Doppelter Abijahrgang in NRW Schulleiter warnen vor "verlorener Generation"

Abiturienten in NRW (Archiv): Gibt es genug Studienplätze?
Foto: DDPDie Methode Brandbrief kennt man sonst eher von Schulleitern und Lehrern in Problemkiezen: Sie klagen dann über zu wenig Personal, zu aggressive Schüler, die Vernachlässigung durch die Politik oder über runtergekommene Schulen. In Nordrhein-Westfalen haben sich nun jedoch Gymnasiallehrer für die Methode entschieden - und zwar aus Angst davor, dass ihre Schützlinge keinen Studienplatz finden.
Denn durch die Umstellung der Gymnasialzeit von neun auf acht Jahre müssen die Hochschulen 2013 mit mehr Abiturienten rechnen als in den Vorjahren. Und nicht nur Schüler und Eltern sind besorgt und fragen: Wird es ausreichend Studienplätze für alle Bewerber geben? Zehn Bochumer Schulleiter fordern in ihrem Brief an das Wissenschaftsministerium nun klare Antworten.
Die Rektoren reagieren damit auf einen Bericht der "Westfälischen Rundschau" aus dem Februar. Dort hieß es, NRWs Hochschulen würden sich durch die Einführung höherer NCs gegen den doppelten Abiturjahrgang abschotten. Die Schulleiter befürchten nun, dass viele ihrer Abiturienten leer ausgehen könnten. Ein Abschluss mit der Note 2,0 reiche unter Umständen nicht mehr aus, um einen Studienplatz zu erhalten.
Die Verunsicherung bei den Schülern sei groß, "manchmal ist es durchaus schon Resignation oder Wut", heißt es in dem Brief. Viele würden sich als "betrogene Versuchskaninchen" fühlen. "Was sollen wir ihnen antworten?", fragen deshalb die Lehrer. "Welche Perspektiven können wir ihnen aufzeigen?"
Wie bereitet sich NRW auf die Neustudenten vor?
Dirk Gellesch, Schulleiter des Graf-Engelbert-Gymnasiums in Bochum, hat das Schreiben mitinitiiert und verfasst. 165 Schüler machen dieses Jahr an seinem Gymnasium ihr Abitur. Die Sorgen und Ängste der angehenden Abiturienten erlebt er hautnah mit.
Damit aus ihnen keine "verlorene Generation" werde, müsse das Land jetzt mehr Geld in die Hochschulen stecken. "Das sind keine Kosten, sondern Investitionen", so der Schulleiter. Nicht nur 2013, sondern auch in den Folgejahren müsse es ein größeres Studienangebot geben, um mit der "Bugwelle" des Doppeljahrgangs fertig zu werden.
Wissenschaftsministerin Svenja Schulze hat mittlerweile auf den Brief reagiert. Am 6. Mai veranstaltet sie gemeinsam mit den Gymnasien einen Informationsabend an der Hochschule Bochum. Den "Unsicherheiten und Ängsten" der Schüler wolle man so "mit Informationen und Fakten begegnen". Schon jetzt versichert sie aber: NRWs Hochschulen seien auf die steigende Studiennachfrage gut vorbereitet.
Es sei zusätzliches Personal eingestellt, gebaut und modernisiert worden. Mensen und Wohnheimkapazitäten wurden erweitert. Auch eine Abschottung der Hochschulen will man beim Ministerium nicht bestätigen. Im Gegenteil: Die Hochschule Westfalen werde in den nächsten Jahren mehr als 1600 zusätzliche Studienplätze schaffen. Die Universität Duisburg-Essen erhöhe ihre Studienplatzzahlen in diesem und im kommenden Jahr um jeweils 50 Prozent.
Darüber hinaus würden weit weniger zusätzliche Studienanfänger an die Universitäten strömen als von vielen befürchtet. Da zwar die Gymnasien vom G8 betroffen sind, nicht aber die Gesamtschulen und Berufskollegs, kalkuliert das Schulministerium nur mit einem Plus von rund 45.000 Studienberechtigten, etwa 25 Prozent mehr als in einem normalen Abi-Jahrgang.
Kein Grund zur Sorge also? Dirk Gellesch ist noch nicht überzeugt. "Ich lese viel über zusätzliche Studienplätze", sagt der Schulleiter. "Die Frage ist aber auch, wie sie vergeben werden." Trotzdem ist er erleichtert über die Gesprächsbereitschaft des Ministeriums. Bei dem Brief sei es schließlich nicht darum gegangen, einen Schuldigen zu finden - sondern Antworten zu bekommen.