Porno-Seminar an der TU Dortmund "Nach drei Sätzen sollte es zur Sache gehen"

In einem Seminar an der TU Dortmund dreht sich alles um Dessous, Orgasmen und Eiswürfel: Ein Dozent für englische Literatur lässt seine Studenten Pornos schreiben. Der Andrang ist enorm.
Porno auf dem Bildschirm: "Wir sind eine sexualisierte Gesellschaft"

Porno auf dem Bildschirm: "Wir sind eine sexualisierte Gesellschaft"

Foto: Marcus Brandt/ picture alliance / dpa

Raum 3.208 der TU Dortmund sieht aus wie viele Seminarräume an deutschen Universitäten: Boden in PVC-Optik, harte Holzstühle, graue Lamellen vor den Fenstern. Null erotische Atmosphäre.

Student Stefan Reiners (Name geändert) kämpft mit dem störrischen Beamer auf dem Pult. Er wirkt dabei ein bisschen nervöser, als Studenten das normalerweise vor einer Präsentation sind. Denn er wird sich in seinem Fach Anglistik heute nicht mit Romanen von Jane Austen oder ähnlichen Autoren beschäftigen, sondern einen selbstverfassten Porno vorlesen - vor dem Dozenten und 16 anderen Teilnehmern des Seminars "Spilling Ink. Writing the Erotic". Vier Männer und zwölf Frauen blicken gebannt nach vorne.

"Ich zog ihre Hose herunter und war überrascht, dass sie keine Unterwäsche trug", liest Reiners auf Englisch vor. "Sie wird immer schmutziger, ich habe die Richtige ausgewählt." Unterdrücktes Schmunzeln. Der 24-Jährige liest unbeirrt weiter. "Während ich in kreisenden Bewegungen mit dem Eiswürfel in meinem Mund um ihre Nippel fuhr, verlor sie schon die Kontrolle. Sie stöhnte immer intensiver."

Der Student hat Szenen des SM-Welt-Bestsellers "50 Shades of Grey" für seinen Text adaptiert. "Ich wollte den Sadisten Christian Grey romantischer darstellen als im Original", sagt Reiners nach seinem Vortrag unsicher, wie um sich zu rechtfertigen. "Dabei ist '50 Shades of Grey' ohnehin schon sehr soft", findet Dozent Christian Lenz. E.L James' Werk gehört nicht zu seiner Lieblingslektüre, das merkt man. "Es ist aber wichtig, das Phänomen abzudecken."

Selbst Pornos schreiben ist neu

Lenz ist nur ein paar Jahre älter als seine Studenten. Der 33-Jährige trägt ein hochgekrempeltes Hemd und Hipsterbrille. Die Studenten haben kein Problem damit, mit ihm über Fisting oder Fesselspiele zu sprechen - sagen sie zumindest. Und auch nicht damit, ihre selbstverfassten Pornos von ihm beurteilen zu lassen. Reiners verschwindet während des Vortrags trotzdem immer mehr hinter seinem Laptop.

Erotische Texte zu analysieren, das gehört für die meisten Literaturstudenten schon lange dazu. Aber selbst Pornos zu schreiben, das ist neu. Der Andrang für Lenz' Seminar war enorm. Obwohl der wissenschaftliche Mitarbeiter es in diesem Semester zweimal anbietet, gab es eine lange Warteliste. Nur das Seminar über Disneyfilme hatte genausoviele Anmeldungen.

"Wir sind nicht so offen, wie wir denken"

Aber ist Porno heute nicht ohnehin überall? Muss er jetzt auch noch an deutschen Unis Einzug halten? "Wir sind eine sexualisierte Gesellschaft", räumt Lenz ein, "aber wir sind nicht so offen, wie wir denken. Wie könnte sonst ein dermaßen braves, neoliberales Märchen wie '50 Shades of Grey' so einen Aufschrei hervorrufen?"

Besonders beeindruckt hat die Sadomaso-Romanze die meisten Studenten sowieso nicht. "Geschockt haben uns Texte aus dem viktorianischen Zeitalter", sagt eine Teilnehmerin. "Gerade in dieser prüden Zeit wurden hinter verschlossenen Türen Texte verfasst, die uns heute verstören", sagt Lenz und meint etwa den Roman "The Lustful Turk", in dem Vergewaltigungen detailliert dargestellt werden.

Aber: "Pornos können auch positiv und subversiv wirken", erklärt Lenz, "indem sie etwa homosexuelle oder ältere Paare beim Sex zeigen." Kritisch sieht er, dass die meisten pornografischen Filme heute eine perfekte Welt vorgaukelten: "Frauen mit riesigen Brüsten haben in zig verschiedenen Stellungen Sex mit Männern mit riesigen Penissen." Die Erwartungen, die junge Menschen an ihr Sexleben hätten, seien dadurch falsch.

Porno mit der "Gummibärenbande"

"Wer die Mechanismen, die hinter pornografischen Texten und Filmen stecken, verstehen will, muss allerdings einmal selbst zum Produzenten werden", ist der Dozent überzeugt. Es gebe Sequenzen - vom Kuss über den Oralverkehr und die Penetration bis zum Orgasmus - die im Grunde in jedem Werk aufeinanderfolgten. Um den Studierenden die Hemmschwelle zu nehmen, ließ er sie einen Porno mit den Charakteren von "Disneys Gummibärenbande" schreiben.

Dabei merkten die Teilnehmer, dass es gar nicht so leicht ist, so explizit zu sein. Vor allem ständig Synonyme für Genitalien zu finden, sei schwierig. "Von der Kirsche über die Palme und den Schokoladenriegel habe ich alles gelesen", sagt Lenz. "Viele Studenten verlieren sich darin, ein Szenario zu entwerfen. Das ist im Porno gar nicht nötig. Nach nicht mehr als drei oder vier Sätzen sollte es zur Sache gehen."

Die letzte Präsentation steht an, eine leicht nervöse Studentin eilt zum Pult. Sie stellt einen selbstgezeichneten Comic vor, in dem zwei Männer miteinander schlafen, wobei der eine sich am Ende in einen Werwolf verwandelt. "Warum zeigen sie keine Geschlechtsorgane?", fragt Lenz die Referentin, deren Comic schließlich ein Porno sein soll. "Ich habe den Schwerpunkt auf die Augen und die Gesichtsausdrücke gelegt", sagt sie, "das war mir einfach wichtiger."

Zur Person
Foto: Erken

Dr. Christian Lenz, 33, unterrichtet am Institut für Anglistik und Amerikanistik der TU Dortmund britische Literatur- und Kulturwissenschaften. Seine Dissertation mit dem Titel "Geographies of Love. The Cultural Spaces of Romance in Chick- and Ladlit" erscheint im Frühjahr im Transcript-Verlag . Der wissenschaftliche Mitarbeiter forscht unter anderem zu britischer Horror-, Romantik- und Erotikliteratur. Von Pornos hat er allerdings vorerst genug: Das Seminar "Spilling Ink - Writing the Erotic" wird er im nächsten Semester nicht mehr anbieten.

Fotostrecke

Im Seminar von "Professor Porno": Die Leseliste des Seminars

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