Neue Regeln Unis sollen anonyme Plagiatsjäger ignorieren

Die Deutsche Forschungsgemeinschaft hat neue Empfehlungen zur "guten wissenschaftlichen Praxis" verabschiedet: Anonymen Hinweisen auf Plagiate sollen Prüfer an den Unis demnach grundsätzlich nicht mehr nachgehen.
"Huhu, ich war's": Klarnamenzwang für Whistleblower?

"Huhu, ich war's": Klarnamenzwang für Whistleblower?

Foto: Corbis

Vor Guttenberg, nach Guttenberg - an den Hochschulen und Forschungsinstituten ließe sich eine neue Zeitrechnung einführen. Spätestens seit der Plagiatsaffäre des Ex-Ministers und Ex-Doktortitelträgers von der CSU muss sich die Wissenschaft die Frage gefallen lassen: Tut ihr genug gegen wissenschaftliches Fehlverhalten, Promotionsbetrug und Plagiate?

Jetzt, nach zahlreichen weiteren Plagiatsaffären, Streitigkeiten, Rücktritten, hat die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) und damit eine der wichtigsten Organisationen im Wissenschaftssystem ihre "Empfehlungen zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis" überarbeitet (hier als pdf ). Es sind gewissermaßen die Leitlinien für Unis, wie sie sich bei Verdachtsfällen verhalten sollen und welche Rolle die zuständigen Ombudsleute spielen. Empfehlung ist dabei eigentlich ein Euphemismus: Wer von der DFG gefördert werden will, muss die Vorgaben umsetzen.

Besonders ein Punkt sorgt dabei für Streit und Missverständnisse: der Umgang mit Informanten, Hinweisgebern oder Whistleblowern.

Auf ihrer Jahrestagung hat die DFG nun entschieden, dass anonymen Anzeigen auf wissenschaftliches Fehlverhalten, also etwa auf Plagiate, grundsätzlich nicht nachgegangen werden soll, jedenfalls nicht im Rahmen eines formalen Ombudsverfahrens. "Wir haben anonyme Anzeigen ausgeklammert", sagte DFG-Generalsekretärin Dorothee Dzwonnek.

In der Empfehlung der DFG heißt es: "Grundsätzlich gebietet eine zweckmäßige Untersuchung die Namensnennung des Whistleblowers." Die DFG will also anders verfahren als etwa Finanzämter, die auch anonymen Hinweisen auf Steuerhinterziehung nachgehen. Allerdings, so heißt es bei der DFG, dürfe eine Übeprüfung anonymer Anzeigen durchaus "abgewogen" werden.

Wie viel Anonymität ist nützlich?

Es hört sich nach einem formalen Detail an, doch unter Wissenschaftlern und in einigen Blogs kochte die Aufregung schon im Vorfeld der Entscheidung hoch. Denn bereits im Mai hatte die Hochschulrektorenkonferenz empfohlen, dass sich Hinweisgeber mit ihrem Verdacht nicht an die Öffentlichkeit wenden dürften. Wer es dennoch täte, verhielte sich seinerseits unwissenschaftlich.

Wissenschaftler wie Gerhard Dannemann, Professor für Recht, Wirtschaft und Politik Großbritanniens an der HU Berlin, fürchteten, jede öffentliche Auseinandersetzung mit fragwürdigen Dissertationen solle unterbunden werden - sei es in Form von Rezensionen oder auf Plagiatsplattformen im Internet. "Das wäre absurd", sagt er, "Wissenschaft braucht Öffentlichkeit, auch wenn es manchmal weh tut." Er hat sich deshalb an einer Online-Petition beteiligt , die sich gegen die Empfehlungen von HRK und DFG wendet - und die mittlerweile von über 200 Empörten unterzeichnet wurde.

DFG-Präsident Peter Strohschneider nennt die Kritik "abwegig". Wer sich im Netz oder in Zeitungen zu wissenschaftlichen Arbeiten äußern wolle, könne das jederzeit gerne tun. Nur beim formalen Ombudsverfahren müsse der Hinweisgeber seinen Namen preisgeben - werde aber durch die Vertraulichkeit des Verfahrens geschützt. Außerdem gebe es keinen Zwang, dieses Verfahren zu wählen, sagte Strohschneider. Es gehe aber auch darum, nicht jeder böswilligen Denunziation nachzugehen, durch die Kollegen verunglimpft würden. Generalsekretärin Dzwonnek sekundiert: Eine Anzeige müsse "immer in gutem Glauben" erfolgen.

Denunzianten oder nützliche Hinweisgeber?

Und in der Tat klagen durchaus einige Wissenschaftler, dass der Umgang in den vergangenen Jahren rauer geworden ist - häufiger gebe es unbegründete Anschuldigungen oder Andeutungen, man habe abgeschrieben oder Daten manipuliert. Oft wird so ein Verdacht just dann geäußert, wenn ein Berufungsverfahren ansteht oder eine Beförderung. So könnten Karrieren beschädigt werden, warnt Strohschneider.

Der Initiator der Online-Petition Stefan Heßbrüggen, promovierter Philosophiehistoriker, fürchtet hingegen, die Empfehlungen der DFG würden Whistleblower eher einschüchtern als ermutigen. "Es kommt auf die Formulierungen in dem Papier an und die sind mindestens missverständlich", sagt er. Wer garantiert dem Whistleblower, dass seine Identität wirklich vertraulich behandelt wird? "Ein Hinweisgeber liefert sich der Willkür der Ombudsperson oder der jeweiligen Institution aus", warnt Heßbrüggen. Da sei mindestens problematisch und widerspreche internationalen Standards.

Zu den weniger strittigen Empfehlungen der DFG gehört die Forderung an die Unis, eine Höchstdauer für Prüfverfahren bei wissenschaftlichem Fehlverhalten einzuführen. Denn manch ein Plagiatsverfahren zieht sich über Jahre hin. Generalsekretärin Dzwonnek hält ein Jahr für realistisch. Auch sollen die zuständigen Ombudsleute an den Unis bekannter gemacht werden, etwa durch prominentere Platzierung auf der Webseite.

Im Jahre drei nach Guttenberg ist die Auseinandersetzung damit wohl noch längst nicht zu Ende.

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