Besondere Studiengänge Master der Selbstverwirklichung

Was mach ich nur für einen Master? Für diese sechs Studenten ist das keine Frage. Sie pressen Stahl von Hand, bringen in Afrika Kinder zur Welt oder versuchen, Friesen zu verstehen. Ihr Motto: Studieren, was mir gefällt.
Von Britta Mersch
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Meister ihres Fachs: Fischeierretter, Hebamme in Afrika, Friesenversteher

Foto: Michael Hinnemann

Joseph wollte nach Indien und ist in Georgien gelandet, jetzt studiert er im Master Kaukasiologie. Hanna war in Malawi und wollte mehr über Geburten wissen, ihr Masterarbeit schreibt sie über Geburten in Afrika. Und den Fischforscher Bernard packte die Faszination seines Masterstudiums so richtig, als er in Island von einem schmalen Bötchen aus Wale beobachtete.

Während des Bachelorstudiums wussten die drei wie so viele noch nicht genau, was im Masterstudium folgen soll. Entschieden haben sie sich für ungewöhnliche Studiengänge, weil sie für ihr Fach brennen. An vielen Hochschulen in Deutschland gibt es diese kleinen, spezialisierten Studiengänge mit gewissen Vorzügen: keine übervollen Seminare, gute Betreuung - und oft führen diese Studien auch noch an ungewöhnliche Orte.

Hier erzählen Joseph, Hanna, Bernard und drei weitere Studenten, warum sie sich für einen ihrer besonderen Masterstudiengang entschieden haben, was sie fasziniert und was sie später damit werden wollen. Dass sie mit ihren exotischen Fächern Probleme bei der Jobsuche haben werden, glauben sie nicht. Wenige Absolventen bedeuten wenig Konkurrenz. Und auch wenn ihre Nischen klein sind, setzen sie auf ihre Begeisterung.

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Hanna, 31, studiert Hebammenwissenschaft: Nicht so schnell eingreifen, bitte

Ohne Helm und ohne Gurt: Hebamme Hanna auf dem Weg zur Arbeit in Malawi

Ohne Helm und ohne Gurt: Hebamme Hanna auf dem Weg zur Arbeit in Malawi

Foto: Privat

"Als Hebamme habe ich nach meiner Ausbildung in einem Krankenhaus in Dublin mit jährlich 9000 Geburten gearbeitet. Anders als in Deutschland begleiten die Hebammen eine Frau die ganze Zeit und laufen nicht zwischen den Kreißsälen hin und her. Allerdings werden die Geburten stark durch medizinische Eingriffe beschleunigt. Viele Kinder kommen mit der Saugglocke oder per Kaiserschnitt zur Welt. Man greift schnell in den natürlichen Geburtsvorgang ein, das ist aus meiner Sicht nicht immer gut.

Das Gegenteil habe ich in Malawi erlebt, wo die Bedingungen sehr rudimentär sind: selten Handschuhe, wenig sterile Instrumente, meist keine Medikamente. Die Frauen müssen die Geburt so durchleben, wie sie ist. Und wenn es Komplikationen gibt, bekommen sie nur schwer medizinische Hilfe, da sie erst in ein anderes Krankenhaus transportiert werden müssen.

Spielend durch das Master-Studium!
Foto: Michael Reichel/ dpa

Wie bereit bin ich für den Master? Und an wen halte ich mich: An den Instituts-Hiwi im Cord-Sakko, an die schönen Menschen oder an mich selbst? Finden Sie heraus, welcher Master-Student Sie sind - im Master-Typen-Quiz. mehr... 

Mein Master Europäische Hebammenwissenschaft in Hannover ist ein Online-Studiengang, der in Kooperation mit Hochschulen in Lausanne und Maastricht angeboten wird. Über einen Link erreiche ich die Module, die ich gerade belege. Dort finde ich Aufsätze und Fragestellungen, die wir oft auch in der Gruppe bearbeiten.

