Belästigung und Mobbing Tatort Universität

Das Machtgefälle an Universitäten begünstigt sexuelle Übergriffe und Mobbing. Nur selten werden die Fälle aufgeklärt.
Studenten im Hörsaal

Studenten im Hörsaal

Foto: Rolf Vennenbernd/ dpa

Julia* erinnert sich noch genau an ihren ersten Arbeitstag an einer Münchner Universität - aber es sind keine guten Erinnerungen. Die Bachelorstudentin hatte sich auf ihr freiwilliges Praktikum an einem neuropsychologischen Institut gefreut. Doch schon die erste Begegnung mit ihrem Betreuer, einem wissenschaftlichen Mitarbeiter, gab ihr einen Vorgeschmack auf die kommenden Tage. "Du siehst ja deutlich besser aus, als ich dachte", sagte er, als Julia sich in seinem Büro vorstellte. "Ich dachte, du bist voll hässlich, weil du kein Foto auf dem Lebenslauf hattest." So erzählt Julia heute davon.

Ihre Erlebnisse sind kein Einzelfall in der Wissenschaft. Die #metoo-Debatte über sexuelle Übergriffe betraf bisher vor allem das Film- und Musikgeschäft und die Politik. Doch die Berichte von Studierenden und Promovierenden zeigen, dass auch renommierte Forscher ihre Macht ausnutzen. Gegenüber dem SPIEGEL haben zahlreiche Doktoranden und wissenschaftliche Mitarbeiter von Mobbing und sexueller Belästigung an einem Max-Planck-Institut berichtet. Und an Unis im ganzen Land finden sich Studierende, die Ähnliches erzählen.

Plötzlich liegt die Hand auf dem Knie

Da ist der Fall von Markus*, einem Studenten aus Nordrhein-Westfalen, der gerne schwarze Klamotten trägt. "Ich kam aus der Grufti-Szene", sagt er. Als er sich bei einem Professor für eine Diplomarbeit vorstellte, störte sich dieser an Markus' Kleidungsstil. "Er hat mir gesagt, meine Studienleistungen seien gut. Aber wenn ich meine Arbeit bei ihm schreiben wolle, dürfe ich an der Uni nicht mehr in Schwarz rumlaufen und auch keinen Kontakt mehr zur Grufti-Szene haben. Das war ein Schlag ins Gesicht."

Da ist der Fall von Lisa*, einer Doktorandin aus Niedersachsen. Anfangs verstand sie sich gut mit ihrem Doktorvater. Doch mit der Zeit wurden seine Fragen immer persönlicher, er schickte ihr private Fotos, bat sie, die Beziehung zwischen ihm und ihr in E-Mails zu beschreiben. Als sie sich weigerte, formulierte er die Aufgabe als Arbeitsanweisung und drohte ihr mit negativen Folgen für ihre Promotion.

Und da ist der Fall von Julia. Nach der ersten Bemerkung über ihr Aussehen kommt ihr der Betreuer körperlich immer näher. Zunächst im Rahmen eines neuropsychologischen Funktionstests, den sie mit ihm üben soll - wofür sich beide so dicht gegenübersitzen, dass sich ihre Beine fast berühren. Sie soll ihren Arbeitsplatz in sein Büro verlegen. So könne er ihr mehr helfen, sagt er. Irgendwann fasst er sie an der Schulter an, dann am Knie. "Er hat seine Hand im Gespräch ganz ruhig auf mein Knie gelegt, eine zeitlang dort liegen lassen und dann später wieder weggenommen", erinnert sie sich. "Er hat das ganz selbstverständlich gemacht." Julia ist überrumpelt und lässt ihn gewähren.

Drohungen sind meist gar nicht nötig

Die drei Beispiele sind unterschiedlich, kommen von verschiedenen Universitäten und haben doch eine Gemeinsamkeit: In jedem Fall nutzt ein Wissenschaftler die ihm verliehene Machtposition aus. Das passiere meist nicht plötzlich, sagt Almut Dietrich von der Arbeitsstelle gegen Diskriminierung und Gewalt der Universität Bremen. "Ein schleichendes Ausweiten der Grenze ist in Beziehungen mit Machtunterschieden typisch."

Wenn einer mehr Macht hat als der andere, seien Drohungen - etwa mit einer schlechten Prüfungsnote - meist gar nicht nötig. "Es gibt gerade bei Studienanfängern einen großen Respekt vor allen, die lehren", sagt Dietrich. "Dass die am Ende die Noten geben, ist allen völlig klar."

Mobbing und Belästigung: Was Betroffene tun können

Das Machtgefälle an Universitäten ist groß. Professoren, meist auf Lebenszeit verbeamtet, entscheiden fast im Alleingang über akademischen Erfolg oder Misserfolg. Ob der Student, der eine gute Note in der mündlichen Prüfung braucht, oder die Doktorandin, die hofft, dass ihr befristeter Arbeitsvertrag verlängert wird: Sie alle sind auf das Wohlwollen des Profs angewiesen.

Dass diese Macht von Einzelnen ausgenutzt wird, ist unstrittig. "Grundsätzlich kann es Fälle auf allen Ebenen geben", sagt Karin Amos, Ansprechpartnerin für sexuelle Belästigung an der Universität Tübingen. "Zwischen Kommilitonen, von Mitarbeitern gegen Studierende, aber auch unter Mitarbeitern."

