Fehler im deutschen System Wider die akademische Vetternwirtschaft

Ex-Doktor Guttenberg: "Seine Gutachter waren dumm oder faul"
Foto: Wolfgang Kumm/ dpaDie Häme um die Schummeleien des Verteidigungsministers in seiner Doktorarbeit lässt einen besser verstehen, warum "Schadenfreude" als eines der wenigen deutschen Wörter Eingang in die englische Sprache gefunden hat.
Skandal um den gegelten Polit-Star
Welche Konsequenzen eine weitgehend zusammenkopierte Arbeit für Karl-Theodor zu Guttenberg haben soll, darüber kann und sollte weiter debattiert werden. Vor lauter Schadenfreude über den wird in der deutschen veröffentlichten Meinung allerdings weitgehend übersehen, dass wir eine Gruppe von Schuldigen schon jetzt mit Sicherheit kennen. Und dass der Vorgang für diese Individuen und deren Institutionen schon jetzt harsche Konsequenzen haben sollte.
Ich spreche von Guttenbergs Gutachtern, von seinen Lektoren des Verlags Duncker & Humblot - und vielleicht von dem deutschen Wissenschaftssystem im Allgemeinen. Wenn ein junger Wissenschaftler der Uni Bremen in einer Rezension (bei der man normalerweise nicht jede Zeile durchleuchtet) schon beim Überfliegen heftigste Déjà-vu-Erlebnisse hat, muss man fragen, warum Guttenbergs Erst- und Zweitgutachter seinerzeit nichts aufgefallen ist.
Es gibt nur zwei Optionen: Entweder die Herren Professoren hatten, wie so viele ihrer Kollegen mit Erreichen des Beamtenstatus, seit Jahren aufgehört, wissenschaftlich zu arbeiten, und hatten deshalb nicht den blassesten Dunst über das Wissensgebiet ihres Doktoranden. Wie sonst könnte ihnen schon in der Einleitung das Auftauchen eines Artikels der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" entgangen sein (wir sprechen ja noch nicht einmal über entlegene juristische Fachzeitschriften)? Die andere Option ist natürlich, dass seine Gutachter die Arbeit nicht wirklich gelesen haben. Mit anderen Worten - seine Gutachter waren entweder dumm oder faul. Beides keine schmeichelhaften Attribute.
Totalversagen der Prüfer und der Lektoren
Wie immer wir es drehen, in jedem Fall trifft beide Gutachter der Vorwurf eines schweren Dienstvergehens. Von daher ist es nicht überraschend, dass die Universität Bayreuth zwar nun Guttenberg den Titel entzogen hat, aber angesichts des Versagens ihrer Professoren und Gremien alle denkbaren Ausflüchte heranzieht.
Die Pressekonferenz am Mittwochabend hätte dies nicht peinlicher demonstrieren können. Die Kommission, die sich mit dem Fall auseinandergesetzt hat, bestand ausschließlich aus Bayreuther Professoren. Conflict of Interest nennt man so etwas im internationalen Wissenschaftsbetrieb. Es ist nur zu verständlich, dass eine solche Kommission kein gesteigertes Interesse hat, die eigenen Kollegen oder gar die eigene Fakultät oder Universität in Verlegenheit zu bringen. Die ganze Schuld auf den delinquenten Doktoranden abzuwälzen, ist da nur allzu wohlfeil.
Wenn Guttenberg jetzt ziemlich lächerlich dasteht, dann umso mehr auch sein Verlag Duncker & Humblot. Unter deutschen Juristen eine Prestigeadresse, kann man davon ausgehen, dass Guttenberg einen heftigen Druckkostenzuschuss berappt hat. Das ist bei Dissertationen in Deutschland üblich. Darüber hinaus jedenfalls haben der Verlag und seine Lektoren jedoch wenig unternommen. Renommierte internationale Verlage wie zum Beispiel Oxford- oder Cambridge University Press lassen nichts in Druck, was nicht von ein paar Fachkollegen von anderen Universitäten blind begutachtet wurde. Der Fall macht wieder einmal deutlich, warum das deutsche Wissenschaftssystem, jedenfalls in den Sozial- und Geisteswissenschaften, immer noch international ein Treppenwitz ist.
