Deutsch in der Fremde Ganz unlocker zu Nelly Furtado

Nelly Furtado: Hat sie nicht irgendwas mit Portugal zu tun?
Foto: A1820 epa anp Robert Vos/ dpaMs. Diane, Pressebetreuerin der Sängerin , stand in der Ecke eines Zimmers im dritten Stock eines Londoner Hotels und hielt eine allgemein gehaltene Rede zum Thema "Pressefreiheit in Bezug auf Stars", um dann zügig auf die Person Nelly Furtado zu schwenken.
Im Wesentlichen, sagte Ms. Diane, solle man wissen, dass, wolle man das Arbeitsverhältnis nicht unnötig belasten, es Fragen gebe, die man besser nicht fragen solle; Fragen, die man auf keinen Fall fragen dürfe; und Fragen, die nun überhaupt nicht gingen, vor allem zu persönliche. Ob das denn soweit klar sei, wollte Ms. Diane dann wissen, und diverse deutsche Journalisten, die um einen großen Tisch herumsaßen und sich zuvor eifrig Notizen in Notizbücher gemacht hatten, nickten ergeben.
Ich saß auf einem schwarzen Ledersessel und nickte wie benommen mit im Chor.
Nur Sekunden später hatte ich die große Freude, von Ms. Diane in ein persönliches Gespräch verwickelt zu werden. Ich vermutete, dass es um eine Relativierung einer ihrer Aussagen bezüglich der Charaktereigenschaft deutscher Staatsbürger gehen sollte. Ich war nämlich verspätet im Hotel angekommen und hatte Ms. Diane tuschelnd mit einem schwarzen Hulk erwischt, der ein Kreuz hatte wie ein Schiff. Beide hatten sich darüber beschwert, dass zum heutigen Interviewtermin ausschließlich deutsche Journalisten zugelassen seien, was offenbar eine Schande war, jedenfalls kamen beide zu dem Schluss, dass ein unglaublich langweiliger Tag bevorstehe.
Was hatte ich bloß falsch gemacht?
Ich lag allerdings falsch: Ms. Diane befahl, dass ich der letzte in der Reihe der vorgelassenen Journalisten sei. Obwohl ich sogar etwas größer war als sie, schaffte sie das Kunststück, abschätzig von oben herab an mir herunterzusehen.
Ich solle mich mal umsehen
Tat ich.
und mir dann überlegen, woran das liege.
Hinter mir standen: eine Journalistin im Hosenanzug. Ein Autor im schwarzen Dreiteiler. Ein Redakteur im sportlich-legeren Look, der Jeans mit Sakko kombiniert hatte, wie drei Viertel aller Medienmenschen. Und ein Privatradiomann mit weißen Socken. Ich will das jetzt nicht so sehr auswalzen, aber ich hatte wohl diverse Fehler gemacht.
(Also gut, ich vermute wie folgt:
1. Ich trug einen sehr ausgewaschenen Mickey-Maus-Pullover nebst dreckiger Jeans,
2. Ich hatte in dieser Kleidung geschlafen,
3. Beides roch nach Erbrochenem,
4. Ich hatte weder Stift noch Zettel dabei,
5. Als ich es geschafft hatte, mir ersteres bei der Kollegin im Hosenanzug auszuleihen, schrieb ich mir Notizen auf die Hand, was mir wohl in der Tat einen wenig professionellen Touch verlieh,
6. Weil ich das merkte und mir auch über die begrenzte Aufnahmefähigkeit meiner Hand bewusst wurde, wechselte ich schließlich zu einer Papierserviette,
7. Ich wurde mir dann klar darüber, dass, wenn Nelly Furtado unter Umständen etwas zu sagen hatte, das von Relevanz war, eine Serviette viel zu klein war, weswegen ich mir alle Servietten aus dem Serviettenhalter nahm und sie vorsorglich in meine rechte Hosentasche steckte,
8. Die Papierservietten in meiner Hose sahen aus wie ein Riesenpenis und
9. Ich war fälschlicherweise von der Annahme ausgegangen, dass ein Witz, der das Themengebiet "Riesenpenis" abdeckte, dazu beitragen würde, mir diese Schwäche nachzusehen.)
