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Rumänische Diplomfabrik: Dubiose Abschlüsse, zehntausendfach

Foto: DIETHER ENDLICHER/ AP

Dubiose Privat-Uni Ceausescus Schergen betreiben Diplom-Fabrik

Titelflut aus Rumänien: Eine Privat-Uni mit Filialen in New York, Toronto und auch in Berlin vergab Zehntausende Abschlüsse unter verdächtigen Bedingungen. Jetzt regt sich Widerstand gegen die Fließband-Akademiker - Kritiker sehen geschäftstüchtige Alt-Kommunisten am Werk.

Sie gaben sich alle Mühe, ihn zu erniedrigen und mundtot zu machen. Lehren durfte der rumänische Kunsthistoriker Andrei Plesu, ein bekannter Gegner der Diktatur Nicolae Ceausescus, schon lange nicht mehr, publizieren auch nicht. 1988 warfen sie ihn aus seinem Institut in Bukarest und versetzten ihn in ein Kaff: Einer der bedeutendsten Intellektuellen des Landes wurde zum Bibliothekar degradiert.

Noch immer erinnert sich Plesu daran, kann erzählen, wie sie gegen ihn vorgingen - und vor allem, wer ihm damals drohte. Zwar stieg Plesu nach dem Ende des Regimes zum Kultur- und Außenminister auf, doch auch seine Gegner von damals haben eine erstaunliche Karriere gemacht. Sie bringen das rumänische Bildungssystem in Verruf, vor allem durch eine Privat-Uni, die in den vergangenen Jahren Zehntausende Diplome unter dubiosen Bedingungen vergab. Eine Titel-Fabrik, geführt von kommunistischen Ex-Kadern. Auch deswegen will Plesu nicht vergessen, nicht schweigen.

Der Mann, der ihm damals zuvorderst gedroht haben soll, heißt Aurelian Bondrea. Er beaufsichtigte im kommunistischen Rumänien das akademische Personal, ein Zögling der Diktatorengattin Elena Ceausescu. Es heißt, er habe der Frau, die gerade mal vier Klassen einer Dorfschule absolviert hatte, ihren erschwindelten Doktortitel in Chemie beglaubigt.

"Unkraut in unserem sozialistischen Garten"

Seinen eigenen Doktor hatte Bondrea in marxistisch-leninistischer Philosophie an der Parteihochschule gemacht. Den Regimegegner Plesu soll er zu zwingen versucht haben, seine Kontakte zu ausländischen Diplomaten abzubrechen. Plesu sagt, er erinnere sich, von Bondrea beschimpft worden zu sein: "Du bist Unkraut in unserem sozialistischen Garten."

Nach dem Ende der Diktatur mutierte der kommunistische Bildungsbürokrat Bondrea zum Vater des privaten Hochschulwesens in Rumänien: Er gründete die Spiru-Haret-Universität, mittlerweile eine der größten Privat-Unis Europas mit Außenstellen in New York, Berlin, Toronto. Vor rund zwei Jahren hatte die Hochschule nach eigenen Angaben über 300.000 Studenten in aller Welt.

Merkwürdigkeiten gab es von Anfang an. Eine staatliche Zulassung erhielt die Uni erst im Jahr 2000, knapp zehn Jahre nach ihrer Gründung. Viele ehemalige Chargen der Diktatur fanden als Dozenten Unterschlupf. Viele Studiengänge waren bei der staatlichen Agentur für Hochschulaufsicht nicht akkreditiert. Ohne Genehmigung des Bildungsministeriums wurden Fernstudienzentren gegründet, die Zahl der Abschlüsse ging bald in die Zehntausende.

Die umtriebige Privat-Uni setzte auf Discount-Konditionen - geringe Studiengebühren, wenig Lehrpersonal, viel Fernstudium. Und offenbar auf sehr gute Kontakte.

"Geschäftsmodell recycelter kommunistischer Kader"

Plesu und viele andere namhafte Akademiker sehen durch die Privat-Uni das gesamte rumänische Hochschulwesen diskreditiert. "Das ist einer der größten Skandale im postkommunistischen Rumänien", sagt Andrei Plesu. "Wie kann es sein, dass ein Mann wie Aurelian Bondrea und eine Institution wie seine Uni einfach so überleben?" Es sei ein Rätsel, woher Bondrea das Geld für die Gründung hatte, wie er sein Netzwerk geschaffen habe und warum er so unangreifbar scheint. Bislang scheiterten alle Versuche, die Spiru-Haret-Uni schließen zu lassen. Die zuständige Behörde rang sich jetzt gerade mal dazu durch, die Hochschule evaluieren zu lassen. Das Ergebnis war vorhersehbar: bis auf Kleinigkeiten alles ok.

Rumänien habe eine unüberschaubare Masse an Akademikern mit "zweifelhaftem Ausbildungsstand" produziert, urteilt Cristian Pârvulescu, Dekan der Fakultät für Politische Wissenschaften an der "Nationalen Schule für politische und administrative Studien". Er nennt die Spiru-Haret-Uni schlicht ein "Geschäftsmodell recycelter kommunistischer Kader".

"Die Gehälter an privaten Unis hängen von der Anzahl der Studenten ab", sagt Pârvulescu. Weil an der Spiru Haret in Spitzensemestern 148 Studenten auf eine Mitarbeiter kamen, lohnt sich das Geschäft besonders. Mit niedrigen Gebühren von 500 Euro pro Jahr lockt die Uni möglichst viele Möchtegernakademiker im In- und Ausland an.

