Debattier-WM Wie Flottwortsport das Denken verändert

Für Iraker kann es das Land verändern, für Chinesen gefährlich und für Briten förderlich sein - für Andreas Lazar bedeutet Debattieren Spaß. Der Stuttgarter Student redet einfach gern. Bei der Weltmeisterschaft der Uni-Debattierer in der Türkei schaffte er es bis ins Finale.
Von Mathias Hamann
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Redenschwinger-WM: Nachfrage? Abgelehnt!

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Was haben Fidel Castro, der Ökonom John Maynard Keynes und Dracula-Schöpfer Bram Stoker gemeinsam? Alle waren in ihrer Studienzeit Debattierer und haben später, auf ganz unterschiedliche Weise, Großes erreicht. Auch Andreas Lazar, 30, ist ein Freund des schönen Streits. Zusammen mit seinem Teamkollegen Igor Gilitschenski, 25, mischte der Stuttgarter Lehramtsstudent bei der Weltmeisterschaft im Hochschuldebattieren in Antalya mit.

Mehr als 1200 Studenten aus der ganzen Welt reisten in den türkischen Badeort, um über Silvester den besten Redner zu ermitteln. Sieben Tage Streit in einem Fünfsternehotel, Essen und Alkohol von Nachmittag bis Mitternacht - all inclusive.

Gefragt sind aber nüchterne Analysen, sei es über eine Teilung des Sudan, Strafen für Ehrenmord oder ein Verbot von Pornografie. Die Regeln: Debattiert wird auf Englisch, im British Parliament Style. Nach 15 Minuten müssen die Teams zu einem Thema eine zugeloste Position vertreten und die Jury mit ihren Argumenten überzeugen.

Unternehmensberatungen stehen auf wortgewaltige Redner

Für Andreas Lazar ist es ein Denksport, der großen Spaß macht - das sei wie ein intellektueller Marathon mit Gegenwind. Für Angelsachsen geht es bei dem Turnier oft auch um die Karriere: "Amerikanische und britische Investmentfirmen oder Unternehmensberater holen sich gerne gute Debattierer", sagt Alfred Snider. Dem US-Amerikaner fallen noch ein paar bekannte Streiter ein: "Richard Nixon oder Bill Clinton waren in ihrer Studienzeit Debattierer."

Snider  lehrt an der Universität Vermont rhetorische Analyse, Argumentieren und Debattieren. Zudem ist der Rauschebart als Handlungsreisender in Sachen Wortsport unterwegs: China, Katar, Slowenien - zuletzt hat er im Irak die Kunst des gepflegten Studentenstreits gelehrt.

Für die junge Demokratie im Zweistromland treten zwei Teams an. "Wir können zu Hause unsere Meinung nicht frei äußern", sagt Studentin Zeen S. Taha, 20, "wir sind es nicht gewohnt, weil wir einander nicht kränken wollen." Die Irakerin mit Kopftuch möchte später einmal in ihrem Land Englisch unterrichten. "Wir düsten aus einer Tyrannei direkt in eine Demokratie", ergänzt Mohammad Ahmad. "Wir müssen üben, Meinungen zu vertreten und andere zu akzeptieren." Debattieren sei dafür ideal. Nun will der Leiter der irakischen Debattiergesellschaft hier Kontakte mit Trainern knüpfen, um den Wortwettstreit in seinem Land noch populärer zu machen.

Nach den Vorrunden ist in Antalya allerdings Schluss für die Iraker. Andreas Lazar ist fast ein bisschen neidisch auf andere Teams, nicht unbedingt, weil diese besser reden, sondern besser unterstützt werden. Barbados, Thailand, sogar das irakische Team bekommen Teilnahmebeitrag und Flug von ihrer Uni bezahlt, viele kommen mit Trainer. "Wir coachen uns selbst", sagt Teamkollege Igor Gilitschenski.

Chinas Trainer fuchtelt wild, während seine Schützlinge reden

Mit Erfolg - die beiden Stuttgarter kämpfen sich ins Halbfinale für Nichtmuttersprachler und treten hier unter anderem gegen ein Zweierteam aus Peking an. Als eine Chinesin redet, gestikuliert ein älterer Mann im Publikum, als würde er mit Bällen jonglieren. Es ist der chinesische Trainer Loke Wing Fatt. Seine Gestik signalisiert dem Mädchen, dass es die wichtigen Argumente gegeneinander abwägen soll.

Während die Stuttgarter nach der Debatte gemütlich Richtung Speisesaal schlendern, eilt der chinesische Coach zu seinen Schützlingen und analysiert sofort, was sie hätten besser machen sollen. Auch beim Essen hagelt es weiter Anweisungen. Noch mehr als bei den Briten geht es für die 21-jährigen Chinesen um ihre Karriere, bei einem guten Abschneiden haben sie Chancen auf den Diplomatischen Dienst, ansonsten würden sie vielleicht nur Lehrer.

Wie frei ist eigentlich Debattieren in China - müssen die Uni-Clubs ihre Themen einreichen? "Das sind die Vorurteile, die der Westen über China hat", sagt der Coach Loke Wing Fatt. Natürlich würden Themen gemieden, die Schwierigkeiten bringen: Tibet oder Taiwan. "Ansonsten können wir über alles reden", so sein Schützling Michael Han. Abtreibung, Pornografie, Israel, was in muslimischen Ländern für Probleme sorgen würde, schere in China keinen, sagt der Coach und ergänzt augenzwinkernd: "Es ist auch recht frei, weil wir in Englisch streiten." Das könnten nur ein wenige Chinesen, kontroverse Meinungen seien deshalb unproblematisch.

Ganz ohne Coach Vizeweltmeister

"Debattieren ist eigentlich gefährlich für die kommunistische Partei", sagt dagegen eine chinesische Studentin aus einem anderen Team, die lieber anonym bleiben möchte. Früher war sie gegen ein selbständiges Taiwan, Debattieren hat ihre Haltung geändert: "Man muss sich ja immer auch in die Gegenseite hineindenken." Das mache kritisch gegenüber vorgefertigten Meinungen.

Die Deutschen schlagen auch ohne Coach die Chinesen. Andreas Lazar und Igor Gilitschenski erreichen das Finale des Wettbewerbs für Nichtmuttersprachler - doch für den großen Wurf reicht es nicht, es gewinnt ein Team aus Moskau.

Im Finale der Muttersprachler  kommt Fußballstimmung auf, Iren, Briten und Australier stimmen Gesänge und Schlachtrufe an. Ihre Fankluft entspricht dem Anlass: Feine Streitkultur fordert feine Sachen - Anzug für die Herren, der Schotte gern im Rock, die Damen im schicken Kleidern oder Kostümen. Am Ende setzt sich ein Team aus Sydney gegen Mannschaften aus London, Harvard und aus Oxford durch. Man feiert beim Gala-Dinner mit Orchester und viel Alkohol.

Andreas Lazar ist etwas geknickt, aber auch er und sein Teamkollege haben einen Pokal bekommen. Was möchte er nach dem Studium machen? Erst einmal die Promotion - und danach für eine internationale Organisation arbeiten. Oder doch als Berufschullehrer.

Die Iraker freuen sich schon auf ihre Heimkehr. Muhammad Ahmad ist sich mit dem Debattierprofessor Alfred Snider einig, sie machen ein Turnier. "Dort können dann Kurden, Schiiten, Sunniten miteinander streiten und anschließend feiern", sagt der irakische Trainer. Seine Augen leuchten.

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