Für meine Masterarbeit beschäftige ich mich mit Daten zur Neugeborenenversorgung in Sambia. Die Hebammen arbeiten oft nach traditionellen Gebärmethoden und haben keinen Zugang zu moderner Medizin. Ich möchte erforschen, was das für Konsequenzen für Mutter und Kind haben kann und wie Schulungen aussehen könnten."

Bernard, 26, studiert Fisch und Meer: Dem Weißschnauzendelfin das Hirn zerlegt

Meerestiere-Master: Bernard Chéret und die Krabbeltiere

Meerestiere-Master: Bernard Chéret und die Krabbeltiere

Foto: Marlen Henning

"Ich habe zunächst in Cottbus Environmental and Resource Management auf Bachelor studiert. Bei meinem Auslandssemester in Amman habe ich gemerkt, dass ich mehr über Gewässer erfahren möchte. Meere, Flüsse oder Bäche sind immer dem Einfluss des Menschen ausgeliefert, was sich auch auf die Fische auswirkt. Darum brauchen Gewässer unseren besonderen Schutz.

Im Master Fish Biology, Fisheries and Aquaculture an der HU Berlin beschäftigen wir uns unter anderem damit, wie man Fische züchtet und Fischkulturen bewirtschaftet. Außerdem setzen wir uns intensiv mit dem Fischereimanagement auseinander, also mit der Fragen, wie man bedrohte Fischbestände schützt und erhält. Wir untersuchen auch, welche Fische es im Meer gibt, wie alt sie sind und welche Populationen weniger oder gar nicht mehr gefangen werden sollten.

Besonders schlecht steht es beispielsweise um den Granatbarsch, ein Speisefisch aus der Tiefsee, der Schätzungen zufolge 150 Jahre alt werden kann. Er erreicht erst nach mehreren Jahrzehnten die Geschlechtsreife. Durch starke Befischung sind seine Bestände zusammengebrochen. Der Fang wurde von Australien und Neuseeland verboten.

Zu meinem Studium gehören viele Exkursionen. Eine besondere Tour habe ich in diesem Jahr bei einer Summer School in Island gemacht. Mit den für Island typischen Eichenbooten waren wir in einer Bucht im Norden der Insel unterwegs, in Husavík, und haben Wale und Delfine beobachtet. Wir haben Bilder von Buckelwalen gemacht und von ihren Fluken, waren also ganz nah an den Tieren dran. Außerdem haben wir einen gestrandeten Weißschnauzendelfin seziert. Er hatte in seinem Echo-Zentralorgan einen riesigen Bluterguss und war wohl deshalb nicht mehr in der Lage zu navigieren.

Ich bin jetzt im vierten Fachsemester und könnte eigentlich meine Masterarbeit schreiben. Aber Ende Dezember kommt meine Tochter zur Welt, deshalb schiebe ich die Arbeit etwas nach hinten. Ich hoffe aber, dass ich nach fünf Semestern fertig bin. In Berlin werde ich wohl nicht bleiben können. Ich könnte mir aber vorstellen, nach Island zu gehen, wenn meine Familie das mitmacht."

Christina, 28, studiert Mittelaltermusik: "Wir arbeiten wie Detektive"

Musik des Mittelalters: Und das kann man studieren?

Musik des Mittelalters: Und das kann man studieren?

Foto: Christina Dietz

Christina Dietz, 28, studiert Musik des Mittelalters an der Folkwang Universität der Künste

"Im Hauptfach studiere ich Blockflöte. Da denken immer alle: 'Was? So ein Kinderinstrument kann man studieren?'. Das kann man tatsächlich. Und man kann sogar spannende Sachen damit machen.

Ich habe erst Musik und Französisch auf Lehramt studiert, dann noch einen Bachelor in Instrumentalpädagogik gemacht. Als ich dann vom Studiengang Musik des Mittelalters gehört habe, fand ich das spannend, weil ich mich mit dieser Epoche bislang in meinem Studium nicht beschäftigt hatte, sondern mit Neuer Musik, Barock oder Romantik.