Die Gespräche begannen. Ich rundete die Wartezeit mit einem Gang zum Klo ab.
Ich war eigentlich im Urlaub. Ich bereiste die englische Hauptstadt, weil ich bei einem Freund zum Geburtstag eingeladen war. Geplant als kleiner Umtrunk, wuchs die Veranstaltung schnell zu einem Treffen heran, bei dem alle Anwesenden irgendwann sentimental wurden. Am Ende war es so sentimental, dass jeder Anwesende allen anderen Anwesenden seine Liebe erklärte, wobei man sich mit ernster Mine versicherte, natürlich nicht schwul zu sein, trotzdem aber mal loswerden wolle, dass man sich sehr möge. Dann wurde geschwiegen. Man verstand sich von nun an blind. Gegen drei Uhr morgens begann ich, mich ausdauernd zu übergeben. Irgendwann schlief ich röchelnd auf einer Eckbank in der Küche ein.
Nelly ist da, und gleich auch diese Sekundenverliebtheit
Am nächsten Morgen klingelte mich das Telefon wach. Ich roch nach kaltem Rauch, Alkohol und Erbrochenem gleichzeitig und hatte Kopfschmerzen. Ein Medienmensch aus Hamburg lachte voller Sonnenschein ins Telefon. Er wollte, dass ich zu Nelly Furtado fahre.
Es war nun so, dass ich gänzlich unerfahren war in Nelly-Furtado-Dingen - hatte sie nicht irgendwas mit Portugal zu tun? Der Medienmensch schien in Not, er drängelte und erhöhte das Honorar, also sagte ich zu. Weil der Zeitplan sehr sportlich war, konnte ich nicht mal duschen. Was soll's, stank ich halt. So ist er eben, der Rock'n'Roll, dachte ich, das werden Musiker schon verstehen.
Als ich in die Bahn stieg, hatte ich sofort angenehm viel Platz um mich herum. "Hallo", säuselte ich, als ich das Hotel betrat. Ich atmete einen Schwung Verwesung aus und bewunderte die Angestellten für ihre Contenance.
Irgendwann war ich dann dran mit dem Interview. "Schön, dich zu treffen", sagte Nelly Furtado. Sie kam mir entgegen gesprungen wie ein junger Hund. Vermutlich nur um das Eis zu brechen, sagte sie: "Schöner Pullover", aber das reichte, um mich in eine Sekundenverliebtheit zu versetzen. Ich gab das Kompliment zurück und lobte ihr Kleid (eigentlich ihren Ausschnitt, aber das habe ich so nicht gesagt).
Wir nahmen Platz. Sie sah mich fordernd an. Kein Wunder, außer Begrüßungsfloskeln hatte ich bisher noch nichts gesagt. "Äh", sagte ich, "erzähl doch mal was von deiner neuen Platte".
Ich bin sicher, dass sie von meinem innovativen Interviewkonzept überrascht war. Sie fragte, was genau ich wissen wolle, und ich erwiderte, dass grundsätzlich alles für mich von Interesse sei. Ich habe vergessen, wie es dann tatsächlich losging, aber das tat es. Im Laufe des Gesprächs sagte sie doch tatsächlich, dass sie Krieg doof finde, und intolerante Menschen seien auch schlecht. Überhaupt diene ihre Musik dazu, dass der Zuhörer sich erfreue und die Welt ein besserer Ort werde.
Freiwillig in Deutschland war wohl niemand
Ungefähr zu der Zeit sah ich zum ersten Mal aus dem Fenster. Manchmal sei sie so frustriert, wenn sie Nachrichten höre, weil die Welt so schrecklich sei. Kindersoldaten fand sie auch schrecklich, natürlich Darfur, ganz schlimm, aber das gehört ja mittlerweile zum guten Ton. Ich malte Kringel auf meine Papierserviette. Außerdem ein Haus mit Schornstein und drei Laubbäume.