Lange Zeit unternahm der rumänische Staat nichts. Bis im Bildungsministerium im Sommer 2009 ein Antrag der dubiosen Fließband-Uni einging: Die Hochschule wollte im laufenden Studienjahr auf einen Schlag 56.000 Abschlussdiplome staatlich beglaubigen lassen.

Die damalige Bildungsministerin Ecaterina Andronescu entschloss sich, der "Diplom-Fabrik" die Akkreditierung zu entziehen. Außerdem forderte sie, dass die vielen diplomierten Absolventen ihre Prüfungen binnen fünf Jahren vor einer staatlichen Kommission wiederholen sollten.

Vor allem die unseriösen Fernstudien-Angebote waren der Ministerin aufgefallen. "Viele dieser Absolventen haben ihre Lehrer niemals getroffen", sagt Andronescu, "sie haben ihre Prüfungen mal mit, mal ohne Aufsicht vor einem Computer abgelegt, anhand von Tests, die mal online, mal offline waren."

Viele Politiker schmücken sich mit Spiru-Haret-Titeln

Andronescu, mittlerweile Rektorin der Polytechnischen Universität Bukarest und Vorsitzende der rumänischen Rektorenkonferenz, scheiterte mit ihrem Vorstoß. Ihre eigene Partei, die wendekommunistische Sozialdemokratische Partei (PSD), zwang sie zu einem Rückzieher. Viele Mitglieder der politischen und ökonomischen Elite haben selbst Spiru-Haret-Titel erworben.

Es wurde lediglich beschlossen, die Hochschule drei Jahre lang staatlich zu überwachen - theoretisch. Praktisch wurde auch daraus nichts. Mal vergaßen die Behörden, die "methodologischen Normen" ihrer geplanten Evaluierung auszuarbeiten, dann wieder verhinderten Anwälte eine Überprüfung der Hochschule. Dass die Spiru-Haret-Führung nun einer Evaluierung durch die Agentur für Hochschulaufsicht zugestimmt hat, kommentiert Andronescu mit einem skeptischen Lächeln. Wie die Bewertung der Hochschule abläuft, was die Maßstäbe sind - auch drei Jahre nach der Anordnung gibt es dafür keine Regeln, teilt die Hochschulaufsicht mit. Hinzu kommt: Ein neues Bildungsgesetz aus dem Januar 2011 hebt alle Anordnungen in Bildungsfragen auf, die Pflicht zur Evaluierung besteht also gar nicht mehr.

Von der Spiru-Haret-Universität selbst ist eine Stellungnahme nur mit Mühe zu erhalten. Der Gründer Bondrea und sein Sohn, der die Universitätsleitung vor zwei Jahren übernommen hat, verschieben Termine immer wieder, bis sie schließlich gar nicht mehr zu sprechen sind. Auf Anfragen an die Pressestelle reagieren sie nicht. Sie schicken den Prorektor Doinel Dinuica vor, einen ehemaligen Armeeoffizier und gelernten Juristen, Ex-Mitarbeiter der Abteilung "Geheime Dokumente" im Justizministerium, der dann Karriere in der Militärjustiz machte. 2004 erhielt er ohne die dafür vorgeschriebene Prüfung ein Diplom, das ihn zur Ausübung des Notaramtes ermächtigte. Zwei Jahre später wurde ihm das Diplom wieder entzogen.

Fragen muss man vorab schicken. Prorektor Dinuica liest die Antworten dann von einem Zettel ab, das Interview ist eine Farce. In der einzig frei formulierten Passage spricht er davon, dass hinter den Angriffen schlicht Neid stecke. "Wir haben die größte Zahl der Studenten, die größte akademische Gemeinde Europas und eine Blackboard-E-Learning-Plattform für Fernstudien wie sonst nur die besten Unis der Welt. Unser Erfolg hat andere gestört." Die Vorwürfe weist er zurück. Dinuica lehnt sich entspannt zurück und lächelt.

Auch im Ausland hat die geschäftstüchtige Privat-Uni bereits Lobbyarbeit betrieben. In Berlin hat sie eine Filiale in der Friedrichstraße, Ecke Oranienburger Straßen, mitten im Herzen der deutschen Hauptstadt. In den Schaufenstern hängen Poster und Fahnen. Derzeit ist das Zentrum geschlossen, telefonisch wimmelt eine Dame Interviewanfragen ab.

Als die Berlin-Filiale 2009 eröffnet wurde, hielten zwei deutsche Politiker Festreden: Die SPD-Bundestagsabgeordnete und Vorsitzende der deutsch-rumänischen Parlamentariergruppe Susanne Kastner, sowie ihr Stellvertreter, der FDP-Mann Joachim Günther. Kastner lobte die deutsche Spiru-Haret-Expansion. Mittlerweile gab sie an, erst später erfahren zu haben, wer Bondrea sei. Man könne als Politikerin nicht immer alles überprüfen. Das Thema scheint ihr peinlich.

Ihrem Kollegen Günther von der FDP ist es nicht peinlich."Wir haben als Parlamentariergruppe, wenn wir nach Rumänien kommen, immer zu irgendwelchen Leuten Kontakt, das ist doch nichts Anrüchiges."

Rumäniens frühere Bildungsministerin sieht die Privat-Uni-Leute da weitaus skeptischer: "Vor allem im Ausland gerät unser Hochschulwesen als Ganzes in Verruf." Dem rumänischen Botschafter in Deutschland verbot sie damals, an der Eröffnung der Uni-Filiale in Berlin teilzunehmen. Sie wollte die Veranstaltung nicht auch noch offiziell adeln.

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