Erfolgsmigranten Deutschlands importierte Überflieger

Sie haben bei null angefangen - jetzt sind sie Einser-Abiturienten, Spitzenstudenten, Bildungselite. SPIEGEL ONLINE zeigt Migranten, die es geschafft haben: weil sie kämpfen mussten. Drei Erfolgsgeschichten, die Deutschland eine Lehre sein sollten.
Von Khuê Pham und Jochen Leffers

Der neue Regierungsbericht zur Situation von Ausländern in Deutschland zeichnet ein verheerendes Bild. Vor allem was Bildung und Arbeitsmarkt angeht, sind die Zahlen dramatisch: Rund 40 Prozent der Migranten haben keinen Berufsabschluss, bei den Migranten aus der Türkei sogar 72 Prozent. Und fast jedes fünfte Kind aus Einwandererfamilien verlässt die Schule ohne Abschluss - kein Zweifel, Einwanderer sind die gesellschaftlichen Verlierer.

Das deckt sich mit den Ergebnissen der aktuellen Pisa-Studie. Die Leistungen von 15-Jährigen mit Migrationshintergrund liegen weit unter denen ihrer deutschen Mitschüler - um rund zwei Schuljahre liegen sie zurück. Noch größer ist die Differenz bei Migrantenkindern, die in Deutschland geboren wurde und ihre gesamte Schullaufbahn hier verbracht haben. Pisa zeigt, dass die "zweite Generation" sogar schlechter abschneidet als die erste.

Das frühe Sortieren der Viertklässler auf die weiterführenden Schulen, Sprachdefizite, kaum individuelle Förderung, die Hauptschule als Abstellgleis - für die erschreckende Schieflage im Bildungssystem gibt es eine Reihe von Erklärungen. Dass es an Chancengleichheit fehlt, bezeichnete Bundespräsident Horst Köhler als "unentschuldbare Ungerechtigkeit". Und doch gibt es Einwandererkinder, die alle Bildungsexperten staunen lassen, bei denen Lehrer und Professoren ins Schwärmen geraten.

Sie starten mit Sprachdefiziten in die Schule und kommen bisweilen aus armen Elternhäusern. Trotzdem können sie mit ihren deutschen Mitschülern nicht nur mithalten, sondern übertrumpfen sie scheinbar locker. Ist das pures Talent? Besonderer Ehrgeiz? Schaffen diese Schüler und Studenten es, obwohl sie Migranten sind - oder gerade deswegen?

SPIEGEL ONLINE dokumentiert drei bemerkenswerte Erfolgsgeschichten - die zeigen, welche Schwierigkeiten die Überflieger bewältigen müssen und was sie antreibt:


Für manche Schüler ist ihre ausländische Herkunft offenkundig nicht Stolperstein, sondern eine Extra-Motivation. Diese Bildungsaufsteiger machen ungefähr drei Prozent der Studenten in Deutschland aus, schätzt der Migrationsforscher Ulrich Raiser von der Berliner Humboldt-Universität. Raiser hat gerade ein Buch über erfolgreiche Migranten im deutschen Bildungssystem veröffentlicht und dafür 25 Studenten türkischer und griechischer Herkunft befragt. Sein Fazit: Die Migranten sind die besseren Studenten.

Parole: "Ich muss es schaffen"

Allen Statistiken zufolge ist zwar der Anteil von Einwandererkindern unter den Studenten in Deutschland gering. Aber wenn sie es an die Hochschule geschafft haben, schneiden sie nach Beobachtung von Raiser oft besser ab als Deutsche aus ähnlichen sozialen Verhältnissen. Das liege vor allem an der Einstellung der Eltern: "Deutsche Arbeiterfamilien trauen ihren Kindern nur bei überdurchschnittlicher Leistung zu, aufs Gymnasium zu gehen", sagt er SPIEGEL ONLINE, "bei Migranten ist das anders." Sie trieben ihre Kinder mit besonderem Ehrgeiz schulisch mehr an. Die Erwartungen der Eltern können zum Motor für die Bildungsentwicklung der Kinder werden.

Dass ausländische Eltern so viel Wert auf die Bildung legen, habe einen guten Grund: Sie sehen den schulischen Erfolg ihrer Kinder als Schlüssel zu einem besserem Leben. "Der Traum der Migranten ist der Traum des sozialen Aufstiegs. Das geben sie an ihre Kinder weiter." So angespornt fühlten sich die Kinder verpflichtet, dass das "Einwanderungsprojekt ihrer Familie" Früchte trägt: Sie wollen jede Bildungschance nutzen, um gute Qualifikationen und einen guten Beruf zu erlangen. Raiser bringt ihre Einstellung auf den Punkt: "Ich muss es schaffen."

Der Faktor Familie ich wichtig. Neben engagierten Eltern – manche ziehen extra in "deutsche" Gegenden, um ihren Kindern ein neues Umfeld zu eröffnen - auch die Geschwister eine große Rolle. "Im Gegensatz zu den Eltern kennen die Schwestern und Brüder das deutsche Bildungssystem", sagt Raiser, "so können sie sich gegenseitig unterstützen."

Uni-Stipendien für begabte Migranten

Motivation allein reicht allerdings nicht, um es im selektiven deutschen Schulsystem zu schaffen. Migrantenkinder müssen auch möglichst früh ihren Sprachrückstand aufholen, dem Druck standhalten und die Hürden der Institutionen überwinden. Um eine Gymnasialempfehlung zu bekommen, müssen sie weitaus bessere Leistungen bringen als Kinder aus deutschen Akademiker-Elternhäusern - die Iglu-Studien zu deutschen Grundschülern haben das mehrfach gezeigt.

Inzwischen werden begabte Einwandererkinder mit einigen Projekten unterstützt. So vergibt die Vodafone-Stiftung Stipendien an Abiturienten mit Migrationshintergrund, die an einer privaten Universität studieren wollen, dies aber nicht finanzieren können. "An Privathochschulen sind die Strukturen sehr homogen", sagte Stiftungssprecherin Christiane Reusch SPIEGEL ONLINE, "gerade Migranten kommen in diese Nische nur sehr selten hinein."

20 Stipendiaten fördert die Mobilfunkfirma in diesem zweitem Jahr der Initiative: Die Stiftung übernimmt die Studiengebühren, zahlt den Teilnehmern eine monatliche Unterstützung von bis zu 585 Euro und veranstaltet Bildungsseminare. Die Kandidaten sollen mit ihren Erfolgsgeschichten "als Vorbilder in die Gesellschaft ausstrahlen", sagt Reusch.

Auch die Studienstiftung des deutschen Volkes will sich verstärkt um den ausländischen Nachwuchs kümmern. Jeder Zehnte der 7000 Stipendiaten habe mindestens einen ausländischen Elternteil, sagt Sprecherin Cordula Avenarius. "Das sind wirklich Erfolgsgeschichten - vom afrikanischen Flüchtling bis zum chinesischen Akademikerkind", erzählt sie stolz.

Avenarius beschreibt die Migrantenkinder als gut integriert und oftmals ehrgeiziger als die ohnehin ambitionierten deutschen Studienstiftler. In den Seminaren sollen sie ihre einheimischen Kollegen inspirieren: "Viele unserer deutschen Stipendiaten kommen aus behüteten Familien", sagt Avenarius, "dass sie so mit anderen Menschen zusammenkommen, ist doch eine schöne Sozialisation."

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