millionen Euro für die Grundfinanzierung eingetrieben, sagt er, gespendet von mehr als zwei Dutzend Internet- und Start-up-Unternehmern.
Studenten bei der Projektarbeit
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Das Geld soll die Hochschule tragen, bis sie auf etwa 500 Studierende gewachsen ist. Dann könne sie sich durch die Studiengebühren finanzieren.
Denn trotz der Firmenkooperation im Lehrbetrieb ist der Bachelor hier teuer, einen Master gibt es noch nicht. 26.892 Euro kostet das Studium pauschal. Die Studierenden können monatlich Raten von 747 Euro abstottern - oder später zahlen: Wenn ihr Jahreseinkommen mindestens 30.000 Euro beträgt, werden zehn Jahre lang 6,5 Prozent ihres Verdienstes fällig, gedeckelt bei gut 53.000 Euro.
Die meisten Studierenden entscheiden sich für Variante zwei, auch wenn sie dadurch im Falle des Erfolgs mehr zahlen. Noch frösteln die laut Hochschule "digitalen Pioniere von morgen" in den provisorischen Räumen, doch vom eigenen Gelingen ist hier offenbar jeder überzeugt - obwohl ein Abschluss an der Code noch nicht mehr ist als ein Versprechen.
Die Studentin Marie ist sich sicher, dass schon innerhalb des nächsten halben Jahres viele Start-ups aus den Studienprojekten entstehen. Und auch ihr 19 Jahre alter Kommilitone Robin, der nach zwei Semestern Physik an die Code gewechselt ist, hat sein Ziel klar vor Augen. "Was Eigenes aufmachen. Und reich werden."
10 BilderCode University in Berlin: Programmieren studieren
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Kanzler mit 32: Thomas Bachem hatte schon vor zehn Jahren die Idee für die Code University, als er selbst nach einer Hochschule suchte. Er sei immer dann gut gewesen, wenn er eine konkrete Idee verfolgt habe. Die Studierenden hier entwickeln reale Projekte, teils in enger Kooperation mit kommerziellen Projektpartnern.
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Corporate Identity: Zum Studienstart haben die 88 Erstsemester einen Rucksack mit dem Logo der Hochschule geschenkt bekommen. Seit dem Wintersemester werden sie auf den Bachelor zu Software-Entwicklern, Interaktionsdesignern oder Produktmanagern ausgebildet.
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Ethikseminar im Dämmerlicht: Frontalunterricht ist an der Code University die Ausnahme. Doch das Seminar erinnere schon sehr an eine klassische Vorlesung, sagt Student Nico, "das passt nicht jedem". Er selbst findet die philosophischen und ethischen Grundlagen, die im Modul Science, Technologie und Society vermittelt werden, aber sinnvoll. "Programmieren ist nicht neutral. Hier fragen wir uns, was für einen Effekt unsere Arbeit auf die Gesellschaft hat."
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Start-up-Gründung am Café-Tisch: Die Studierenden Marie, Robin und Martin besprechen mit Dozentin Anna Maria von Saucken ihre Projektidee. Die vier gehen durch, wie die Studierenden die Relevanz des Programms ermitteln, mit Kooperationspartnern Kontakt aufnehmen und was sie bei der Wahl der Programmiersprache beachten sollen.
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Teamwork: Lucas, 21, und Moritz, 20, arbeiten gemeinsam an einem Projekt. Obwohl es kaum Anwesenheitspflicht gibt, sind sie von morgens um 10 Uhr bis etwa abends um 19, 20 Uhr in der Hochschule, sagt Lucas. Die Umgebung in der sogenannten Factory sei inspirierend, besonders gemütlich sei es in der Bibliothek.
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Eingangsbereich der Factory: Im Berliner Stadtteil Treptow wurde gerade ein zweiter Standort des Co-Workingspaces eröffnet.
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Provisorische Räume: Die Code University baut sich in dem Gebäude am Görlitzer Park gerade das vierte Stockwerk aus.
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Gebäude der Factory Görlitzer Park: Die Hochschule teilt sich den Platz mit Firmen wie Uber, SoundCloud, Deutscher Bank oder Google.
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Wirtschaftskooperation: Die Code University kooperiert zurzeit mit acht Unternehmen, darunter Xing, Facebook, Porsche und SinnerSchrader. Axel Averdung, Geschäftsführer des Bereichs Strategy and Data bei der Digitalagentur, stellt den Studierenden ein Buch vor.
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Kanzler Bachem und Unternehmer Averdung in der Bibliothek: Trotz der Wirtschaftskooperation kostet das Studium knapp 27.000 Euro. Die Studierenden sind von ihrem Erfolg überzeugt, der Studiengang muss sich in der Praxis aber noch beweisen.