Ein Brite gesteht Sorry, unsere Uni-Rankings waren Quatsch

Höchst selbstbewusst stellt das "Times"-Ranking seit sechs Jahren die besten Unis der Welt vor. Höchst selbstkritisch sagt jetzt der Macher der Liste, dass die bisherigen Rankings beinahe wertlos waren und zu wenige Hochschullehrer befragt wurden - aus Deutschland nicht einmal 200.
Phil Baty arbeitet beim britischen Magazin "Times Higher Education" - und ist mit den bisherigen Rankings sehr unzufrieden

Phil Baty arbeitet beim britischen Magazin "Times Higher Education" - und ist mit den bisherigen Rankings sehr unzufrieden

Foto: Peter Searle

Hochschul-Ranglisten gibt es in Deutschland seit gut 20 Jahren, einige internationale Rankings kommen hinzu. Sie sind so folgenreich wie umstritten: Gute oder schlechte Platzierungen können an Universitäten zu starken Schwankungen der Bewerberzahlen führen - was die Finanzierung dort, wo hohe Studiengebühren fällig werden, direkt beeinflusst. Für Hochschullehrer ist der Ruf einer Hochschule ein Entscheidungsfaktor in ihrer Karriereplanung, und auch die Politik bleibt nicht unbeeinflusst von Ranking-Ergebnissen.

Wie die Leistungen in Forschung und Lehre erfasst, nach welchem Schema sie gewichtet werden, das ist für die Hochschulen von hoher Bedeutung. Bei Professoren hat sich viel Groll und Frust angestaut. Dass nun aber ein Macher einer wichtigen internationalen Rangliste das Werk seines Arbeitgebers attackiert, ja regelrecht zerlegt, ist neu: "Ich muss Ihnen ein Geständnis machen", beginnt Phil Baty, stellvertretender Herausgeber des britischen Hochschulmagazins "Times Higher Education", sein Bekenntnis. Das Ranking, auf das seit 2004 viele Unis auch in Deutschland jeden Oktober gespannt warten, habe bislang "schwerwiegende Mängel aufgewiesen", schreibt Baty in der Wochenzeitung "Die Zeit".

Baty trägt seit 2009 die Verantwortung für das weltweite Uni-Ranking der "Times". Erst dann hätten er und seine Kollegen die Daten, auf denen die Rangliste basierte, komplett auf den Prüfstand gestellt - und "was wir dabei feststellten, gefiel uns ganz und gar nicht". Auf Anfrage von SPIEGEL ONLINE schreibt Baty in einer E-Mail, es habe sich der Verdacht erhärtet, "dass die Rankings, die wir in unserem Namen veröffentlicht hatten, nicht solide waren".

"Lächerliche 182 Antworten als Rücklauf"

Zahlreiche Beschwerden über die Daten und die Methodik von Wissenschaftlern und Hochschul-Chefs hätten den Verlag erreicht, besonders in jüngerer Zeit. "Wir kamen zu dem Schluss, dass ein Großteil der Kritik berechtigt war", so Baty zu SPIEGEL ONLINE.

Das Hauptproblem, schreibt der reuige Ranking-Macher in der "Zeit", stecke im sogenannten Peer Review, also der Befragung von Wissenschaftlern, welche Hochschule sie in ihrem Land für spitze halten. Fast die Hälfte ihrer Punkte, nämlich 40 Prozent, erhielten die Universitäten über die Einschätzung der Fachwelt - doch was, wenn diese "Fachwelt" nur einen sehr kleinen Ausschnitt umfasst?

Als Baty sich die Datenbasis früherer "Times"-Rankings ansah, wurde er wohl blass: 2008 etwa habe das Gesamtergebnis auf der Rückmeldung von 3500 Wissenschaftlern beruht - einem "Bruchteil von Millionen Wissenschaftlern in aller Welt", räumt Baty zerknirscht ein. So waren es selbst aus Großbritannien nur Antworten von 563 Hochschulmitarbeitern.

Aus Deutschland - "ich schäme mich fast, es zuzugeben", so Baty - kamen "lächerliche 182 Antworten als Rücklauf". Deutschland hat immerhin fast 400 Hochschulen mit über 13.000 Studienangeboten. Da sind Einschätzungen von 182 Wissenschaftlern ziemlich mickrig - zumal dann, wenn sie den Ruf anderer Hochschulen beurteilen sollen, die sie häufig nur vom Hörensagen kennen.

Batys Vorwurf: Die geringe Zahl der Befragten habe zu dramatischen Sprüngen geführt, als etwa die FU Berlin im Vergleich zu 2008 binnen Jahresfrist um 43 Plätze nach oben schnellte - oder auch die RWTH Aachen, die sich vom Platz 216 auf Rang 182 verbessern konnte.

Hart ins Gericht geht Baty mit dem Dienstleister, der die Umfragedaten bis 2009 an den Verlag lieferte. Dieser reagierte inzwischen auf Batys Vorwürfe, wies sie zurück - und teilte mit, im Jahr 2009 habe die Untersuchung auf 9386 Antworten von Wissenschaftlern basiert. Auf nähere Fragen von SPIEGEL ONLINE zu den geringen Zahlen in einzelnen Ländern ging das Unternehmen nicht ein.