Obwohl jeder merkte, dass unser Gespräch nicht vor Esprit gesprüht hatte, wurde ich danach noch zum Essen eingeladen. Es gab Entenbrust. Die Tischregie hatte mich genau neben Nelly Furtado platziert. Der schwarze Hulk saß mir gegenüber. Er stellte sich als Mitarbeiter einer Plattenfirma aus New York heraus, der Deutschland ("regnet immer"), dem deutschen Fußball ("langsam und uninspirierend") und deutschen Lebensmitteln ("fettig") gegenüber eher skeptisch eingestellt war - was er sogleich verkündete, als alle am Tisch Platz genommen hatten.
Alle sahen ihn an, überlegten kurz und nickten dann zustimmend.
Zum Thema des Tages wurde, dass, hätte man keine gesellschaftlichen oder familiären Verpflichtungen, man schon lange aus Deutschland ausgewandert wäre. Freiwillig schien niemand da zu sein.
Der Lokalradiovertreter beschwerte sich über das deutsche Spießertum, die Frau über die Verklemmtheit, der Sakkomann über die deutsche Großmannsucht und das Elitedenken. Der Anzugträger widersprach sofort und behauptete das Gegenteil und meckerte über die grenzenlose Dummheit, die deutsche Politik, den fehlenden Humor. Der Sakkomann merkte dann an, dass richtig gute Musik nie aus Deutschland komme - und diese ganzen Versuche, auf Deutsch zu singen, schrecklich, da müsse man sich nichts vormachen, das klinge doch immer so verkopft. Die deutsche Sprache sei eben einfach nichts für den Rock'n'Roll.
Nelly verschwand, ich aß ihre Entenbrust
Ein beliebtes Wort, das im Minutentakt aufgerufen wurde, war: unlocker. Südeuropäer dagegen, die seien immer so locker, sagte die Hosenanzugfrau. Gerade die Portugiesen, pflichtete der Sakkoträger bei und zwinkerte Nelly Furtado zu, ganz tolle Menschen seien das, nicht so miesepetrig.
Ich stöhnte.
Alle sahen mich an.
Ich begann zu schwitzen, ich fühlte mich so unaufgeräumt wie ein Sack ungewaschener Wäsche. Mir fiel überhaupt nichts ein. Bis auf ein einziges Wort: Erdbeermarmelade (ich weiß wirklich nicht warum, aber ich musste plötzlich daran denken, dass ich im letzten Sommer massenweise Erdbeermarmelade eingekocht hatte). Ich sagte: "Ich koche gerne Erdbeermarmelade ein." Außerdem, um einen Kontrastpunkt zu setzen: "Das geht immer recht locker (!!!) von der Hand."
Stille. Niemand sagte etwas. "Erdbeermarmelade" in einer sich selbst geißelnden Popjournalistenrunde war offenbar ein böser Fauxpas. Dann sagte Nelly Furtado, dass sie Obst auch gut finde. Sofort begann eine Diskussion über die Nährwerte von Früchten, in deren Verlauf die Teilnehmer laut in Furtados Richtung lachten. Die aß etwa acht Erbsen, verabschiedete sich und verschwand auf ihr Zimmer.
Die Runde sah ihr nach. Ich nutzte die Zeit und aß ihre Entenbrust.
Irgendwann war auch dieser Teil überstanden, die Veranstaltung näherte sich dem Ende. Das sei doch alles ganz gut gewesen, sagte Ms. Diane. Sie sagte: "Sie waren alle so undeutsch." Die Journalisten um mich herum wieherten fröhlich. Ich hatte Angst, dass sie gleich losgaloppierten.
Nur einer, sagte Ms. Diane, der sei doch arg verklemmt gewesen. Sehr unentspannt, richtig unlocker. Sie lächelte mich an.
Dieser Text ist ein Auszug aus Philipp Kohlhöfers neuem SPIEGEL-ONLINE-Buch "Grillsaison - meine Reise durch die Heimat" . Darin beschreibt er höchst subjektiv deutsche Vorlieben und Eigenarten, die ihm im In- und Ausland begegneten.
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