Denkmal-Streit in Leipzig Viel Knatsch um Marx

Rund 30 Jahre lang beherrschte ein gigantisches Relief von Karl Marx die Fassade der Leipziger Uni. Für rund anderthalb Jahre wurde es eingemottet, nun soll es wieder aufgestellt werden. Wo und wie - darüber wurde bis heute heftig gestritten.
Ehemaliges Gebäude der Uni Leipzig (2001): "Mögen die Enkel unbefangen entscheiden."

Ehemaliges Gebäude der Uni Leipzig (2001): "Mögen die Enkel unbefangen entscheiden."

Foto: Wolfgang_Kluge/ picture-alliance / dpa/dpaweb

Der graue Klotz ist sozialistischer Realismus vom Feinsten, 14 Meter lang und sieben Meter hoch. Umringt von mehreren Menschengruppen blickt Sozialrevolutionär Karl Marx finster aufs fehlbare Studentenvolk hinab. Blickte, besser gesagt.

Gut 30 Jahre lang thronte das von den DDR-Künstlern Klaus Schwabe, Frank Ruddigkeit und Rolf Kuhrt geschaffene Relief "Aufbruch" an der Außenfassade der Uni am Leipziger Augustusplatz. Im Sommer 2006 musste es dann unter den Augen von zahlreichen Schaulustigen weichen. Das Gebäude wurde abgerissen, um einem neuen Uni-Hauptquartier Platz zu machen.

Nun bekommen Marx und seine metallenen Gefährten bald eine neue Heimat. Nicht mehr im Leipziger Stadtzentrum sollen sie vom Sieg der Revolution künden, sondern etwas abseits, auf dem Gelände der früheren Sporthochschule DHfK in der Jahnallee. Darauf haben sich die Uni Leipzig, die Stadt und das sächsische Wissenschaftsministerium heute geeinigt. Sie legten damit einen Streit um das Denkmal bei, der in den vergangenen Wochen heftig tobte.

Der Knatsch war so zustande gekommen: Eine Boulevard-Zeitung hatte mehrere Ausgaben lang gegen den Wiederaufbau geschossen ("Für ein SED-Denkmal wird unser Steuergeld verschwendet"). Das Sächsische Finanzministerium in Dresden geriet unter Druck und ordnete schließlich einen vorläufigen Baustopp an. Man wolle keine vollendeten Tatsachen schaffen, sagte Ministeriumssprecher Burkhard Beyer.

Der Leipziger Rektor Franz Häuser, ein freundlicher Jurist aus Hessen, hatte gefordert, dass das Relief auf jeden Fall wieder aufgebaut wird - und musste für seine Position in den vergangenen Tagen viel Prügel einstecken. Im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE verwies er auf einen Beschluss des Akademischen Rats der Uni – und darauf, dass das riesige Marx-Bildnis durch das Denkmalrecht geschützt ist. Außerdem sei das Ding ein wichtiges Zeitzeugnis, das nicht einfach so vernichtet werden dürfe.

Die Enkel sollen's entscheiden

Das Denkmal sei eine "Schande für die Stadt des freiheitlichen Aufbruchs von 1989", wetterte dagegen etwa der Schriftsteller Erich Loest. Der Leipziger Ehrenbürger saß zu DDR-Zeiten siebeneinhalb Jahre im berüchtigten Stasi-Knast Bautzen II. "Anzuraten wäre, die Bronze einzulagern, die Auseinandersetzung mit ihr zu ermöglichen und zu warten, bis Täter und Opfer dieser Ära tot sind", schrieb Loest in einem offenen Brief: "Mögen die Enkel unbefangen über den weiteren Verbleib entscheiden." Neben Loest machten auch der ehemalige Gewandhauskapellmeister Kurt Masur und zwei SPD-Bundestagsabgeordnete Front gegen das Denkmal.

Doch Rektor Häuser bekam bei dem Streit auch Unterstützung, wenngleich von unerwarteter Stelle: Der StudenInnenRat der Uni, sonst nicht gerade für übermäßige Zuneigung zur Hochschulspitze bekannt, verteidigte die Position des Uni-Chefs. "Das Relief ist ein Teil der Geschichte der Universität", sagte StuRa-Sprecherin Christin Melcher SPIEGEL ONLINE. "Man muss sich kritisch mit dieser Geschichte auseinandersetzen. Dazu gehört auch das Marx-Relief."

Deswegen hatten sich Melcher und ihre Kollegen gewünscht, die Marx-Darstellung bald am neuen Uni-Gebäude in der Leipziger Innenstadt zu sehen. Eine ähnliche Ansicht vertrat auch Rudolf Hiller von Gaertingen, Kustos der Uni und damit sozusagen Herr ihrer Kunstwerke. "Mir wäre es lieber gewesen, wenn das Relief in der Innenstadt aufgestellt worden wäre", sagte er SPIEGEL ONLINE. Doch auch der geplante Ausweichstandort sei für ihn gerade noch akzeptabel: "Wichtig ist, dass das Relief überhaupt wieder aufgestellt wird." Im derzeitigen Zwischenlager sei es gefährdet, weil es nicht ausreichend vor Regenwasser und anderen Umwelteinflüssen geschützt sei.

"Mir erscheint das Marx-Relief weniger als Kunstwerk", sagte Rudolf Hiller von Gaertingen, "sondern es ist vielmehr als ein politisches Monument bedeutsam." Nur mit seiner Hilfe lasse sich die Rolle der Uni in der DDR-Zeit verstehen: Die vollständige Kontrolle des Staates über Lehrpersonal und Studenten, die Einbindung der Wissenschaft für die Ziele von Staat und Partei.

"Ohne diese Tafel wird es keine Wiedererrichtung geben"

Nun wurde der Streit um das Denkmal endlich beigelegt. Innerhalb der nächsten zwei Monate soll die 33 Tonnen schwere Bronze-Plastik auf dem Universitätscampus an der Jahnallee außerhalb des Stadtzentrums aufgestellt werden, kündigte Sachsens Wissenschaftsministerin Eva-Maria Stange an. Darauf hat sie sich mit Oberbürgermeister Burkhard Jung (beide SPD) und Uni-Rektor Franz Häuser geeinigt. Es gebe keinen Grund, die bisherigen Beschlüsse von Land und Uni zu ändern. "Ein Einschmelzen kommt nicht in Frage", sagte Stange.

Seit einiger Zeit wird an der Leipziger Jahnallee für den Wiederaufbau des Reliefs gearbeitet. Das Fundament ist bereits gegossen, Arbeiter haben außerdem erste Schweißarbeiten an dem derzeit in vier Einzelteile zerlegten Relief erledigt.

Bald soll noch eine Gedenktafel gestaltet werden, die das Marx-Monument in Beziehung zur Hochschul- und Stadtgeschichte setzt. "Ohne diese Tafel wird es keine Wiedererrichtung geben", unterstrich Stange. Eine Kommission aus Mitgliedern der Uni und des Zeitgeschichtlichen Forum werde in den nächsten Wochen den Text erarbeiten. An den Kosten für Demontage, Lagerung und Wiederaufbau des Reliefs von 300.000 Euro werde sich nichts ändern.

Mit Material von dpa

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