Schluss mit akademischer Vetternwirtschaft, her mit echten Prüfern
Der Skandal um Guttenbergs Doktorarbeit ist in jedem Fall ein Skandal um das deutsche Wissenschaftssystem und seiner Institutionen. Bei aller Konzentration auf den Minister und sein Fehlverhalten sollte das nicht übersehen werden. Meines Erachtens sind - neben Konsequenzen für die Verantwortlichen - einige tiefgreifende Reformen des deutschen Wissenschaftsbetriebs dringend angeraten.
Erstens, das System, in welchem der Betreuer einer Dissertation zugleich der Prüfer/Gutachter (und, im Falle eines Assistenten, auch der Linienvorgesetzte) ist, entspricht keinem denkbaren Standard für die unabhängige Erstellung und Prüfung wissenschaftlicher Arbeit. Es lädt ein zu Nepotismus, Ausbeutung und Gefälligkeitsgutachten. Kein ernstzunehmendes Wissenschaftssystem im internationalen Raum erlaubt diese absurde Konstellation.
Zweitens, der Betreuungsprozess eines Doktoranden kann nicht nur darin bestehen, nach sieben Jahren sein Manuskript zu lesen. Im angloamerikanischen System liest der Betreuer zig Entwürfe der Dissertation, und die Fehler des Guttenberg würden somit schon viel früher sichtbar. In Deutschland gibt es kein System, welches den/die Doktorvater/-mutter dazu verpflichtet, einen wirklichen Betreuungsprozess ernst zu nehmen.
Drittens, Veröffentlichungen von wissenschaftlicher Arbeit müssen in jedem Fall einem Blind-Begutachtungsprozess unterzogen werden. Das gilt sowohl für Bücher als auch für Aufsätze. Beides steckt in Deutschland, jedenfalls in den Sozial-, Wirtschafts- und Geisteswissenschaften, in den Kinderschuhen.
Die Reformen der Schröder/Fischer-Regierung hatten hier vor einem Jahrzehnt grundsätzlich wesentliche Besserungen auf den Weg gebracht. Der Fall Guttenberg bestätigt allerdings eine Erkenntnis der Organisationssoziologie: Alteingeschliffene Praktiken in Institutionen überdauern stärker, als das kurzfristige Politikreformen par Ordre de Mufti sie zu verändern vermögen. Hier muss die deutsche Wissenschaftspolitik weiter dranbleiben.
In den USA wäre der Feierabend-Doktorand Guttenberg nicht durchgekommen
Man kann sich gute Gründe vorstellen, dass Guttenberg in der Tat weder einen Ghostwriter benutzt hat noch arglistig zu täuschen versucht hat. Viele meiner Fachkollegen arbeiten ähnlich wie er. Zunächst stellt man ein grobes Gerüst eines Manuskripts zusammen, und das elektronische Zeitalter macht es nur allzu leicht, erst einmal alles Relevante in der Literatur per Copy & Paste in einem Dokument zu vereinigen. In weiteren Iterationsschleifen kann man dann entscheiden, was wörtlich, was sinngemäß oder was gar nicht benutzt wird (und es entsprechend kenntlich machen, natürlich) und entsprechend das eigene Argument aufbauen.
Für einen Feierabend-Doktorand wie Guttenberg liegt ein solches Vorgehen nur allzu nahe. In der Hektik des Erreichens eines Abgabetermins kann dann manches übersehen oder vergessen werden. Und mal ehrlich: Welcher Wissenschaftler würde, Hand aufs Herz, behaupten, er habe nicht mal Fünf gerade sein lassen?
Im angloamerikanischen Wissenschaftssystem sind allerdings Checks and Balances eingebaut, dass so etwas eben nicht durchkommt. Externe, unabhängige Dissertationsgutachter sitzen im Prüfungsgremium eines Doktoranden und finden in der Regel gnadenlos die Schwächen raus - oft zum Entsetzen des potentiellen Doktorvaters. Und seriöse Verlage und Fachzeitschriften drucken nichts, was nicht einen unabhängigen Blindbegutachtungsprozess durchlaufen hat.
Guttenbergs gibt es zuhauf auf der ganzen Welt. Wie immer wir über ihn urteilen - jedenfalls fand er ein Wissenschaftssystem vor, welches zu seinem Dilettantismus geradezu eingeladen hat. Das entschuldigt den Minister nicht. Was wir aber mit Sicherheit wissen, ist, dass die Kollegen der Bayreuther juristischen Fakultät sich eines schweren professionellen Versagens schuldig gemacht haben. Und dafür sollten sie zur Rechenschaft gezogen werden.