Der ganze Studiengang besteht aus nur fünf Studenten. Die Herausforderung liegt darin, dass wir keine Noten haben, nach denen wir spielen können. Die Melodien im Mittelalter wurden oft überliefert, so wie Grimms Märchen. Und manchmal haben sich Mönche im Kloster hingesetzt und die Melodien aufgeschrieben, auf die können wir heute zurückgreifen.

Diese Handschriften sehen aber anders aus, als die Noten, die wir heute kennen. Es gibt nicht so schöne fünf Linien mit Violinschlüssel, sondern vier Linien mit einer völlig anderen Notation, Hinweise zur Rhythmik fehlen meistens auch.

Noten von früher: So wurde Musik im Mittelalter überliefert (zum Vergrößern klicken)

Noten von früher: So wurde Musik im Mittelalter überliefert (zum Vergrößern klicken)

Foto: Christina Dietz

Wir müssen also detektivisch arbeiten und viel improvisieren. So entstehen immer neue Versionen - wir wissen ja nicht, wie es damals geklungen hat.

Mit meinen Kommilitonen trete ich öfter mal in Kirchen auf, da wir viele geistliche Lieder spielen. Neben der Blockflöte gibt es eine Fidel und ein Portativ, das ist eine kleine Orgel. Außerdem nutzen wir Harfe, Glocken und Drehleier, und wir singen auch.

Im Januar werde ich mit dem Studium fertig und möchte auch mit den Konzerten weitermachen, wenn ich im nächsten Jahr mit meinem Referendariat beginne. Wer weiß? Vielleicht kann ich meine Schüler später für die Musik des Mittelalters begeistern. Das wäre doch schön."

Joseph, 30, studiert den Kaukasus: Masterstudent dank Mopedschaden

Joseph Sparsbrod in der Grischaschwili-Straße in Tiflis

Joseph Sparsbrod in der Grischaschwili-Straße in Tiflis

Foto: Joseph Sparsbrod

"Georgien, Russland, Armenien, Aserbaidchan und noch ein kleiner Zipfel Türkei: Um diese Länder geht es in Kaukasiologie. Dass mich die Region interessiert, habe ich während einer Reise nach meinem Magister-Studium gemerkt. Unser Plan war, zu viert mit alten Simson-Mopeds von Halle nach Indien zu fahren.

Das hat nicht geklappt, unsere Mopeds gingen kaputt. Nach drei Monaten sind wir in Georgien gestrandet. Mich hat das Land sofort fasziniert. In den Städten kommen Menschen aus ganz unterschiedlichen Ländern zusammen, man hört ihre Sprachen, bekommt ihr Essen.

Im Studiengang Kaukasiologie an der Universität Jena beschäftigen wir uns mit der Vielfalt der Geschichte, Politik und Kultur des Kaukasus. Wir sehen uns die Transformationsprozesse an, die die Staaten nach dem Zerfall der Sowjetunion durchlaufen haben. Und wir lernen auch die Sprachen, ich mache Georgisch und Russisch.

Mein Auslandssemester habe ich in Tiflis verbracht. Dort gibt es zwei Universitäten, die eine gilt als innovativ, die andere eher als traditionell. Manchmal hat man den Eindruck, die Professorentitel seien erblich, so häufig arbeiten auch die Kinder und Enkel eines ehemaligen Professors an einem Lehrstuhl. Manche Profs sind weit über 90 Jahre alt. Das trägt nicht unbedingt dazu bei, dass innovative Themen gelehrt werden, auch wenn sich mit neuen Wissenschaftlern einiges verändert.

Meine Abschlussarbeit möchte ich darüber schreiben, wie sich Georgien in den letzten 30 Jahren verändert hat. Ich erzähle anhand eines Altstadtviertels von Tiflis, in dem Menschen aus Armenien, Aserbaidschan und Georgien friedlich zusammenleben, in dem aber auch immer wieder schlecht übereinander geredet wird und in dem es latente Diskriminierung gab."