Das Machtgefälle erschwert die Aufklärung

Aber wie häufig kommt so etwas vor? "Von vielen Vorfällen werden wir nie erfahren", sagt Dietrich. Die Dunkelziffer sei hoch. Die Statistiken der Universitäten über Beschwerden sind deshalb nicht aussagekräftig. Repräsentative Studien für ganz Deutschland gibt es nicht.

Orientierung, zumindest für sexuelle Übergriffe, bietet eine Untersuchung der Ruhr-Universität Bochum aus dem Jahr 2012. Grundlage dafür war eine nichtrepräsentative Befragung von 12.663 Studentinnen in Deutschland. Rund jede vierte Befragte gab an, während ihres Studiums einen Übergriff durch eine Person aus dem Umfeld der Hochschule erlebt zu haben. Vor allem Kommilitonen wurden genannt. Lehrende sind der Befragung zufolge für rund zehn Prozent der sexuellen Belästigungen verantwortlich; bei sexueller Gewalt sind es sieben Prozent, wie die Grafik zeigt:

Das klingt auf den ersten Blick nach wenig. Allerdings machen Lehrende - verglichen mit der großen Zahl der Studenten - auch nur einen kleinen Anteil der Menschen an den Hochschulen aus. Und die Auswirkungen für die Betroffenen sind weitreichend. "Ich konnte nicht mehr produktiv arbeiten", sagt die Doktorandin Lisa. "Ich habe mich gefragt, ob ich etwas falsch gemacht habe. Ob er vielleicht den Eindruck bekommen konnte, dass ich eine Beziehung will. Das hat mich ziemlich aus der Bahn geworfen."

Das Machtgefälle in der Forschung begünstigt nicht nur Übergriffe - es erschwert auch die Aufklärung. "Eine Beschwerde gegen einen Professor ist deutlich schwieriger als gegen einen Kommilitonen", sagt die Bremer Beraterin Dietrich. Viele Studentinnen rechneten sich nur geringe Chancen aus, mit einer Beschwerde gegen einen Lehrenden Erfolg zu haben, stellten auch die Bochumer Forscher in ihrer Studie fest. "Vielmehr befürchteten sie massive Nachteile für ihre berufliche Zukunft", schreiben die Wissenschaftler.

Weil viele Betroffene vor einer offiziellen Beschwerde zurückscheuen, suchen Beratungsstellen nach anderen Wegen, den Opfern zu helfen. "Wir versuchen, persönliche Gespräche zu führen, eine Vermittlerrolle einzunehmen", sagt die Tübinger Professorin Amos. "Bei einer Promotion kann es auch helfen, den Betreuer zu wechseln oder einen externen Gutachter dazuzuholen." Es dürfe aber keine Automatismen geben. "Der oder die Betroffene muss immer selbst entscheiden, was die beste Lösung ist - und das können je nach Einzelfall ganz unterschiedliche Dinge sein."

"Ich hatte Angst, dass mein Ruf darunter leidet"

Auch Lisa beschwerte sich nie offiziell über ihren Doktorvater. "Ich hatte Angst, dass mein Ruf darunter leidet", sagt sie. Stattdessen sprach sie mit ihrem Freund, ihrer Familie und wendete sich an die psychosoziale Beratung ihrer Uni. "Das hat mir sehr geholfen, dass jemand Drittes sagt: 'Das ist nicht richtig, was dir da passiert.'" Schließlich wechselte sie den Betreuer für ihre Doktorarbeit. Mit ihren Kollegen hat sie nie über die Gründe gesprochen.

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Seit Jahrzehnten ist bekannt, dass es Übergriffe an Universitäten gibt, doch an den Machtstrukturen hat sich wenig geändert. In den Neunzigerjahren wandten sich mehrere Betroffene mit ihren Fällen an die Presse. Die Universität Bremen richtete 1992 als bundesweit erste Uni eine Anlaufstelle für sexuelle Belästigung ein. Viele Hochschulen folgten diesem Beispiel, richteten eigene Beratungsstellen ein und formulierten Leitlinien für den Umgang mit Belästigung und Missbrauch. Aber reicht das?

"Viele Studierende wissen von den Beratungsangeboten gar nichts", kritisiert Lukas Behrens, Anti-Mobbing-Beauftragter des Asta der Universität Münster. Behrens wünscht sich eine deutlich aktivere Informationspolitik vonseiten der Hochschulen. Auch die Verfasser der Bochumer Studie meinen, die Maßnahmen müssten über die Optimierung von universitätsinternen Beratungsstellen deutlich hinausgehen.

Die Studentin Julia teilt diese Einschätzung. Sie ist zum Zeitpunkt des Gesprächs mit dem SPIEGEL an einer US-Universität, wieder für ein Forschungspraktikum. "Hier erhalten alle Mitarbeiter und Studenten regelmäßig E-Mails, sowohl mit aktuellen Vorfällen als auch möglichen Ansprechpartnern", erzählt sie. "So was habe ich an einer deutschen Uni noch nie bekommen."

*Der Name wurde geändert.

Mitarbeit: Kristin Haug, Boris Kartheuser
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