Wird künftig alles gut?

Künftig solle alles besser werden, gelobt der Herr des "Times"-Rankings. Man werde deutlich mehr Stimmen einholen, von den Befragten werden nur noch Urteile über ihre eigenen Fachbereiche gesammelt. Auch soll ein größeres Augenmerk auf die Geistes- und Sozialwissenschaften gelegt werden. Das Magazin will die Leistungen in Forschung und Lehre präziser erfassen und etwa die "unterschiedlichen Zitiergewohnheiten der Disziplinen berücksichtigen".

Die muntere öffentliche Selbstkritik des britischen Magazins ist ungewöhnlich und bemerkenswert. Sie dürfte aber auch Wasser auf die Mühlen jener Kritiker sein, die Uni-Rankings allenfalls als eine Art Gesellschaftsspiel der akademischen Welt sehen - oder generell für lästig, wissenschaftlich wertlos, für Schmu halten. Die Kriterien der nationalen und der internationalen Ranglisten ähneln sich. Und jedes einzelne ist diskutabel; die Gesamtergebnisse mit den Auf- und Absteigern, die fürs Publikum am interessantesten sind, erst recht. Meist zählen harte und weiche Faktoren wie diese:

  • Eine verbreitete Messgröße sind die Resultate des "Peer Review". Meist sitzen Hochschullehrer über die Reputation ihrer eigenen und anderer Hochschulen zu Gericht. Anders formuliert: In einer Meinungsumfrage vergeben sie Noten - über Universitäten, über die sie mal viel, mal wenig, mal gar nichts wissen.
  • Ähnliche Befragungen gibt es auch unter Arbeitgebern, unter Absolventen oder den aktuellen Studenten von Hochschulen - mit den gleichen Schwächen wie bei den Professoren-Umfragen.
  • Die Forschung lässt sich leichter in Zahlen und Listen erfassen als die Lehre. Mitunter von Bedeutung sind aktive und ehemalige Forscher, die den Nobelpreis und andere wichtige Wissenschaftspreise gewonnen haben. Beim großen Messen und Wiegen punkten Hochschulen vor allem mit einem hohen Ausstoß von wissenschaftlichen Publikationen und von Veröffentlichungen, die in der Fachwelt häufig zitiert werden. Im Output und im Umgang mit Zitaten unterscheiden sich die Fachkulturen allerdings sehr stark. Und gezählt werden vor allem Artikel in renommierten internationalen Zeitschriften - die fast nie auf Deutsch, Ungarisch oder Japanisch erscheinen: Englisch ist die Lingua franca der Wissenschaft.
  • Auf der Suche nach "harten", also mess- und überprüfbaren Faktoren werden oft das Betreuungsverhältnis zwischen Professoren und Studenten sowie der Anteil ausländischer Studenten und Dozenten einbezogen, manchmal auch die Karriere von Absolventen in Unternehmen. Wer aber als Hochschullehrer gilt, ist in den Ländern recht unterschiedlich. Und nicht zwangsläufig sagt eine geringe Studentenzahl pro Dozent oder ein hoher Grad an Internationalisierung etwas über die Qualität der Lehre aus.

Generell ist die Messung der Leistungen von Hochschulen und Fakultäten alles andere als wissenschaftsfremd. Forscher liefern sich ja jeden Tag nationale wie internationale Wettrennen um Publikationen in Fachmedien oder um die Projektförderung durch Institutionen wie die Deutsche Forschungsgemeinschaft. Auch die Exzellenzinitiative soll den Wettbewerbsgedanken unter Hochschulen noch stärker verankern. Alle Ranglisten indes bewegen sich mitten in der akademischen Welt; jedes einzelne Kriterium, erst recht die Mischung ist angreifbar und wird auch vielfach angegriffen.

Aus kontinentaleuropäischer Sicht besonders ärgerlich ist die angelsächsische Dominanz in den großen weltweiten Rankings: Stets, darauf kann man solide wetten, werden sich Harvard und Yale, Oxford und Cambridge in den Top Five finden. Und ebenso sicher schaffen es nur wenige französische, spanische, deutsche oder asiatische Universitäten auf die sonnigen Plätze. Schon seit längerem strickt darum das Centrum für Hochschulentwicklung im Auftrag der EU an einer eigenen weltweiten Rangliste. Geplante Veröffentlichung: Sommer 2011.

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version dieses Artikels stand, dass die Forscher des Hochschul-Informations-Systems in Hannover ein Ranking im Auftrag der EU entwickeln. Daran arbeitet aber das Centrum für Hochschulentwicklung, wie auch aus dem verlinkten Text hervorgeht. Der Fehler wurde berichtigt, wir bitten um Entschuldigung.

Update: Mehrere Wochen nach Veröffentlichung von Batys Vorwürfen hat der zuständige Dienstleister Batys Vorwürfe zurückgewiesen und Rücklaufzahlen für 2009 genannt. Wir haben den Text aktualisiert.

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