Rolf, 29, studiert Stahl: Wir machen Fahrradrahmen leicht und doch stabil

Masterstudent Rolf Braun: Der den Stahl mit der Hand presst

Masterstudent Rolf Braun: Der den Stahl mit der Hand presst

Foto: Michael Hinnemann

"Ich komme aus Bahlingen am Kaiserstuhl, ein Dorf in Baden-Württemberg, meinen Bachelor in Maschinenbau habe ich in Offenburg gemacht. In meiner Bachelorarbeit habe ich Walzringe auf Risse untersucht. So kam ich zur Materialtechnik, und daran wollte ich gerne weiterarbeiten.

Uns beschäftigt im Studiengang Metallurgy and Metal Forming an der Universität Duisburg-Essen die Frage: Wie können wir Stahl oder Aluminium energiesparend und in guter Qualität formen? Mit unterschiedlichen Walzprozessen machen wir Material platt wie Kuchenteig, und bringen es dann in verschiedene Formen, machen also beispielsweise Drähte daraus. In Betrieben funktioniert das automatisch, aber wir bedienen die Walzgeräte mit der Hand, um ein Gespür zu bekommen, wie kraftaufwendig das ist.

Das Schöne an diesem technischen Studium ist, dass wir verschiedene Dinge ausprobieren können und hinterher ein fertiges Produkt herauskommt. Zum Beispiel ein Fahrradrahmen, der leicht und trotzdem stabil ist und so dafür sorgt, dass der Fahrer schnell anfahren kann.

Da es ein internationaler Studiengang ist, kommen viele meiner Freunde aus dem Ausland, etwa aus Pakistan und Iran. Wegen der Religion, einige sind Muslime, sind Kneipen allerdings weniger angesagt. Wir machen lieber Radtouren oder Wanderungen. Das geht im Ruhrgebiet erstaunlich gut, denn hier ist es richtig schön grün."

Christoph, 24, wir Friesenversteher: "Diling ban ik studänt önj Kil"

Christoph Winter ist zufrieden unter Friesen

Christoph Winter ist zufrieden unter Friesen

Foto: Birger Liebentraut

"In der Sprache meiner Wahl klänge die Selbstvorstellung so: 'Diling ban ik studänt önj Kil, weer ik Frisistik än Skandinavistik önjt treed maaster-semäster studiir.' Auf Deutsch: 'Heute bin ich Student in Kiel, wo ich Frisistik und Skandinavistik im dritten Mastersemester studiere.'

Zur Friesischen Philologie in Kiel bin ich zufällig gekommen. Eigentlich hatte ich mich für Deutsch und Geschichte entschieden und bereits einen Studienplatz in Göttingen. Ich wollte aber lieber in Kiel bleiben, habe nach zulassungsfreien Fächern geguckt und bin bei der Frisistik gelandet.

In der Frisistik geht es um die Mundarten, die hauptsächlich in Nordfriesland gesprochen werden, da gibt es mindestens zehn verschiedene. Ich konzentriere mich hauptsächlich auf Bökingharder Friesisch und auf Fering, die in der Gegend um die Kleinstadt Niebüll und auf Föhr gesprochen werden.

Mich interessiert vor allem die Sprachwissenschaft. Im Mooringer Friesisch gibt es zum Beispiel für die Zahl 'zwei' unterschiedliche Wörter: 'twäär' und 'tou' und auch die Sätze werden teilweise anders gebildet. Mir macht es Spaß, sie zu verstehen und zu analysieren. Deshalb möchte ich nach dem Studium auch gerne in der Forschung bleiben.

Weil ich aus Schleswig-Holstein komme, war es für mich leicht, das Friesische zu lernen und zu verstehen. In unserem Studiengang gibt es aber auch immer wieder Leute aus dem Ausland, zum Beispiel aus den USA, die sich für die friesische Sprache interessieren und sich mit viel Fleiß in die Mundarten einfuchsen."

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